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|ak 711 | Wirtschaft & Soziales

VW-Deal: Umverteilung zugunsten von Porsche und Piëch

Kurz sah es Ende 2024 so aus, als könnte die Auseinandersetzung um Lohnverzicht und Entlassungen bei Volkswagen eskalieren. An zwei Warnstreiktagen mobilisierte die IG Metall jeweils rund 100.000 VW-Beschäftigte und zeigte damit das Potenzial ihrer Organisationsmacht. Betriebsratschefin Daniela Cavallo geißelte wortgewaltig die verfehlte Unternehmenspolitik. Niedersachsens IG-Metall-Bezirksleiter Thorsten Gröger drohte mit »einem der härtesten Konflikte, den Volkswagen je gesehen hat«. 

Ein ernsthafter gewerkschaftlicher Kampf bei Deutschlands größtem Autobauer hätte die Klassenverhältnisse in diesem Land tatsächlich zum Tanzen bringen können. Dass es anders gekommen ist, ist allerdings keine Überraschung. Schon Mitte November zeigten Betriebsrats- und IG-Metall-Spitzen mit einem Verzichtsangebot von 1,5 Milliarden Euro, dass es ihnen nicht darum ging, Kürzungen und Arbeitsplatzvernichtung grundsätzlich aufzuhalten. Ziel war vielmehr die Wiederherstellung der »Sozialpartnerschaft«, bei der die Beschäftigtenvertretung den Abbau mit moderiert. Das ist ihr mit der am 20. Dezember erzielten Einigung gelungen.

Lohnverzicht sichert keine Arbeitsplätze. Diese alte Gewerkschaftsweisheit gilt auch für VW.

Diese folgt der Logik betrieblicher Wettbewerbspakte, die seit den 1990er Jahren in der deutschen Automobilindustrie gang und gäbe sind. Dabei versprechen Unternehmen, Investitionen zu tätigen oder betriebsbedingte Kündigungen für einen bestimmten Zeitraum zu vermeiden. Im Gegenzug verzichten Belegschaften auf betriebliche oder tarifvertragliche Errungenschaften – meist auf Dauer. Manche, auch linke Metaller haben in der Vergangenheit argumentiert, auf diese Weise erhielten die Arbeitenden Einfluss auf wirtschaftliche Unternehmensentscheidungen. Tatsächlich handelt es sich aber schlicht um systematische Erpressung der Beschäftigten, die um ihre Existenz fürchten. 

Am weitesten getrieben hat das stets Opel. Die übertariflichen Leistungen, die die Autobelegschaften in vergangenen Jahrzehnten erkämpft haben, wurden nach und nach abgeschmolzen. Bei Opel sank die Bezahlung sogar unter das Niveau des Flächentarifvertrags. Beschäftigung hat das nicht gesichert – im Gegenteil. Von den fast 57.000 Arbeitsplätzen bei Opel Anfang der 1990er Jahre sind noch etwa 11.000 übrig. 

Lohnverzicht sichert keine Arbeitsplätze. Diese alte Gewerkschaftsweisheit gilt auch für VW. Dort sollen mit dem Deal zwar betriebsbedingte Kündigungen bis Ende 2030 ausgeschlossen sein. »Sozialverträglich« sollen in dieser Zeit jedoch mehr als 35.000 der bislang gut 120.000 Jobs wegfallen. Die Zahl der Ausbildungsstellen wird auf 650 fast halbiert, die technische Produktionskapazität der deutschen Werke dauerhaft um 734.000 Fahrzeuge reduziert. Anders als behauptet, ist der Erhalt aller Standorte dabei nicht dauerhaft gesichert. So ist für das ehemalige Karmann-Werk in Osnabrück laut Betriebsrat »das Ziel, eine wirtschaftliche Zukunftsperspektive« über 2027 hinaus zu entwickeln. Am Standort Chemnitz wird demnach »auf ein langfristiges Zukunftskonzept hingearbeitet«. In der gläsernen Manufaktur in Dresden, wo ab Ende 2025 keine Fahrzeuge mehr gefertigt werden, soll »ein alternatives Gesamtkonzept erarbeitet« werden. Ziemlich schwammig das alles. 

Und dafür sollen die Beschäftigten massive Lohneinbußen hinnehmen. Die kürzlich für die Metallindustrie vereinbarte Tariferhöhung von etwas über fünf Prozent wird den VW-Beschäftigten bis Ende 2030 vorenthalten. Hinzu kommen Kürzungen bei Boni und Urlaubsgeld. Insgesamt spart sich der Konzern so jährlich 1,5 Milliarden Euro auf Kosten seiner Beschäftigten, plus vier Milliarden durch den Stellen- und Kapazitätsabbau. Obendrauf kommt die geplante »Modernisierung« – sprich: Verschlechterung – des VW-Entgeltsystems, das auf ein »wettbewerbsfähiges« Niveau abgesenkt werden soll.

Begründet wird all das mit der Absatzkrise und notwendigen Investitionen in den Umbau der Antriebssysteme. Doch bei genauerem Hinsehen geht es schlicht um Umverteilung. Zwischen 2021 und 2023 reichte der Konzern insgesamt 22 Milliarden Euro als Dividende an die Aktionäre weiter. Allein im vergangenen Geschäftsjahr waren es 4,5 Milliarden, wovon gut zwei Milliarden an die Familien Porsche und Piëch gingen. Diese wollen auch jetzt nichts abgeben. Gewinne werden privatisiert, in der Krise zahlen die Beschäftigten. Die IG-Metall-Spitze hat eine Chance vertan, sich dem ernsthaft zu widersetzen. Kampflose Niederlagen sind die schlimmsten.

Daniel Behruzi

arbeitet als freiberuflicher Journalist und lebt in Darmstadt.