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Die zweite Amtszeit ist wahrscheinlicher, als man denkt

Die Strategie der US-Demokraten besteht vor allem darin, dass ihr Kandidat nicht Trump heißt. Das könnte diesem erneut zum Sieg verhelfen

Von Loren Balhorn

Nimmt man die bürgerliche Presse beim Wort, sind Donald Trumps Tage als Präsident der Vereinigten Staaten gezählt. Nachdem die Demokraten Bernie Sanders‘ radikales Programm auf Eis legten und Joe Biden zum Kandidaten kürten, hieß es, würde die vernünftige Mitte sich hinter Ex-Präsident Barack Obamas Vize stellen und die USA nach vier qualvollen Jahren zurück in die westliche Zivilisation führen. Der Albtraum gehe endlich vorbei.

Zumindest war es bis vor ein paar Wochen so. Doch in den letzten Tagen sind die Prognosen zur amerikanischen Präsidentschaftswahl am 3. November etwas verhaltener geworden, sowohl in den deutschen Medien als auch auf der anderen Seite des Atlantiks. Trumps Wahlkampfmaschinerie ist bereits im vollen Gange: Seine bombastischen Kundgebungen finden wieder statt, Tausende Wahlkampfhelfer*innen klopfen an den Türen potenzieller Trump-Wähler*innen, und Abermillionen Dollar werden in Fernsehwerbung gepumpt. Trump-Schilder sprießen aus dem Boden, während Bidens Kampagne in den meisten Bundesstaaten noch keine nennenswerte Infrastruktur aufgebaut hat. Die Demokraten haben zwar auch viel Geld für Werbung, verzichten jedoch aufgrund der Pandemie auf Wahlkampfauftritte und Haustürbesuche.

Obwohl Biden nach wie vor einen Vorsprung in den Umfragen genießt, werden die Margen zwischen den zwei Kandidaten immer knapper. Mittlerweile geben die Gurus von der Wahlprognose-Website FiveThirtyEight.com Trump die gleichen Chancen auf einen Wahlsieg, wie sie es 2016 taten (29 Prozent), als er gegen alle Erwartungen durch knappe Mehrheiten in mehreren sogenannten Swingstates Präsident wurde. In Pennsylvania – zentral für Trumps Sieg gegen Hillary Clinton – ist Bidens Vorsprung schon von zehn auf drei Prozentpunkte geschrumpft.

Corona, Krise und Komorbiditäten

Trotz der Corona-Pandemie, die Anfang September bereits fast 200.000 Leben gekostet hat, einer Wirtschaftskrise, die im Frühling Arbeitslosenzahlen vergleichbar mit der Großen Depression brachte, und der weiter andauernden Black-Lives-Matter-Proteste in vielen amerikanischen Städten ist Donald Trump zwar unpopulär aber nicht wesentlich unpopulärer als die letzten Jahre. Er verfügt nach wie vor über eine fanatische Unterstützerschaft und hat, anders als 2016, die Republikanische Partei geschlossen hinter sich. Seine Wiederwahl ist damit alles andere als ausgeschlossen.

Dass Trump so gut da steht wirkt zunächst kontraintuitiv. Denn immerhin wurde in der Geschichte der USA noch nie ein Präsident inmitten einer Rezession wiedergewählt geschweige denn während einer Pandemie, die durch politisches Versagen wesentlich schlimmer verläuft, als es hätte sein müssen. Egal ob Republikaner oder Demokrat, wenn die Politikwissenschaft einen Forschungsbefund in den letzten 50 Jahren liefern konnte, dann, dass nichts eine Wahlniederlage so sehr garantiert wie ein drastischer wirtschaftlicher Einbruch.

In einer Gesellschaft, in der man sowieso nichts Positives vom Staat erwartet, ist alleine das Gefühl, dass es zumindest nicht schlechter wird, oft schon genug. 

