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Vergoldete Faschisten

Vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen versucht die Allianz für die Vereinigung der Rumänen, ihr extrem rechtes Image abzuschütteln und mit traditionell linken Themen und Strategien zu punkten

Von Jan Goebel

Man sieht viele Menschen, in schwarz und pink, die ein Transparent und Schilder halten.
Es gibt auch Gegenwehr: Die queerfeministische Bewegung ist derzeit die sichtbarste und am stärksten wachsende emanzipatorische Strömung in Rumänien. Foto: Ioana Chițu 

Das Akronym der Alianța pentru Unirea Românilor (deutsch: Allianz für die Vereinigung der Rumänen), nämlich AUR, ist originell: Aur ist das rumänische Wort für Gold. Ansonsten ist die 2019 gegründete Rechtsaußen-Partei, die derzeit die viertgrößte Fraktion im rumänischen Parlament stellt, aus demselben Material wie der Großteil ihrer europäischen Pendants. Sie legt eine aggressive Anti-System-Haltung an den Tag und inszeniert sich als einzige Oppositionspartei im Land, tritt als vermeintliche Protestpartei der »kleinen Leute« in Erscheinung und sieht sich selbst als konservative Bewegungspartei zur Verteidigung von Vaterland, christlich-orthodoxem Glauben und traditioneller Familie. Das Feindbild: westlicher »Globalismus« und EU-gesteuerter »Neomarxismus«, insbesondere in Form der sogenannten »Genderideologie«. 

Auch der nationalistische Auftritt folgt einem bekannten Muster: Seit ihrem überraschenden Ergebnis von neun Prozent bei den Parlamentswahlen 2020 verspricht die AUR, die eigenen Landsleute wieder zu »Herrschern im eigenen Land« und – nach trumpschem Vorbild – Rumänien wieder groß zu machen, was in diesem Fall auch geographisch zu verstehen ist. Denn wie auch der Parteiname unmissverständlich klar macht, ist ein Kernanliegen die Angliederung der Republik Moldau, deren Staatsgebiet der rumänische Staat zwischen den beiden Weltkriegen bereits einmal annektiert hatte. 

Mittelalterliche Fürsten und faschistische Legionäre

Noch im Frühjahr hat die AUR mit solchen Großrumänien-Fantasien Wahlkampf gemacht. Zur Europawahl wurden unverblümt Landkarten verteilt, die sowohl moldauisches als auch ukrainisches Staatsgebiet miteinschließen. Auf AUR-Plakaten waren außerdem Konterfeis mittelalterlicher Heeresführer wie Mihai Viteazul, Vlad Țepes oder Ștefan der Große zu sehen, die sich einst in Kriegen gegen das osmanische Heer einen Namen gemacht haben und später zu Nationalhelden erklärt wurden. Ein Wahlkampf, der durchaus Erfolg hatte: Die Partei blieb mit knapp 15 Prozent zwar deutlich hinter den eigenen Erwartungen und der gemeinsamen Liste der beiden Regierungsparteien (49 Prozent), landete aber immerhin auf Platz zwei. Sechs AUR-Abgeordnete sitzen nun im EU-Parlament zusammen mit der polnischen PiS und den Fratelli d’Italia in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer. 

»Diese nationalen Erfolgsgeschichten sind nichts als ausgedachte Narrative«, kommentiert Adina Marincea, Mitarbeiterin am Elie-Wiesel-Institut zur Aufarbeitung des rumänischen Holocaust, die rechte Europawahlkampagne. »Das Problem ist aber, dass die nationalistische Empowerment-Strategie, also die Erinnerung an die angeblich goldenen Zeiten Rumäniens, funktioniert. Die Leute hier haben keine Lust mehr, unterprivilegiert und die Peripherie zu sein. Sie wollen sich wie Gewinner fühlen.« Die Wissenschaftlerin beobachtet seit vielen Jahren, wie die rumänische extreme Rechte auf historische Mythen und immer wieder auch antikoloniale Befreiungsdiskurse zurückgreift. Besonders steche dabei der Co-Vorsitzende der Partei, Claudiu Târziu, heraus: »Er vergleicht das EU-Parlament in Brüssel gern mit der Sowjetunion und hat die EU-Kommission in der Vergangenheit immer wieder als neue ›Hohe Pforte‹ bezeichnet, von deren Diktat die Rumän*innen sich befreien müssen.«

Ein noch problematischerer Bezugspunkt der Rechtsaußenpartei in der rumänischen Geschichte ist jedoch die radikal antisemitische und mystisch-orthodox geprägte Legionärsbewegung (auch Eiserne Garde). Immer wieder haben führende AUR-Politiker wie Târziu oder Sorin Lavric die in den 1930er Jahren zeitweise drittgrößte faschistischen Bewegung Europas verharmlost, berichtet Adina: »Die beiden sind ganz klar im Spektrum der Neo-Legionäre verortet, die seit Jahrzehnten unter anderem mit Gedenkveranstaltungen versuchen, Protagonisten des historischen Faschismus in Rumänien zu rehabilitieren«.

