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Zeit zu gehen

Die Wahlen in Côte d'Ivoire zeigen, dass es neue politische Führungsfiguren braucht, sagt Alassane Dicko

Interview: Dorette Führer

Abidjans Hochhäuser und die Küste
Abidjan, die kapitalistische Glitzerwelt, in der viele keine Chance haben. Foto: Jean Luc HABIMANA/Wikimedia , CC BY-SA 4.0

Am 31. Oktober 2020 haben in der Elfenbeinküste Präsidentschaftswahlen stattgefunden. ak hat mit Alassane Dicko über die Hintergründe gesprochen. Er musste das Land 2006 im Zuge des Bürgerkriegs verlassen. Seitdem lebt er in der malischen Hauptstadt Bamako, reist jedoch regelmäßig in die Elfenbeinküste.

Alassane Ouattara wurde zum dritten Mal zum Präsidenten gewählt. Die Verfassung der Elfenbeinküste erlaubt eigentlich nur zwei Amtszeiten. Aber nachdem der Kandidat von Ouattaras Partei überraschend gestorben ist, ist Ouattara erneut angetreten. Der Verfassungsbruch wurde international nicht verurteilt, auch nicht durch die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS. Wie ist das zu erklären?

Alassane Dicko: Die Elfenbeinküste ist die stärkste Volkswirtschaft der ECOWAS. Deswegen hat Alassane Ouattara darin eine sehr mächtige Stellung – keine Entscheidung kann gegen ihn gefällt werden. Zudem muss man wissen, dass es bei Vermittlungsinitiativen der ECOWAS nicht um echte Mediation geht, sondern darum, dass sich die Präsident*innen wechselseitig unterstützen, wenn sie mit Protesten seitens ihrer Bevölkerungen konfrontiert sind. Das gleiche gilt für den Westen, vor allem für Frankreich. Dessen Unternehmen profitieren schon lange von der Elfenbeinküste. Beispielsweise gehört der Container-Hafen in Abidjan der französischen Firma Bolloré, die fast alle großen Containerhäfen in Westafrika betreibt. Und Ouattara ist seit langem ein enger Vertrauter Frankreichs.

Die Wahlen wurden von der Opposition boykottiert. Hatte das nur mit der dritten Amtszeit zu tun oder gab es auch andere Gründe?

Die Kandidatur für eine dritte Amtszeit hat eine große Rolle gespielt. Aber eigentlich muss man bis ins Jahr 2016 zurückgehen, als Alassane Ouattara die Verabschiedung einer neuen Verfassung durchgesetzt hat. Inhaltlich ging es um nicht all zu viel, allerdings gab es schon damals die Vermutung, dass er versuchen könnte, an der Macht zu bleiben. Denn jedes Mal, wenn eine neue Verfassung in Kraft tritt, stellt sich die Frage, ob die bisherigen Amtszeiten angerechnet werden oder nicht. Die Präsidenten von Togo und Guinea haben sich so in jüngerer Zeit weitere Amtszeiten gesichert. Alassane Ouattara hatte das scheinbar nicht vor. Aber nachdem der Präsidentschaftskandidat seiner Partei gestorben war, hat Ouattara von diesem Taschenspielertrick Gebrauch gemacht – im Übrigen mit Absegnung durch das Verfassungsgericht. Das ist der Grund, weshalb sich die Oppositionsparteien mit der Devise zusammengefunden haben, eine Wiederwahl von Ouattara um jeden Preis zu verhindern.

Alassane Dicko

ist 50 Jahre alt. Er ist in der Elfenbeinküste aufgewachsen und hat dort Informatik studiert. Seit 2006 lebt er in Bamako/ Mali. Seine Kinder, mit denen er in engem Kontakt ist, leben weiterhin in der Elfenbeinküste. Er ist aktiv in Bewegungen für Migration und soziale Gerechtigkeit und hat das Netzwerk Afrique-Europe-Interact 2010 mitgegründet.

Portrait Foto Alassane Dicko
Alassane Dicko. Foto: Privat

Wer ist dieser Alassane Ouattara, verfolgt er ein politisches Projekt?

Alassane Outtara kommt aus dem Norden der Elfenbeinküste. Er studierte in den USA und machte zwischen 1964 und 1990 Karriere beim IWF – gleichzeitig war er Berater von mehreren Regierungen. 1990 holte ihn der damalige Präsident Houphouët-Boigny ins Land und machte ihn zum Premierminister. Ab sofort setzte er die neoliberalen Programme von IWF und Weltbank um – als Antwort auf die Schuldenkrise, in der sich die Elfenbeinküste genauso wie viele andere afrikanische Länder befand. Konkret bedeutete dies Stellenabbau im öffentlichen Dienst, Privatisierungen und Lohnsenkungen. Und er ging mit harter Hand gegen die darauffolgenden Streiks und Demonstrationen vor, an deren Spitze schon damals der spätere Präsident Laurent Gbagbo stand.

Du bist in der Elfenbeinküste aufgewachsen, musstest das Land aber 2006 verlassen, weil du wegen deines malischen Vaters deine Arbeit verloren hattest. Sind die Menschen mit Migrationshintergrund immer noch Opfer von Diskriminierung?