Trumps Krisennarrativ scheint aber bei so manchen zu fangen. Er argumentiert, dass die US-Wirtschaft bis zum Ausbruch der Pandemie boomte ein Verdienst seiner Handelspolitik und des aggressiven Auftretens gegenüber China. Nur der Lockdown im März eine Überreaktion feiger Demokraten, die seine Präsidentschaft sowieso von Anfang an sabotieren wollten habe die Wirtschaft in die Rezession getrieben.

Die Zahlen scheinen ihm Recht zu geben: Eine V-förmige Erholung ist noch nicht in Sicht, doch die Arbeitslosenzahlen sinken wieder und Trump übt Druck auf die Bundesstaaten aus, die Lockdowns zu beenden und die Wirtschaft wieder hochzufahren. Er stellt dies als einen Kampf des kleinen Mannes gegen eine bürokratische Elite dar.

Die Lässigkeit, mit der dabei viele US-Amerikaner*innen den Hunderttausenden Corona-Toten begegnen, wird begreifbar, wenn man den Kontext mitdenkt. Auch bei 200.000 Toten und sechs Millionen Corona-Fällen gibt es unter den über 300 Millionen US-Amerikaner*innen immer noch viele, die keinem Infizierten begegnet sind erst recht, da die Pandemie manche Regionen wesentlich härter trifft als andere. Viele Flächenstaaten, in denen Trump eine sichere Mehrheit genießt, weisen nach wie vor niedrige Fallzahlen auf. Und in anderen wie den Südstaaten Florida oder Georgia, wo Trump im November wahrscheinlich auch gewinnen wird, ist man durch 40 Jahre sinkender Lebensstandards, steigende Selbstmordraten und zehn Jahre Opioid-Krise den Tod ohnehin schon gewohnt. Was sind ein paar Tausend mehr im Vergleich zu einem wirtschaftlichen Totalschaden?

Dass Trump so gut wie keine Verantwortung für den Business-Zyklus in den USA trägt und nichts mit dem kleinen Schub an Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren zu tun hat, spielt in dieser Situation keine Rolle. Das Leben für viele US-Amerikaner*innen war schon immer hart. Wenn es unter Obama keine spürbaren Verbesserungen gab, warum sollte das unter Biden anders werden? Unter Trump gab es immerhin kontinuierliches Wachstum.

Für viele Wähler*innen wird sich die Frage also stellen, ob es nicht riskanter ist, Trump über Bord zu werfen und damit auch die gute Wirtschaftslage, die er (scheinbar) geschaffen hat. In einer Gesellschaft, in der man sowieso nichts Positives vom Staat erwartet, ist alleine das Gefühl, dass es zumindest nicht schlechter wird, oft schon genug.

Kulturkampf trumpft Klassenkampf

Wenn es einen Punkt gibt, in dem die radikale Rechte mit der radikalen Linken in den USA übereinstimmt, dann ist es die Einschätzung, dass gerade ein elementarer Aufstand der subalternen Klassen in Form der Black-Lives-Matter-Bewegung tobt. Während die einen darin eine finstere kommunistisch-anarchistische Verschwörung sehen, die die Taten von einzelnen »faulen Äpfeln« bei der Polizei ausnutzt, um Städte zu zerstören und die Republik zu untergraben, sehen andere eine revolutionäre Welle, die nach Bernie Sanders‘ enttäuschender Niederlage eine neue Ära linker Massenpolitik einläutet.

Schön wäre es. Die Black-Lives-Matter-Bewegung skandalisiert zu Recht rassistisches Verhalten bei der Polizei und thematisiert die starke Ungleichheit zwischen Schwarzen und weißen US-Amerikaner*innen. Doch die organisierte Linke spielt eine unbedeutende Rolle darin. Die Demonstrationen sind oft spontan oder werden angeführt von etablierten Institutionen der Schwarzen Community, die mit revolutionärer Politik nichts am Hut haben. Die Proteste dauern nach wie vor an, ihnen fehlt aber ein strategischer Horizont jenseits von Trump abwählen. Forderungen, der Polizei die Finanzierung zu entziehen, werden nach wie vor mehrheitlich abgelehnt, und es bleibt unklar, wie lange berechtigte Wut allein ausreicht, um die Bewegung am Leben zu halten.