Die extreme Rechte hat inzwischen einen bedrohlich großen Einfluss in benachteiligten Communities, die von der Politik zurückgelassen wurden: Roma, arme Leute, Menschen aus der Arbeiterklasse.

Seit einiger Zeit schlägt die AUR nun aber deutlich gemäßigtere Töne an. Der Grund: Ende des Jahres wird in Rumänien erneut gewählt, ein neues Parlament und – nach zehnjähriger Amtszeit des rumäniendeutschen Klaus Iohannis – auch ein neuer Präsident. Offen antisemitische oder holocaust-verharmlosende Aussagen sind daher weniger geworden. Auch ein taktisches Treffen des Parteivorsitzenden George Simeon mit dem israelischen Botschafter im vergangenen Jahr sollte dazu beitragen, sich vom Vorwurf des Antisemitismus zu befreien. Als Ergebnis haben sich einige radikale Rechte auch tatsächlich von der Partei abgewendet und der offen antisemitisch und filterlos verschwörungsideologisch auftretenden, ehemaligen AUR-Abgeordneten Diana Șoșoacă und ihrer Partei SOS România angeschlossen. Eine ideologische Deradikalisierung der Partei sieht Adina deshalb aber nicht: »Ich glaube, wir haben es hier eher mit Imagekosmetik zu tun, einer Chamäleon-Taktik, um an den Verhandlungstischen der Macht akzeptiert zu werden. Ideologisch ändern sich diese Leute nicht einfach über Nacht.« 

Soziale Frage von rechts

Die AUR versucht ihr extrem rechtes Image vor den anstehenden Wahlen aber nicht nur mit einem politisch gemäßigteren Auftreten loszuwerden: Die Partei setzt anders als im Frühjahr zur Europawahl nicht mehr auf nationalistische Mythen, sondern dieses Mal vor allem auf soziale Themen. So pflastern bereits seit Juli gelb-goldene Plakatwände das Land, auf denen Parteigründer Simeon, mit der Hand auf dem Herzen, alle möglichen sozialpolitischen Versprechen macht, die er als »Präsident der Vielen« umsetzen werde: Er wolle eine Million neue Wohnungen für je 35.000 Euro zur Verfügung stellen, Zinsen auf Bankkredite streichen und »gnadenlos« die Besteuerung der Löhne senken. Der Ex-Hooligan und langjährige Protagonist der unionistischen Großrumänien-Bewegung ist das Flaggschiff eines zugespitzt sozialpopulistischen Wahlkampfes. 

Diese Integration sozialer Themen sei im Grunde überlebenswichtig für die Rechten, meint die Wohnungsaktivistin Ioana Florea von der Gemeinsamen Front für das Recht auf Wohnen (Frontul comun pentru dreptul la locuire, FCDL): »Ich glaube nicht, dass AUR ernsthafte soziale Interessen hat. Aber ohne solche Forderungen würden sie die Unterstützung der Leute verlieren. Es würden vielleicht drei Prozent übrig bleiben, die sagen ›Yeah, wir wollen stolze Rumänen sein!‹«.

Die Soziologin ist mit der FCDL in Bukarest seit Jahren wohnungspolitisch aktiv, organisiert Demonstrationen gegen die auch in Rumänien immer spürbarer werdende Wohnungskrise, unterstützt Menschen, die auf eine der viel zu wenigen Sozialwohnungen warten, bei notwendigem Papierkram. Immer wieder seien darunter auch AUR-Unterstützende: »Wenn wir dazu dann kritisch Fragen stellen, sagen uns die Leute, dass sie sonst niemand wirklich repräsentiert«, berichtet sie. Sie sei überzeugt, dass viele Leute aus einer materiellen Motivation heraus bei den Rechten landen: »Und das ist das eigentliche Problem: AUR ist momentan die einzige Partei, die die zentralen sozialen Themen anspricht: Lohn, Wohnen, soziale Sicherheit.« 