In meiner Kindheit und Jugend im Osten der Elfenbeinküste habe ich nichts davon gespürt. Wir waren immer sehr gemischt, jedes Dorf, jede Stadt, jedes Viertel war ein kleineres Westafrika, wir lebten in einer wirklichen Symbiose der Kulturen. Dass die Frage nach der Ivorité (1) und somit nach der nationalen Zugehörigkeit mehr und mehr ein ernsthaftes Problem wurde, kam erst um 1990 auf, als Outtara auf der politischen Bühne der Elfenbeinküste erschien. Seine Gegner versuchten, Ouattara mit der Behauptung zu diskreditieren, dass er kein echter Ivorer sei, da seine Mutter aus dem Nachbarland Burkina Faso stammte. Zu seinen Gegnern gehörte einerseits der konservative Präsident Henry Konan Bédié, der Houphouët-Boigny nach dessen Tod 1993 beerbt hatte, andererseits der sozialistische Oppositionsführer Gbagbo, der den Ivorité-Diskurs mit antikapitalistischer Rhetorik vermischte. Im weiteren Verlauf setzte Bédié faktisch eine Ivorité-Klausel in der Verfassung durch, mit der zweimal eine Kandidatur von Ouattara bei den Präsidentschaftswahlen verhindert wurde. In dieser Zeit nahm auch die Diskriminierung durch Polizei-Kontrollen in Wohnvierteln und vor Moscheen zu. Und so fing es an, dass Ouattara zur Ikone des muslimisch geprägten Nordens wurde, wo es viele religionsübergreifende Ehen gab. Konsequenz war, dass sich eine konfrontative Stimmung zwischen Norden und Süden entwickelte, die auch Ouattara schürte, so dass seine Partei regen Zulauf erhielt. 2002 führte das zur Spaltung des Landes und jahrelangem Bürgerkrieg, an dessen Ende Ouattara 2010 in äußerst umstrittenen Wahlen erstmalig zum Präsidenten gewählt wurde.

Outtara hat nichts dafür getan, den sozialen Zusammenhalt wieder zu stärken.

Alassane Dicko

Die Elfenbeinküste galt lange als die Schweiz Westafrikas. Dann ist das Land in die Krise gestürzt, heute ist die wirtschaftliche Lage wieder stabiler. Wenn du 1990 und 2020 vergleichst, was hat sich für die Bevölkerung verändert?

Der Preisverfall der Rohstoffe Ende der 1980er Jahre war wirklich extrem. Houphouët-Boigny ließ sogar die gesamten Kaffee- und Kakao-Vorräte verbrennen, um den Preis auf den internationalen Märkten zu stabilisieren. Es folgten 20 Jahre Mangel und Depression, auch wegen des Krieges. Danach hat Ouattara viel für das Land getan – das muss man zugeben: Überall wurden Straßen gebaut, der Schulbesuch ist umsonst und selbst in kleinen Dörfern gibt es Strom und fließend Wasser, was in Westafrika keineswegs die Regel ist. Auch die Städte glänzen mit neuen Gebäuden, doch dahinter kommen direkt die Elendsviertel, die in Abidjan vier Fünftel der Stadt ausmachen. Es ist eine kapitalistische Glitzerwelt, in der große Teile der Bevölkerung keine Chance haben. Und schlimm war auch, dass Ouattara viele hohe Posten mit Muslimen aus dem Norden besetzt hat, während andere gesellschaftliche Gruppen leer ausgingen. Outtara hat also nichts dafür getan, den sozialen Zusammenhalt wieder zu stärken, an dessen Zerstörung er selber mitgewirkt hat.

Wie siehst Du die nahe Zukunft der Elfenbeinküste? Welche Ziele hat die Opposition und welche Rolle könnten auch die jüngeren Generationen in den Auseinandersetzungen spielen?

Die aktuelle Lage ist sehr brisant. Die Opposition sieht den Wahlsieg Outtaras weiterhin als illegal an, hat ein Transitions-Komitée gebildet und fordert Bürgerversammlungen für eine nationale Versöhnung, die zu glaubwürdigen Neuwahlen führen sollen. Und das will auch der Großteil der Bevölkerung. Es ist ein echter demokratischer Aufbruch, in der Hoffnung, das Regime von Ouattara zu stürzen. Zudem gilt es, die Unterstützung Frankreichs für Ouattara zu brechen. Die verschiedenen politischen und zivilgesellschaftlichen Strömungen sollten in diesem Prozess eng zusammenarbeiten. Die große Herausforderung wird sein, sich auf neue politische Führungsfiguren zu einigen und – sehr wichtig – den Generationenwechsel einzuleiten. Seit Jahrzehnten verhindern Ouattara, Gbagbo und Bédié ein friedliches Zusammenleben der Gesellschaft, die erbitterten Machtkämpfe der alten Garde müssen ein Ende haben. Dafür braucht es die Demonstrationen der Massen und den zivilen Ungehorsam. Und eine internationale Gemeinschaft, die davon Notiz nimmt. Nur das kann die Regierung dazu bringen, einzulenken. Ansonsten besteht weiterhin die Gefahr eines erneuten Bürgerkriegs.

Dorette Führer

Dorette Führer ist aktiv bei Afrique-Europe-Interact und »Together we are Bremen«.

Anmerkung:
1) Die Ivorité leitet sich begrifflich von Côte d’Ivoire ab, dem offiziellen Namen der Elfenbeinküste.