Diese Tatsachen aber sind egal für Donald Trump, der die Proteste und Reaktionen darauf benutzt, um Recht und Ordnung zu einem zentralen Thema des Wahlkampfs zu machen. Dabei schürt er ganz bewusst die Gegenproteste, provoziert Bürgermeister*innen und Gouverneur*innen der Demokraten und schickt Bundespolizist*innen in die betroffenen Gebiete, um die Bilder zu erzeugen, die er für sein Narrativ einer linken Verschwörung braucht.

Dies führt dazu, dass der Wahlkampf zunehmend zu einem Kulturkampf wird. Da die Demokraten ein ambitioniertes Wirtschaftsprogramm weder anbieten können noch wollen, beschränkt sich ihre Reaktion auf die Proteste auf symbolische Anerkennung und die Aufnahme neuer sprachlicher Begriffe, die wiederum von den Republikanern hervorragend benutzt werden können, um das Bild einer urbanen Elite, die sich von den Sorgen der Arbeiterklasse verabschiedet hat, weiter zu verstärken. Dass Biden in dieser Situation versucht, sich sowohl als Hüter von Recht und Ordnung darzustellen als auch Verständnis für die Proteste zu zeigen, wirkt gleichermaßen opportunistisch wie hilflos. Profitieren kann davon nur Trump.

Der schlimmste Zeitstrahl

Es ist natürlich von Vorteil für die Republikaner, dass die Demokraten sich auf einen »sicheren«, dafür aber verblüffend profillosen Kandidaten geeinigt haben. Es gibt viele Gründe anzunehmen, dass Joe Biden die Vorwahlen gewonnen hat, weil die meisten Demokraten ihn für die sicherste Bank gegen Trump gehalten haben zentristisch, volkstümlich und mit einem hohen Bekanntheitsgrad.

Der bisherige Verlauf seiner Kampagne gibt aber Anlass anzunehmen, dass eine Wiederholung von 2016 gut möglich ist. Denn wie einst bei Clinton basiert seine gesamte Strategie darauf, nicht Donald Trump zu sein.

Ob Biden, wie oft behauptet, wirklich an Demenz leidet, lässt sich aus der Ferne nicht diagnostizieren, die zahllosen Pannen der letzten Monate reichen aber aus, um zu fragen, warum dieser Mann sich das noch mal antut. Er wirkt in seinen Videoansprachen aus seinem Keller (Live-Auftritte traut er sich wegen Corona nicht zu) müde und verwirrt. Er muss sich regelmäßig für seine peinlichen Versprecher entschuldigen.

Politisch beschränkt er sich auf Plattitüden über Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Obwohl er ab und zu ein vergleichsweise linkes Positionspapier veröffentlicht, wie neulich zur Bankenregulierung, wird in den Medien immer wieder berichtet, wie er und seine Vertreter in vertraulichen Konferenzen mit reichen Geldgebern versichern, dass diese Positionen nur für den Wahlkampf sind, aber nicht ernsthaft Teil eines Regierungsprogramms werden sollen. Er ist, wie Hillary Clinton vor ihm, durch und durch ein Kandidat des Establishments, der ab und zu links blinkt, aber auf eine 50-jährige Karriere zurückblickt, in der er im Zweifelsfall immer lieber von rechts regierte.

All dies bedeutet nicht, dass Biden Trump im November nicht schlagen kann. Wie 2016 reichen ein paar Hunderttausend Stimmen in einer Handvoll Wahlkreisen aus, um die Wahl zu gewinnen. Wenn Biden aber gewinnen sollte, dann nur, weil genug US-Amerikaner*innen der Meinung sind, dass er ein kleines bisschen weniger schlimm ist als der jetzige Präsident. Von den Hoffnungen auf ein anderes Amerika, die Bernie Sanders in den ersten Vorwahlen weckte, ist nicht viel übrig geblieben.

Loren Balhorn

Loren Balhorn ist Redakteur des deutschsprachigen Jacobin-Magazins.