Hier liegt also auch in Rumänien der Hase im Pfeffer: Die Rechte profitiert von linker Abwesenheit. Die formell auf dem Papier einzige links der Mitte existierende, relevante Partei – die post-kommunistische PSD – hat sich, wie die Mehrheit der europäischen Sozialdemokratien mehr und mehr kapitalistischen Interessen und der EU-Austerität untergeordnet. Ihre Regierungspolitik zusammen mit der national-(neo)liberalen PNL scheint seit Jahren außerdem lediglich auf Machtkonsolidierung ausgerichtet. Antworten auf die ökonomische Krise, die die rumänische Gesellschaft seit dem Ukraine-Krieg besonders heftig trifft, gibt es nicht. So prallen derzeit die Folgen stetig steigender Miet-, Energie- und Lebensmittelpreise mit voller Härte auf den Boden des chronisch unterfinanzierten rumänischen Sozialstaates und des (nach Bulgarien) zweitniedrigsten Lohnniveaus in Europa. Dass sich große Teile der Arbeiter*innenklasse angesichts all dessen von der herrschenden Politik im Stich gelassen fühlen, ist wenig verwunderlich. 

Und die Linke? Bisherige Versuche von links, eine neue soziale Partei zu gründen, seien vor allem an mangelnder gesellschaftlicher Verankerung gescheitert, berichtet Ioana: »Das waren letztlich eher urbane intellektuelle Netzwerke mit wenig Reichweite und wenig Bereitschaft, Dinge außerhalb dieses Milieus auszuhandeln.« 

Community-Organizing nach dem Lehrbuch

Anders auf der rechten Seite: Die AUR scheint besonders dort präsent, wo die politische Desillusionierung hoch und die sozialen Verwerfungen am größten sind. Die Romnja-Aktivistin Carmen Gheorghe von der feministischen NGO E-Romnja beobachtet das seit einiger Zeit mit großer Sorge: »AUR hat inzwischen einen bedrohlich großen Einfluss in benachteiligten Communities, die von der Politik zurückgelassen wurden: Roma, arme Leute, Menschen aus der Arbeiterklasse.« 

Es sind beunruhigende Beobachtungen aus nächster Nähe: E-Romnja ist seit 2012 in mehreren Communities in und außerhalb von Bukarest aktiv. Die NGO setzt sich auf lokaler Ebene für die Interessen von Romnja ein, macht sich mit kulturellen und politischen Events für LGBTIQ-Rechte und einen intersektionalen Antirassismus stark. Inzwischen mache aber auch die AUR an vielen Orten im Grunde nichts anderes als Community-Organizing nach dem Lehrbuch, berichtet Carmen: »Sie haben ein Rezept gelernt: from the bottom to the top. Sie gehen zu den Leuten, reden mit ihnen, machen konstant politische Arbeit. Und sie wissen sich leider viel besser zu präsentieren als frühere rechte Parteien, die eher arrogant gegenüber Armen und Analphabet*innen aufgetreten sind.« 

Die Aktivist*innen von E-Romnja halten mit Aufklärungsarbeit dagegen, sprechen in den Communities über die faschistischen Wurzeln der Partei, über Rassismus, Abtreibungsverbote und Menschenrechte. Aber ihre Ressourcen sind gering und die AUR ist in manchen Regionen schlicht das einzige zugängliche politische Angebot. So scheint die rechte Grassroots-Arbeit gerade auch bei den Ärmsten in der rumänischen Gesellschaft Früchte zu tragen: »AUR-Politiker wie George Simeon haben das Bild von sich geschaffen, dass sie die Armen verstehen. Damit können auch viele Roma etwas anfangen«, stellt Carmen fest und ergänzt: »Die Leute sagen uns, sie vertrauen ihm, weil er der einzige da draußen ist, der wirklich das System bekämpft.« Ultranationalist*innen also als einzige Verbündete im Kampf für soziale Gerechtigkeit? Aus linker Perspektive könnte die Entwicklung kaum ernüchternder sein.

Rechtsruck auch ohne Wahlsieg

Vor den Wahlen greift die Allianz für die Vereinigung der Rumänen also auf eine alte faschistische Tradition zurück, um sich ein soziales und zugänglicheres Profil zu schaffen: die Verbindung rechter Politik mit linken Themen und Organisierungsansätzen. Es ist ein »goldener« Anstrich für den alten braunen Mist. 

