Steht der Mittlere Osten vor einem Großkrieg?
Nach den Angriffen der USA und Verbündeter auf Huthi-Stellungen droht eine weitere Eskalation
Von Tomasz Konicz
Am 12. Januar wurde im Mittleren Osten eine neue Front eröffnet: Die USA und Großbritannien griffen Stellungen der mit dem Iran verbündeten schiitischen Huthi-Miliz im Jemen an, die seit Wochen erfolgreich eine der wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt stört. Zudem hat die schiitische Miliz mehrfach versucht, Israel mit Drohnen- und Raketenschwärmen anzugreifen. Die USA und Großbritannien sprachen von »erfolgreichen« Angriffen und erklärten, sie würden weitere Störungen der Schifffahrt im Roten Meer »nicht tolerieren«. Die Huthis kündigten umgehend Vergeltung an und drohten, dass Washington und London einen »hohen Preis« für die Angriffe zahlen würden.
Tatsächlich haben die jemenitischen Verbündeten des Irans mit ihren Angriffen auf Handelsschiffe einen sensiblen Punkt getroffen. Die Schifffahrtsroute durch das Rote Meer und den Suezkanal, die Europa mit den fossilen Energieträgern der Golfregion und der globalen Fabrik in Fernost verbindet, ist nach mehreren Attacken der Huthis nicht mehr sicher. Ein Großteil des Handelsvolumens wird nun kostspielig um das Kap der Guten Hoffnung umgeleitet, so dass der Warenverkehr durch den Suez-Kanal um mehr als 50 Prozent eingebrochen ist. Die Transportzeit und die Transportkosten steigen.
Diese Störmanöver gegen die ohnehin brüchigen globalen Handelswege sind ein neues Moment in den regionalen Auseinandersetzungen, die am 7. Oktober mit der Massenmordkampagne der Hamas in Südisrael entfacht wurden. Faktisch führen die USA, Israel und der Iran einen informellen Krieg niederer Intensität, in dem Teheran seine Verbündeten agieren lässt, um eine direkte Konfrontation zu vermeiden. In Iran und Syrien greifen schiitische Milizen inzwischen regelmäßig US-Stützpunkte mit Drohnen oder Raketen an, während die USA sporadisch schiitische Stützpunkte bombardieren. Das größte Eskalationspotenzial findet sich aber im Libanon, wo die Hisbollah sich täglich einen Schlagabtausch mit der israelischen Armee liefert. Die libanesische Schiitenmiliz gilt als der schlagkräftigste Gegner an den Grenzen Israels. Sie verfügt über ein gigantisches, modernes Waffenarsenal, hoch motivierte und sehr gut ausgebildete Truppen und ein weitverzweigtes Tunnel- und Bunkersystem im Südlibanon.
Die israelische Rechtsregierung, deren sicherheitspolitisches Versagen die Terroroffensive der Hamas erst ermöglichte, rechnet öffentlich noch mit einer langen Kriegsdauer.
Bisher ist es allen Akteuren gelungen, eine Eskalation zu einem direkten Konflikt, zu einem Großkrieg in der Region zu verhindern. Doch mit zunehmender Kriegsdauer scheint dies immer schwieriger – nicht nur im Roten Meer, sondern vor allem in Nordisrael und Südlibanon. Israel scheint von seinem legitimen Kriegsziel, der Ausschaltung der Hamas, noch weit entfernt, während die humanitären Kosten dieses Feldzugs bereits katastrophale Ausmaße erreichen. Israelische Armee-Einheiten müssen mitunter empfindliche Verluste hinnehmen und sich aus Teilen des Gazastreifens zurückziehen. Die israelische Rechtsregierung, deren sicherheitspolitisches Versagen die Terroroffensive der Hamas erst ermöglichte, rechnet öffentlich noch mit einer langen Kriegsdauer.
Eine direkte Konfrontation zwischen Israel, den USA und Iran scheint somit immer wahrscheinlicher zu werden, da irgendwann das diplomatische Krisenmanagement, dass derzeit von allen Seiten hinter den Kulissen betrieben wird, an seine Grenzen stoßen muss. Dieser vor einer etwaigen Eskalation stehende regionale Konflikt ist ohnehin nur ein Teilmoment der krisenbedingt zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen den spätkapitalistischen Staaten. Die USA sind bemüht, ihre hegemoniale Position – und die Stellung des Dollar als Weltleitwährung – um jeden, auch militärischen, Preis zu halten, während viele Groß- und Mittelmächte (etwa Türkei oder Iran) die schleichende Machterosion Washingtons für eigene geopolitische Ambitionen nutzen wollen. Insbesondere Russland hat ein Interesse an der Eskalation in Nah- und Mittelost, da hierdurch der Ukraine die notwendigen westlichen Ressourcen in ihrem Abwehrkampf entzogen werden.
Die globale Tendenz ist eindeutig: Je stärker der ökonomische und ökologische Fallout der Weltkrise des Kapitals die Staaten trifft, desto größer ihr Drang, die zunehmenden inneren Widersprüche durch äußere Expansion zu kompensieren.