Waffenlieferungen an die AfD
Ein internationales Netzwerk schmuggelte Kalaschnikovs und Uzis – vor dem Landgericht München läuft ein Prozess gegen drei der Beschuldigten
Von Robert Andreasch
Es ist der 1. April 2018. Kroatische Polizeibeamt*innen ermitteln im Rahmen der »Operation Telum« gegen internationalen Waffenschmuggel. An der Grenze kontrollieren sie den Münchner Martin M. bei der Ausreise und stellen zwei Pistolen, Munition sowie eine M52-Handgranate sicher. M. betreibt damals Autowerkstätten in München und Zagreb, ist aber auch ein Faschist. Für ein Foto steht er einmal vor einem Hakenkreuz stramm und hebt den rechten Arm. M. macht ein paar Angaben bei den Behörden, dass er von Alexander R. beauftragt worden sei und dass die Waffen für AfD-Akteur*innen bestimmt seien. Ein Ermittler des Polizeipräsidiums München wird später bekunden: »M. sagte, es ginge drum, die AfD zu bewaffnen«. Ein Gericht in Osijek verurteilt M. zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten.
Es dauerte nach der Festnahme von M. lange, bis die Behörden hierzulande in die Gänge kamen. Sie stießen dann jedoch auf ein Netzwerk von rund 40 Personen aus der AfD und sonstigen rechten Gruppen, die sich gemeinsam organisierten, sich zum Teil real trafen oder zumindest miteinander kommunizierten: Wie kommen wir an Waffen?
Das Netzwerk
Die Grenzen zwischen politischer Organisierung und Waffengeschichten waren in diesem Netzwerk fließend und nicht alle haben sich strafbar gemacht. Einerseits wurde von Einigen am Aufbau einer AfD-Flügel-nahen Organisation gearbeitet, der »Patriotischen Alternative Deutschland« bzw. »Patriotischen Alternative Bayern« (PAB) um einen Pegida Frankfurt-Funktionär und einen ehemaligen Stasi- und Berliner Polizeimitarbeiter aus Gröbenzell. PAB-Webmaster Vladimir E. (Regensburg) vereinbarte mit Alexander R. andererseits derweil ein kommerzielles »AK-Projekt«, mit dem Sturmgewehre aus Russland importiert werden sollten. Ein Ermittler berichtete über E.s Kontakte zum russischen Geheimdienst FSB: »Er hat E-Mails an den FSB gesandt« und »aus dem rechten Bereich in Deutschland mitgeteilt, dass ein Interesse an Waffen da ist und an der Unterstützung Russlands«. Manche der beteiligten Personen diskutierten auch den Aufbau eines bewaffneten Security-Dienstes, es gab zudem ein Schießtraining bei der »SG Schützenliesl« im Münchner Norden. Und sie planten, zukünftig einen Schießausbilder des deutschen Zolls für ein taktisches Schießtraining zu gewinnen.
Das Netzwerk reichte vom kroatischen Zadar bis nach Hamburg, vom schweizerischen Rhätikon bis zum Schloss Promnitz in Sachsen, von Tirol bis nach Nordrhein-Westfalen, von Sachsen-Anhalt bis nach Regensburg und vom schwäbischen Sigmaringen bis ins hessische Bad Homburg.
Die Ermittelnden stießen auf ein Netzwerk von rund 40 Personen aus der AfD und anderen rechten Gruppen, die sich mit der Frage befassten, wie sie an Waffen kommen.
Die Hauptfiguren sind Alexander R. und Martin M. Die beiden sollen zeitweise daran gearbeitet haben, mittels einer serbischen Firma deutsche und europäische Sanktionen gegen Russland zu umgehen. Als die Polizei an mehreren Wohnorten von Alexander R. (CH-Rhätikon, A-Wernstein, D-München, D-Augsburg, HR-Zadar) durchsuchte, lag an einem gerade ein Aufnahmeantrag der neonazistischen Artgemeinschaft. Kein Zufall: Alexander R. ist seit vielen Jahren rechtsaußen aktiv, unter anderem trat er bei den Freien Nationalisten München und bei der NPD-Kommunalliste Bürgerinitiative Ausländerstopp München in Erscheinung.
R. nahm 2016 am elitären Preußenabend teil (in demselben Jahr referierte dort auch der rechte Soldat Franko Albrecht), organisierte einen Auftritt des Schweizer Holocaustleugners Bernhard Schaub (Europäische Aktion) in München, lief bei PEGIDA mit und wurde schließlich Mitglied im AfD-Kreisverband München-Land. In den 1990er Jahren hatte R. eine Ausbildung zum Zollbeamten in Passau gemacht, schießen übte er damals beim dortigen Polizeisportverein. R. übernimmt sich finanziell seit vielen Jahren, zahlreichen Akteur*innen der extremen Rechten schuldet er offenbar Geld. Er ist mehrfach vorbestraft wegen Betrugs- und Untreuedelikten, in der Schweiz kassierte er zuletzt eine Haftstrafe, weil er einen Porsche verkaufte, den er aber nur geleast hatte.
Zum Netzwerk gehörten auch Christian N. aus Tuntenhausen und Jonathan H. aus München. Der ehemalige Bundeswehrsoldat Christian N. hielt für die Reichsbürgergruppe Bundesstaat Bayern Vorträge zum »Gelben Schein«. Bei der Razzia am 8. Juli 2020 trug er statt eines Personalausweises einen »druidisch-keltischen Ausweis« im Geldbeutel. Weil er ein Bündnis Deutscher Patrioten Mangfall gründen wollte, tauschte er sich mit dem rechten Rapper Chris Ares aus. H war Mitglied bei den Identitären und ist heute in der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) aktiv. Mit einem weiteren Netzwerk-Mitglied aus Hamburg, sollen Alexander R., Christian N., Jonathan H. und andere Beteiligte mehrere Lieferungen von mindestens zwölf Pistolen und einem Sturmgewehr vereinbart haben.