Inwieweit diese Strategie aufgeht, bleibt abzuwarten. Fest steht: Ein extrem rechter Siegeszug wie zuletzt in Italien, Österreich oder den ostdeutschen Bundesländern bahnt sich in Rumänien erst einmal nicht an. Die AUR liegt für die Parlamentswahl am 1. Dezember zwar bei (stark schwankenden) Umfragewerten von bis zu 22 Prozent, bleibt auch damit aber zumindest noch deutlich hinter der regierenden PSD. Einigen Wahlprognosen zur Folge ist es jedoch durchaus denkbar, dass es AUR-Chef Simeon bei den bereits eine Woche vorher stattfindenden Präsidentschaftswahlen in die finale Stichwahl um das Präsidialamt (terminiert für den 8. Dezember) schafft, ein Szenario, das auch den Ausgang der anschließenden Parlamentswahl noch einmal zu Gunsten der Rechtsaußen-Partei beeinflussen könnte. 

Auch ohne die parlamentarische Stärke anderer rechter Parteien in Europa hat die AUR die rumänische Gesellschaft schon jetzt in eine konservativere und nationalistischere Richtung bewegt.

Aber auch ohne die parlamentarische Stärke anderer rechter Parteien in Europa hat die AUR die rumänische Gesellschaft schon jetzt in eine konservativere und nationalistischere Richtung bewegt. Und das nicht nur durch die enorme Präsenz der Partei in den sozialen Medien, allen voran jener von Parteichef Simeon, dessen Facebook-Account mit 1,4 Millionen Follower*innen alle anderen rumänischen Spitzenpolitiker*innen (bis auf den Präsidenten Iohannis) weit in den Schatten stellt. Ein wichtiger Grund liege auch in den Lokalparlamenten, meint die Romnja-Aktivistin Carmen: »In vielen kleinen Gemeinden ist AUR dort schon länger sehr einflussreich. Und da reichen schon zwei oder drei Mandate dafür aus, dass du dann im öffentlichen Sektor beispielsweise keine Abtreibungsmöglichkeiten mehr findest oder in Schulen nicht mehr über Sexualkunde reden kannst.« Ähnlich beschreibt auch Adina vom Elie-Wiesel-Institut die Auswirkungen der wachsenden rechten Diskursmacht: »Sie schaffen es, auch ganz ohne neue Gesetze zu beschließen, Grundrechte zu untergraben. Abtreibung zum Beispiel ist hier immer noch einigermaßen legal, aber immer öfter lehnen Krankhäuser die Durchführung ab.«

Diamanten sind härter als Gold

Nicht nur das Beispiel Abtreibungsrechte zeigt, dass der Aufstieg des parteiförmigen Rechtsextremismus in Rumänien sowie seiner außerparlamentarischen und religiös-orthodoxen Netzwerke insbesondere für Frauen und Queers eine Bedrohung ist. Auch der kürzlich bereits zum zweiten Mal an mangelnder Beteiligung gescheiterte Versuch von AUR-Politiker*innen, ein homophobes Referendum zu organisieren, macht dies deutlich. Die Initiative sah vor, die Familie durch eine Änderung der rumänischen Verfassung ausschließlich als eine Verbindung zwischen Mann und Frau zu definieren. 

Doch mit ihren antifeministischen und queerfeindlichen Vorstößen haben sich die selbsternannten »Verteidiger der rumänischen Familie« eine gut organisierte Gegnerin gemacht: die queer-feministische Bewegung. Diese scheint derzeit nicht nur die sichtbarste und am stärksten wachsende emanzipatorische Strömung in Rumänien zu sein, sondern vielleicht auch die einzige relevante politische Kraft, die das Potential hat, dem Aufstieg der extremen Rechten etwas entgegenzusetzen. Denn andere, explizit antifaschistische Strukturen oder zivilgesellschaftliche Netzwerke, die sich öffentlich gegen die AUR positionieren, Kampagnen oder gar Proteste organisieren, sind so gut wie nicht zu finden. Hoffnungsvoll geht der Blick daher beispielsweise in Richtung der Bukarester Pride, die 2004 mit wenigen hundert Menschen gestartet ist und inzwischen weit über 20.000 selbstbewusste und feiernde Menschen auf die Straße bringt. Und dort wurde auf Transparenten auch dieses Jahr wieder eine klare Botschaft an die AUR adressiert: »Diamanten sind härter als Gold!« 

Damit wäre nicht nur ein schlagfertiger Konter auf das griffige Akronym der Rechten gefunden, sondern auch ein mutmachendes Bild für all jene aktivistischen Netzwerke, NGOs und Wissenschaftler*innen, die in Rumänien seit Jahren mit viel Gegenwind und wenigen Ressourcen für linke Perspektiven kämpfen. Denn Diamanten sind nicht nur extrem wertvoll, sondern ihrem Wortursprung nach, dem griechischen adámas, vor allem eins: »unbezwingbar«.

Jan Goebel

ist ak-Leser und lebt zur Zeit in Bukarest.

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