Keine Feuerwehr, nur Polizei
Angesichts der verheerenden Waldbrände in Griechenland steigt die Wut auf die Mitsotakis-Regierung – viele organisieren sich selbst
Von John Malamatinas und Yegor Puleaux
In Griechenland wüten seit Tagen die schlimmsten Waldbrände in der Geschichte des Landes. Allein der Feuersturm im Norden Evias, der zweitgrößten griechischen Insel, verbrannten mehr als 50.000 Hektar Land. Das geht aus den Daten des Copernicus/Emergency Management Service der Europäischen Union hervor. Niemals zuvor verursachte ein einziger Brand eine derartige Zerstörung. Der bis dato größte Feuerschaden war 2007 in der Region Peloponnes entstanden, wo 44.841 Hektar zerstört wurden. Auch hier brannte es in den letzten Wochen, 26.127 Hektar gingen in Flammen auf, weitere 8.454 wurden in der Region Attika in Schutt und Asche gelegt. Insgesamt verbrannten dieses Jahr bisher über 85.000 Hektar Land (Stand 11. August).
In Attika hatte es schon 2018 einen Waldbrand gegeben, der 100 Todesopfer forderte. Die Bilder des Exodus’ der Einwohner*innen Evias, die mit Transportschiffen und den brennenden Waldhügeln im Hintergrund die Insel verließen, riefen dieses große Unglück in die öffentliche Erinnerung. Damals regierte Alexis Tsipras, aktuell Oppositionsführer der griechischen Linkspartei Syriza. Der jetzige Premier, Kyriakos Mitsotakis von der konservativen Nea Dimokratia, wandte sich im Juli 2018 an Tsipras und forderte diesen zum Rücktritt auf: »Die Bürger fordern das Offensichtliche: Sicherheit für sich, ihre Familien und ihr Eigentum… Sie wollen nicht mehr Worte, sie wollen nicht mehr Lügen, sie wollen nicht mehr Asche. Sie verlangen einen Plan, Ernsthaftigkeit, Verantwortung.«
Letztlich hatte die Mitsotakis-Regierung lediglich ein Zehntel der Mittel bereitgestellt, die Forstämter wegen der hohen Brandgefahr gefordert hatten.
Die Syriza war danach auch über ihr schweres Versagen beim Katastrophenmanagement gestürzt. Wenn sich Mitsotakis nun als eifriger Krisenmanager inszeniert, verschweigt er seine eigene politische Verantwortung, und die seiner Regierung, für die aktuelle Katastrophe. Der in der Corona-Zeit aufgrund seiner law-and-order-Manier als »Repressionscowboy« bekannt gewordene parteilose Minister für Bürgerschutz, Michalis Chrisochoidis, lobte noch Mitte Juni die »äußerst vorbildliche Arbeit, die unser Land mit Blick auf den Brandschutz geleistet hat«. Nicht nur sei die Ausrüstung und die Personalsituation verbessert worden, »wir haben jetzt einen neuen Ansatz – wir konzentrieren uns auf Prävention und permanente Bereitschaft«. Letztlich bereitgestellt hatte die Mitsotakis-Regierung dafür aber lediglich 1,7 Millionen Euro; ein Zehntel dessen, was die Forstämter wegen der hohen Brandgefahr gefordert hatten. Die Polizei bedachte der Regierungschef seit seinem Amtsantritt demgegenüber mit 40 Millionen Euro. Während das Land bereits brannte, legte er Anfang August nochmals eine Million obendrauf – für neue Polizeifahrzeuge.
Die Einwohner*innen Evias fühlen sich von der Regierung Mitsotakis im Stich gelassen. Obwohl die Regierung das Gegenteil behauptete, waren kaum Löschflugzeuge am Himmel. Das antike Olympia wurde gerettet, während eine halbe Insel ihrem Schicksal überlassen wurde. Ganze Dörfer wurden schließlich geräumt und brannten ab. Die Menschen haben ihre wirtschaftliche Existenz verloren. Viele fühlen sich verhöhnt – durch die massive Präsenz der Polizei einerseits, die die Bewohner*innen aus den Gefahrengebieten evakuierte, und die wenigen Feuerwehrleute andererseits, die als Brandlöscher*innen im Einsatz waren. Evakuierung schien erneut der einzige Notfallplan zu sein, den die Regierung präsentieren konnte.
