Was bringt die Gaspreisbremse?
Von Lasse Thiele
Wer zahlt für das Scheitern der bundespolitischen Strategie, sich auf billiges russisches Erdgas zu verlassen? Nach dem kurzzeitigen Versuch, alle Gaskund*innen per Gasumlage haftbar zu machen, schwenkt die Ampelregierung jetzt in die gegenläufige Richtung: Gas- und Strompreisbremse sollen kommen, bis 2024 befristet, dazu zumindest für den europäischen Strommarkt eine »Zufallsgewinnsteuer«.
Eine spät eingesetzte Gaspreiskommission legte am 10. Oktober ihren hastig erarbeiteten Vorschlag vor. Danach würde für Haushalte und Gewerbe ab März 2023 ein Grundbedarf in Höhe von 80 Prozent des meist auf dem Vorjahresverbrauch basierenden monatlichen Abschlags auf zwölf Cent pro Kilowattstunde (kWh) gedeckelt – immer noch fast das Doppelte des Preisniveaus von 2021. Statt umfänglicher Entlastung geht es also um eine Abmilderung der immer horrenderen Abschlagszahlungen.
Das vorgeschlagene Verfahren, das die Ampelkoalition wohl im Wesentlichen übernehmen wird, bevorzugt Vielverbraucher*innen und damit häufig auch Besserverdienende mit viel Wohnraum. Zielgenauer wäre die – aber auch aufwendigere – Ermittlung eines Haushaltsgrundbedarfs nach Personenzahl und energetischem Zustand (vor allem in Mietwohnungen). Immerhin regt die Kommission Unter- und Obergrenzen für den gedeckelten Grundbedarf an. Obwohl sie die grobe, schnelle Variante wählt, will sie die Bremse erst gegen Ende der Heizperiode ziehen. Im Dezember soll der Bund dafür einmalig alle Abschlagszahlungen übernehmen. Menschen mit niedrigen Einkommen bleiben so von zusätzlichen Transfers abhängig.
Es geht um die weitere Simulation einer behaglichen Normalität, zumindest für die Mittelschichten: alles teurer, aber weitermachen!
Die Verteilungswirkung der Preisbremsen bestimmt sich auch über deren Finanzierung. Für den schuldenfinanzierten Teil gilt: Durch Vermögens-, höhere Erbschafts- und Spitzensteuersätze refinanziert würde jede Preisbremse ungleich progressiver. Auch über eine zusätzliche Preisstufe für Luxusverbrauch könnte der Grundbedarf weiter vergünstigt werden. Per Zufallsgewinnsteuer werden nun immerhin Stromerzeuger belangt – ironischerweise primär von erneuerbaren Energien. Gas- und Ölkonzerne mit günstigen Lieferbedingungen dagegen profitieren weiter von der Marktsituation. Auch die staatliche Bremse verschont die Gasfirmen, schlimmstenfalls könnten sie durch künstlich erhöhte Preise und Kostenrechnungen zusätzlich kassieren.
Als klimaschädlich sollte die Preisbremse aber nicht gelten – die gedeckelten 80 Prozent würden als Grundbedarf ohnehin verbraucht. Wer tatsächlich unter der Marke bleibt, darf die Differenz der Kommission zufolge als Prämie behalten. Auf diesem Preisniveau wird Erdgas auch gegenüber Erneuerbaren kaum attraktiver. Viel fataler ist der staatlich forcierte Ausbau von LNG-Flüssiggasanlagen mit langfristigen, teuren Importverträgen, die teilweise erst 2026 nutzbar sein werden. Dieses Geld müsste stattdessen in eine forcierte Wärmewende fließen und so den Gasbedarf erübrigen.
Der neue Ampelkurs verfolgt letztlich zwei Ziele. Einerseits soll Standortpolitik für die deutsche Industrie betrieben werden, die weiterhin Sonderkonditionen erhält. Der Staat soll den Gaspreis hier schon ab Januar für 70 Prozent des Vorjahresverbrauchs auf sieben Cent/kWh drücken. Ökologische Auflagen stehen noch aus. Andererseits geht es um die weitere Simulation einer behaglichen Normalität, zumindest für die Mittelschichten: alles teurer, aber weitermachen! Eine komplexe Gemengelage, weil die nach wie vor hohen Gaspreise auch disziplinierend wirken und so im Sinne beider Ziele die Gasversorgung stabilisieren sollen. Eine Drosselung gesellschaftlich verzichtbarer Industrien bleibt indes ein standortpolitisches Tabu.
Aus linker Sicht knifflig: Nach langem Schlingern räumt die Regierung nun vor allem in den Mittelschichten Protestpotenzial ab, noch bevor Sozialproteste Fahrt aufnehmen konnten. Die Maßnahmen sind weder dem – bisher kaum entwickelten – Druck von links zuzurechnen, noch wirken sie transformativ. Für kurzfristige Normalitätswahrung ist die Ampel bereit, die Schuldenbremse zu umgehen, nicht jedoch für ein Notprogramm zur Umstellung aller Heizsysteme auf erneuerbare Energien. An liberalisierten Energiemärkten hält sie erst recht fest.
Eine Chance für linke Politik bietet das Krisenmanagement der Ampel allerdings – indem es eine Unterscheidung zwischen Energiegrundbedarf und Zusatzverbrauch einführt. Obgleich eher durch List der Geschichte entstanden und Wohlhabende bevorzugend, deuten die Bremsen zumindest einen Bruch mit der reinen Waren- und Marktlogik zugunsten eines sozialen Rechts auf Energiegrundversorgung an. Analog zum 9-Euro-Ticket gilt es diesen Bruch nun zu vertiefen.