Wie hältst du es mit dem Industriestrompreis?
Von Guido Speckmann
Unterschiedlicher könnten die Bewertungen der Idee, den Strompreis für energieintensive Unternehmen bis 2030 zu subventionieren, kaum ausfallen. Während Wirtschaftsminister Robert Habeck, aus dessen Haus der Vorschlag für einen Brücken- oder Industriestrompreis stammt, diesen für unverzichtbar hält, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken, warnen Umweltjournalist*innen und Wissenschaftler*innen vor hohen leistungslosen Gewinnen der Unternehmen, einem wirkungslosen Instrument und der Zementierung fossiler Industriestrukturen.
Habecks Plan sieht vor, 80 Prozent des Verbrauchs eines definierten Empfängerkreises energieintensiver Unternehmen aus der Chemie-, Pharma-, Metall-, Glas- und Papierindustrie bis 2030 auf sechs Cent pro Kilowattstunde runterzusubventionieren. Kosten soll das 25 bis 30 Milliarden Euro. Im Gegenzug sollen sich die Unternehmen, die den Brückenpreis in Anspruch nehmen, zu Klimaneutralität bis 2045, Tariftreue und Standortsicherung verpflichten.
Was ist der Hintergrund dieses Vorschlags? Nach der russischen Aggression gegen die Ukraine sind die Energiepreise explodiert. Inzwischen sind sie zwar wieder gesunken, aber das Vorkriegsniveau ist noch nicht erreicht. Hinzu kommt, dass durch den klimaneutralen Umbau der Industrie künftig viel mehr Strom benötigt wird, der Ausbau der erneuerbaren Energien aber trotz verstärkter Anstrengungen die Nachfrage kaum decken kann. Die Preise werden daher hoch bleiben. Gleichzeitig pumpt die US-Regierung unter Joe Biden im Rahmen des »Inflation Reduction Act« in den nächsten zehn Jahren 370 Milliarden in den Ausbau erneuerbarer Energien. Und auch China subventioniert Energiepreise. Der internationale Wettbewerb wird härter und, so Habecks Befürchtung, deutsche Konzerne könnten dem nicht standhalten und entsprechend Standorte in Deutschland schließen und woanders aufbauen.
Zweifelhaft ist, ob die gestiegenen Stromkosten der ausschlaggebende Faktor für Unternehmensverlagerungen sind.
Wie stichhaltig sind diese Argumente? Zwar ist die Produktion der energieintensiven Industriezweige von Februar 2022 bis Juli 2023 um über 16 Prozent zurückgegangen. Das heißt aber nicht, dass ihre Gewinne in ähnlichem Maße sinken müssen. So haben diese Wirtschaftszweige die gestiegenen Preise rasch und in erheblichem Maß weitergereicht. Die Preise energieintensiv produzierter Waren lagen bereits im April 2022 um über ein Drittel höher als ein Jahr zuvor.
Zweifelhaft ist auch, ob die gestiegenen Stromkosten der ausschlaggebende Faktor für Unternehmensverlagerungen sind; andere Faktoren wie die Nähe zu Absatzmärkten spielen auch eine Rolle. In der Debatte wird zudem nur selten deutlich gemacht: Die ins Feld geführte Gefährdung des Standortes Deutschland ist ein propagandistischer Dauerbrenner – gerade auch mit Bezug auf die Energiepreise. Deshalb sind deutsche Unternehmen schon jetzt bei den Stromkosten deutlich privilegiert. Ihr Betrag bei den Netzentgelten 2021 betrug nur 2,6 Cent pro Kilowattstunde, während normale Haushaltskunden 7,6 Cent berappen mussten. Energieintensive Unternehmen zahlen zudem weniger Steuern auf Strom, profitieren von Großkundenrabatten oder Eigenproduktion. Die Folge: Ihre tatsächlichen Beschaffungskosten sind kaum nachvollziehbar.
Hinsichtlich der Verpflichtungen ist anzumerken, dass die Klimaneutralität durch das Klimaschutzgesetz ohnehin bereits geltende Rechtslage ist und die anderen Verpflichtungen im Zuge eines möglichen Gesetzgebungsverfahrens voraussichtlich entfallen werden.
Wie ist der Vorschlag aus ökologischer Sicht zu bewerten? Eine Subventionierung des Strompreises führt dazu, dass Unternehmen vom Spardruck befreit werden. Sie könnten mehr verbrauchen, was, da bisher noch zwei Drittel des Stroms in Deutschland aus fossilen Energieträgern erzeugt werden, auch zu höheren Emissionen führen würde. Zu den bereits bestehenden umweltschädlichen Subventionen in Höhe von 65 Milliarden Euro pro Jahr kämen bei einem Industriestrompreis noch einige Milliarden hinzu. Auch aus sozialer Sicht ist der Brückenstrompreis problematisch, weil er eine weitere Umverteilung zu den ohnehin schon bevorteilten Großkonzernen bedeutet – zulasten kleinerer Unternehmen oder normaler Haushalte.
Wie ist der Stand der Umsetzung? Sowohl Finanzminister Christian Lindner als auch Kanzler Olaf Schulz zeigen sich bis jetzt wenig begeistert; die Ministerpräsident*innen sind ausnahmslos dafür. Bemerkenswert ist die Koalition der Unterstützer*innen. Viele Grüne sind für den Brückenstrompreis, ebenso der DGB, die IG Metall und Teile der Linkspartei, wenngleich teils in modifizierter Form. Sie fürchten den Verlust von Jobs in tariflich gut entlohnten Industriesektoren.