An Dagmar S., Münchner AfD-Akteurin und Mitarbeiterin des AfD-MdB Petr Bystron, soll Alexander R. im August 2016 eine Kurzwaffe verkauft haben. Außerdem wurde bei ihr eine Maschinenpistole »Uzi« gelagert, die später an einen Tuntenhausener Reichsbürger verkauft werden sollte. Ein weiterer Bundesstaat Bayern-Interessent aus Tuntenhausen bekam mindestens zwei Pistolen und Munition geliefert. An Ramona S., die in München gemeldet ist, tatsächlich aber in Durchholzen in Tirol wohnt, übergab Christian N. eine Pistole. Als sie von der Polizei durchsucht wurde, war ihr blauer Ford Kombi voller Wahlkampfmaterialien der AfD-Kreisverbände München, Erding und Rosenheim. Und ein »full member« der Hells Angels in Dachau bekam mindestens eine Pistole und eine »Mosberg Defender«-Pumpgun geliefert.
Ein ehemaliger Pegida-München-Aktivist, der nach seinem Umzug nach Deggendorf in den Chatgruppen »Corona Wahrheit Deggendorf« und »Die deutsche Lösung« aktiv wurde, soll von Alexander R. ein Sturmgewehr Kalaschnikov AK 47 erworben haben. Auch Räume des bekannten deutschen Neonazis Steffen Hupka in Hohenthurm im Saalekreis wurde schließlich durchsucht, nachdem die Behörden eine SMS von Alexander R. an Hupka entdeckten, aus der hervorging, dass die »Autoersatzteile bereits jetzt in München angekommen sind«.
Die beteiligten Rechten scheinen keinen Repressionsdruck gespürt zu haben. Sie unterhielten sich per Facebook-Messenger, in Telegram-Chatgruppen oder schlicht am Telefon ziemlich offen über die Waffendeals. Alexander R. berichtete einem der Reichsbürger in Schloss Promnitz in Sachsen wenig versteckt über die gerade vorhandenen Waffen: »4 mal Getriebe mit 9 mm-Flansch und ein AK-Getriebe«.
Die »Strafbefehlsebene«
Im Dezember 2020 sorgten Veröffentlichungen von ZDF Frontal, der taz und dem Schweizer »blick« kurzzeitig für Wirbel, doch dann ebbte die öffentliche Aufmerksamkeit für das Waffenhandelsnetzwerk der AfD-Kreise rasch ab. Neben den fatalen Medienkonjunkturen bei der Berichterstattung über die extreme Rechte liegt das daran, dass es bis heute keine Ermittlungen gegen das Netzwerk als Ganzes zum Beispiel als »kriminelle Vereinigung« gab. Hier wiederholt sich erneut, was den behördlichen Umgang mit rechtem Terror in Deutschland seit Jahrzehnten prägt: Bewaffnete, rechte Netzwerke werden durch das Zerpflücken in einzelne Beschuldigte und einzelne Fallkomplexe unsichtbar gemacht.
Etwa 15 Personen, die Waffen bestellt, geliefert, vermittelt oder erworben haben, galten schließlich als Beschuldigte. Einer wurde für seine illegalen Pistolen im März 2022 vom Amtsgericht Ebersberg zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten auf Bewährung verurteilt, ein anderer im Mai vom Amtsgericht Rosenheim zu 12 Monaten auf Bewährung. Die Waffendelikte von AfD-Mitarbeiterin Dagmar S. und eines schwäbischen Hausmeisters in Bingen bei Sigmaringen wurden auf der, wie es juristisch heißt, »Strafbefehlsebene« ohne öffentliche Verhandlung abgearbeitet und endeten mit sehr geringen Geldstrafen, ein Mitarbeiter der Autowerkstatt bekam für seine Mitwirkung am Schmuggel vom Amtsgericht Weilheim 100 Tagessätze aufgebrummt. Die Verfahren gegen die Beschuldigten aus Dachau und Hamburg sind mittlerweile nach Paragraf 154 Strafprozessordnung (in Anbetracht weiterer begangener Straftaten der Beschuldigten) eingestellt worden.
Gegen die Beschuldigten Alexander R., Martin M. und Christian N. begann im Februar 2022 ein Prozess vor dem Landgericht München 1, der noch bis Ende Mai/Anfang Juni 2022 andauern dürfte. In der Anklageschrift heißt es: »Die Angeschuldigten waren zumindest im Zeitraum von 2015 bis 2018 Anhänger der rechtsextremen Szene und waffenaffin. Sie wirkten im Tatzeitraum in unterschiedlicher Zusammensetzung, mit unterschiedlichen Tatbeiträgen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten zusammen, um den von den Angeschuldigten R. und M. initiierten Umsatz von Kriegs- und Schusswaffen aus dem ehemaligen Jugoslawien zu fördern und sich selbst solche zu verschaffen.«
Der Fall des AfD-nahen Waffenhandelsnetzwerks belegt, dass sich die deutsche Rechte derzeit bewaffnet. Egal, ob nach außen hin als AfD, als Neonazigruppe oder als reaktionäre Straßenbewegung aufgetreten wird. Die Gefahr ist immens: Die Behörden konnten einen großen Teil der Waffen und Kriegswaffen, die anhand der Fotos, Verkaufsabsprachen und Lieferungen bekannt geworden sind, bei den Durchsuchungen bisher nicht auffinden.