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Macron stellt sich selbst ein Bein

Nach Auflösung des Parlaments müssen Parteien in Frankreich nicht nur in Rekordzeit Wahlkampf betreiben, sondern auch Bündnisse schmieden

Von Lea Fauth

Nahaufnahme von Emmanuel Macron, der etwas ratlos drein schaut.
Was hat er sich gedacht? Eine Entscheidung Emmanuel Macrons hat nicht zum ersten Mal für Irritationen gesorgt. Faces Of The World / Flickr , CC BY 2.0

Die Schockstarre hielt immerhin nicht lange an. Noch am Abend des Wahlsonntags versammelten sich Tausende in Paris und anderen französischen Städten, um gegen die rechtsextreme Machtübernahme zu demonstrieren – und linke Einheit dagegen zu fordern. Antifa-Slogans und der Ruf nach einem »Front populaire«, einer Volksfront, wurden laut. Und täglich lauter. Allabendlich kommen seitdem zahlreiche Menschen zu Demonstrationen zusammen.

Das niederschmetternde Wahlergebnis der Europawahlen – die rechtsextreme Partei Rassemblement National mit Jordan Bardella an der Spitze hatte mit 31,5 Prozent einen haushohen Sieg erreicht – mochte wenig überrascht haben, das tatsächliche Eintreten rüttelte dann doch wach. Die Reaktion des Präsidenten Emmanuel Macron jedoch war ein politisches Erdbeben: Er löste das Parlament auf und kündigte Neuwahlen an – und das in der kürzest möglichen Zeit von nur drei Wochen. Verstehen konnte das keiner so recht: weder die Opposition noch die Parteifreund*innen Macrons. In Analysen wird von blindem Leichtsinn gemunkelt, hinter dem die Überlegung stünde, sich gegenüber der rechtsextremen Gefahr dann doch noch mal geeinte Zustimmung aus der Bevölkerung zu holen. Doch das Kalkül könnte genauso gut in die Hose gehen – und auf dem Spiel stünde dann nicht nur Macrons persönlicher Machterhalt, sondern der Kipppunkt zum Faschismus, mit Jordan Bardella als Premierminister.

Wen die spontane Entscheidung hart trifft, sind die linken Parteien – ohnehin schon stark angeschlagen und zuletzt – klassisch – insbesondere im Nahostkonflikt sehr gespalten. Bei den letzten Parlamentswahlen 2022 hatten sich Sozialdemokraten, Grüne, radikale Linke und Kommunisten noch unter dem Namen NUPES (Neue ökologische und soziale Volksunion) zusammengeschlossen. So hatten sie damals immerhin verhindert, dass die Rechtsextremen stärkste Oppositionskraft im Parlament wurden. Auch Macrons absolute Mehrheit war unter anderem deshalb nicht zustande gekommen.

Und jetzt? Zunächst deutete am 9. Juni nichts darauf hin, dass sich die arg unterschiedlichen und teilweise feindlich gesinnten Parteien erneut zusammenraufen könnten. Raphaël Glucksmann, Europakandidat der Sozialdemokraten, die drittstärkste Kraft wurden, nannte bei der Frage nach einem linken Bündnis in einem Fernsehinterview fünf Bedingungen, die fast alle Ausschlusskriterien für die radikale Linke La France Insoumise (LFI) unter Jean-Luc Mélenchon waren. Doch der Rest seiner Partei sah es anders.

François Ruffin, einer der beliebtesten Politiker*innen der linksradikalen LFI, rief ungefähr zeitgleich zu einem »Nouveau Front Populaire« der linken Parteien auf, einer neuen Volksfront – was nur auf deutsch ein bisschen anrüchig klingt.

Zwar wurden pro-palästinensische Positionierungen der LFI teilweise zu Unrecht verzerrt und diffamiert, doch hatte Mélenchon wie zur Bestätigung dann selbst höchst problematische Aussagen gemacht. Antisemitismus sei in Frankreich nur noch ein Überbleibsel, schrieb er etwa in einem Blog-Eintrag Anfang Juni – eine Verharmlosung der Bedrohtheit von Juden und Jüdinnen und von Antisemitismus allgemein. Nur gut, dass mit Ruffin jemand anderes die großen Ansagen übernahm.

Am Tag nach den Wahlen kam es dann also doch. Ein Papier, das den linken Zusammenschluss besiegelte: die neue Volksfront – Le Nouveau Front Populaire. Erneut verbünden sich nun also Sozialdemokraten, Grüne, radikale Linke und Kommunisten, um bei den Parlamentswahlen gemeinsam anzutreten, wie einst unter dem Namen NUPES. Neuer Name, ähnlicher Inhalt: Strategisch macht das erst mal Sinn, um Aufbruchsstimmung zu erzeugen.

Die Rechtsextremen liegen in den Umfragen derweil weiterhin vorne. Allianzen mit anderen Parteien sind allerdings vorerst gescheitert. Parteichef Eric Ciotti wurde von den Republikanern ausgeschlossen, nachdem er mit der Le-Pen-Partei kooperieren wollte. Auch die Neurechten der Reconquête waren in dieser Frage zerstritten. Marion Maréchal, Nichte von Marine Le Pen, hatte sich erst auf eine Zusammenarbeit geeinigt und wurde daraufhin von Parteichef Eric Zemmour rausgeschmissen. Ausnahmsweise sieht es also so aus, als ob die Rechte sich zerstreite und die Linke einig auftrete. Ob das reicht?

Lea Fauth

war Redakteurin bei der taz und ist jetzt freie Journalistin für Print und Hörfunk. Sie hat Philosophie und Literatur in Frankreich, Brasilien und Portugal studiert.

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