Wählerische Nächstenliebe
Homophober Pastor nimmt Tätigkeit wieder auf – unter Polizeischutz
Von Enno Hinz
Im November hatte das Amtsgericht Bremen den evangelikalen Pastor der Bremer St. Martini-Gemeinde, Olaf Latzel, zu einer Geldstrafe wegen Volksverhetzung verurteilt. Die Richterin sah es als erwiesen an, dass er im Rahmen einer auf Youtube veröffentlichten »Biblischen Fahrschule zur Ehe« zu Hass gegen Homosexuelle aufgestachelt hatte. Das Urteil ist bislang nicht rechtskräftig, da Latzel in Berufung ging. In Reaktion auf das Urteil enthob der Kirchenausschuss der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) Latzel am 10. Dezember vorläufig des Dienstes. BEK-Schriftführer, Pastor Dr. Bernd Kuschnerus, erklärte damals, es sei nach Überzeugung der Kirchenleitung nicht möglich, dass ein Pastor, der von einem deutschen Gericht wegen Volksverhetzung verurteilt worden ist, weiter seinen Dienst tut. Und weiter: »Gerade auch, wenn und solange eine solche Verurteilung nicht rechtskräftig ist, muss dies gelten.«
In einer 180-Grad-Wende erklärte die BEK am 16. April gemeinsam mit der Martinigemeinde und Pastor Latzel, dass der Verurteilte seinen Dienst bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens fortsetzen darf. Nach Auffassung der Martinigemeinde hat sich Olaf Latzel höchstens im Ton vergriffen, weder Gemeindemitglieder noch Vorstand hatten sich von Latzel distanziert. Im Gegenteil: Die Suspendierung wurde von der Gemeinde »auf das Schärfste« verurteilt.
In guter Gesellschaft
Das verwundert nicht. Die Martinigemeinde ist Teil der Evangelischen Allianz Deutschland (DEA). Die DEA ist ein Verband evangelikaler Gemeinden der, ähnlich wie Salafist*innen in Bezug auf den Koran, für eine wortgetreue Auslegung der Bibel eintritt. Bundesweit gehören nach eigenen Angaben 1,4 Millionen Mitglieder in über 1.100 Gemeinden zur DEA. Die Gemeinden gehören zu einem großen Teil gleichzeitig auch der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD) an. Die DEA fordert ihre Mitglieder auf, in Parteien und Institutionen für »biblisch-ethische Wertmaßstäbe« einzutreten, Leserbriefe zu schreiben und sich in Betrieb, Bezirksbeirat und Stadtrat zu engagieren. Was unter christlichem Wertmaßstab zu verstehen ist, erläutert der langjährige Generalsekretär Hartmut Steeb gegenüber dem DEA-Magazin EiNS: »Es gibt keine schlimmere Menschenrechtsverletzung als das private Töten von Menschen, in der Abtreibung«. Weiterhin sagt er, man müsse der Homoehe entgegentreten und fragt rhetorisch: »Dürfen wir eigentlich noch Meinungs- und Glaubensfreiheit in unserem Land leben?«
Die Tätigkeit evangelikaler Abgeordneter zielt darauf, etablierte queerfeministische Akteure zu diskreditieren.
Bremen ist eine Hochburg der Evangelikalen in Deutschland. Im Kirchenparlament der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) stellen Evangelikale etwa 15 Prozent der Delegierten, auch der Bildungsbeauftragte der BEK ist ein Evangelikaler. Nach Informationen des humanistischen Pressedienstes betreiben Mitgliedsorganisationen der DEA in Bremen 15 Kindergärten, dazu kommen mehrere Schulen. Diese Einrichtungen werden mit staatlichen Geldern finanziert und durch Evangelikale verwaltet. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln seit letztem Jahr gegen Lehrkräfte der Freien Evangelischen Bekenntnisschule (FEBB), weil diese über Jahre hinweg versucht haben sollen, einem transgeschlechtlichen Schüler »einen Dämon auszutreiben«. Davon unbekümmert erklärte Edda Bosse, Präsidentin der Bremischen Evangelischen Kirche, Anfang April im Interview mit dem Lokalfernsehen buten un binnen: »Die Evangelikalen machen eine tolle Arbeit.«
Fromme Nationalisten
Im Landesparlament sind Evangelikale in den Fraktionen von CDU, SPD und FDP vertreten. Sie profitieren vom Bremer Wahlrecht, durch das 1.000 bis 3.000 Stimmen ausreichen, um einzelne Abgeordnete von einem Listenplatz weit hinten auf einen aussichtsreichen Listenplatz weiter vorne zu wählen. Vom gleichen Mechanismus profitieren auch Islamisten und Graue Wölfe auf den Listen von SPD und CDU.
Die Tätigkeit evangelikaler Abgeordneter zielt darauf, den evangelikalen Bildungsträgern neue Geschäftsfelder beispielsweise im Bereich der Schwangerschaftskonfliktberatung und in der Sexualpädagogik zu erschließen und zugleich etablierte queerfeministische Akteure zu diskreditieren.
Kritik wird von evangelikaler Seite mit Desinformation und Verharmlosung beantwortet. So behauptete die FDP-Abgeordnete Birgit Bergmann in Reaktion auf eine Anfrage der Linkspartei zu evangelikalen Strömungen in Bremen, dass evangelikal »in Deutschland – anders als in den USA – keine politische, sondern eine theologische Bezeichnung sei.« In ihrem Magazin EiNS betont die DEA, man habe mit amerikanischen Evangelikalen und Trump-Wähler*innen nicht viel zu tun. Man sei einfach nur »fromm und anständig, fleißig und verantwortungsbewusst.« Man zahle Steuern und bete für die Obrigkeit. Zum Beispiel unter dem Motto »Danken – Feiern – Beten« am Tag der deutschen Einheit oder über die App »Deutschland betet«. Aufgrund der Vielfalt sei es insgesamt schwer, von DEN Evangelikalen zu sprechen.
Ein paar Gemeinsamkeiten zwischen deutschen und amerikanischen Evangelikalen können Religionskritiker*innen aber doch nennen: Hier wie dort hetzen Evangelikale gegen Homosexuelle und bekämpfen das Recht auf körperliche Selbstbestimmung.
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