Der Wald wird sowieso brennen
Die Gewerkschaft der Forstarbeiter*innen (Panhellenische Union der öffentlichen Angesellten in der Forstwirtschaft, Peddy) gab eine Erklärung ab, in der sie dazu aufrief, »jetzt den rechtlichen Rahmen für den Brandschutz der Wälder zu ändern«. Die Förster*innen kritisierten nicht nur den Vizeminister für Bürgerschutz und aktuellen Krisenmanager, Nikos Hardalias (Nea Dimokratia), als »im besten Fall unzureichend«, sondern auch die Einsatzdoktrin der Feuerwehr, die zu sehr von der Brandbekämpfung aus der Luft abhängig sei. Und sie erinnerten daran, dass der Premierminister selbst über die Probleme Bescheid wusste. Mitsotakis war Vorsitzender eines ständigen parlamentarischen Ausschusses, der nach den verheerenden Bränden von 2007 eine Untersuchung vorlegte, die zu dem klaren Ergebnis kam, dass das entsprechende Gesetz für die operative Planung vollständig überarbeitet werden müsste. »Unsere Gesellschaft«, so fasst es die Peddy zusammen, »hat sehr teuer für die falsche Entscheidung der Regierung im Jahr 1998 bezahlt, die das Thema Prävention von der Brandbekämpfung getrennt hat. Dieser Fehler darf sich nicht wiederholen.«
Viele erinnern sich zudem noch, als Mitsotakis im letzten Sommer die Insel Korfu besuchte, wo rund um den Eremitis-Berg 36.000 Quadratmeter Waldfläche einer Hotelanlage und Luxuswohnungen weichen sollen: »Eines Tages«, so rechtfertigte der Regierungschef die geplanten Rodungen, »wird der Wald sowieso abbrennen.«
Nun wäscht die Regierung ihre Hände in Unschuld – wie schon in der Austeritätskrise 2010, oder jüngst im Angesicht der grassierenden Corona-Pandemie – verantwortlich seien die Bürger*innen oder eine höhere Macht. Im Falle der Brände der Klimawandel. Natürlich sind die hohen Temperaturen der Auslöser der Feuer – die Frage, wie man in einem stark bewaldeten Land wie Griechenland und unter den Vorzeichen eines rasant voranschreitenden Klimawandels mit 1,7 Millionen Euro sinnvolle Prävention betreiben soll, ist indes eine hochpolitische Frage. Auch hat die Regierung Mitsotakis noch vor wenigen Monaten ein umstrittenes »Umweltgesetz« durchs Parlament gebracht, das Naturschutzgebiete für Öl-, Gas- und Kohleförderung und private Investitionen freigibt.
Der Riss zwischen Teilen der griechischen Gesellschaft und der Politik hat sich durch die Feuerkatastrophe weiter vertieft. Während tausende Menschen ihre Häuser haben abbrennen sehen und vergeblich auf Hilfe der unterfinanzierten Feuerwehr gewartet haben, ließ sich der Premierminister als tapferer Kämpfer für das krisengeschüttelte Land präsentieren, tat die Tourismusbranche so, als könne nichts die ewige Urlaubsstimmung auf den griechischen Inseln trüben, und suggerierte die Politik, dass Griechenland seinen Job doch eigentlich sehr gut machen würde – Austerität durchsetzen und zusammen mit der Türkei der EU die Geflüchteten vom Hals halten. Mitsotakis selbst musste sich nicht um sein Haus sorgen – denn er hat 36 verschiedene Immobilien. Auf Twitter trendet derweilen der Hashtag #mitsotakis_f*ck_dich.
We didn‘t start the fire
Regierungskreise befeuern nun sämtliche Verschwörungstheorien, um vom eigenen Versagen abzulenken. Geschichten von »muslimischen Antichristen« oder »türkischen Agenten«, die zur Brandlegung angestiftet hätten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits gegen eine unbekannte »kriminelle Vereinigung«, die für die Brandstiftungen verantwortlich sei. Die Realität bleibt: In Griechenland waren 520 Feuerwehrleute an der größten Front in Attika im Einsatz, während bei jeder großen Demonstration eine tausende Polizist*innen zählende Armee die Athener Innenstadt besetzt.
Die Logik der Regierung lautet: Was sollen wir mit den vielen Feuerwehrleuten machen, wenn die Waldbrände gelöscht sind?
Die neoliberale Logik der Regierung lautet: Was sollen wir mit den vielen Feuerwehrleuten machen, wenn die Waldbrände gelöscht sind? Was sie mit den Polizist*innen machen können, wenn die nächste Demo vorbei ist, wissen sie dagegen sehr wohl. Die Polizei ist im Dauereinsatz, um jene sozialen Unruhen in den Griff zu bekommen, die die Regierung mit ihrer menschenfeindlichen Verwaltungspolitik und mit dem Abbau sozialer Sicherungen selbst heraufbeschwört. Tausende neue Polizist*innen stehen für die zukünftige Aufstandsbekämpfung bereit. Die soziale Spaltung wird tiefer, aber seit den Corona-Lockdowns ist auch die Anti-Polizei-Bewegung in Griechenland größer geworden. Und nicht einmal die Krankenhäuser, die Brandbekämpfung oder der Waldschutz zählen noch auf effektive Unterstützung der Politik – sie alle haben sich während der Pandemie bzw. der Brände praktisch selbst organisiert. Netzwerke der gegenseitigen Hilfe, die in der Pandemie entstanden sind, wurden re-aktiviert, landesweit wurden Waren des täglichen Bedarfs gespendet, über Chats und soziale Medien organisierten sich Gruppen von Freiwilligen, um in den Katastrophengebieten mit anzupacken. »Nieder mit der Regierung, hoch mit niemandem«, das sagen dieser Tage viele in Griechenland.