Einig gegen Sex und Gleichheit
Die große Koalition reformiert auch in dieser Legislatur das menschenfeindliche Transsexuellengesetz nicht
Von Kuku Schrapnell
Während es Anfang des Jahres noch so schien, als wäre eine leichte Verbesserung des 1981 erlassenen Transsexuellengesetzes (TSG) zu erwarten, wurde zuletzt durch eine Presseerklärung der SPD bekannt, dass es in dieser Legislaturperiode keine Novellierung mehr geben wird. Die große Koalition bleibt auf diese Weise trotz deutlicher verfassungsgerichtlicher Entscheidungen und wissenschaftlicher Erkenntnisse untätig und erschwert transgeschlechtlichen Menschen damit ihre Transition.
Die Geschichte des TSG ist, wie so häufig, wenn es in Deutschland um die Rechte von LSBTIQ geht, eine Geschichte des Aktivismus und der verfassungsrechtlichen Urteile. Der Irrweg begann 1968 vor dem Amtsgericht Berlin-Schöneberg: Eine trans Frau stellte den Antrag, ihren Geschlechtseintrag im Geburtenregister zu ändern. Das Amtsgericht stimmte zu und die Geschichte könnte an dieser Stelle ihr glückliches Ende finden, wäre da nicht der damalige SPD-Innensenator Kurt Neubauer. Der schaltete sich persönlich ein, um die Gerichtsentscheidung rückgängig zu machen. Nach einigem juristischen Hin und Her führte die ganze Angelegenheit zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1978, in dem festgestellt wird, dass es eine gesetzliche Möglichkeit geben muss, den Geschlechtseintrag und den Vornamen zu ändern. Drei Jahre später wurde dann das TSG in seiner ursprünglichen Fassung verabschiedet.
Dauergast beim Verfassungsgericht
Schon im folgenden Jahr entschied Karlsruhe gegen Teile des Gesetzestextes, und bis heute beanstandeten die Richter*innen insgesamt sieben Mal einzelne Passagen des Gesetzes. Dabei wurden unter anderem die Altersgrenze von 25 Jahren, der Ausschluss von Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft sowie das Recht vor oder nach der juristischen Angleichung des Personenstands heiraten zu dürfen, ohne dass damit die geschlechtliche Identität in Frage gestellt wird, für verfassungswidrig erklärt. Zuletzt urteilte das Gericht 2007, dass sowohl genitalangleichende Operationen wie auch die Fortpflanzungsunfähigkeit, also Sterilisation, nicht mehr als Voraussetzungen gelten dürfen, um den Geschlechtseintrag zu ändern. Damit ist ein Großteil der im Gesetz vorgesehenen Zugangsbeschränkungen für verfassungswidrig erklärt worden.
Doch auch nach diesen Urteilen und den damit verbundenen Änderungen der Rechtspraxis steht das TSG noch immer in der Kritik. Denn auch heute sind die Hürden für die Änderung des Namens und des Geschlechtseintrages hoch. So ist ein Verfahren am Amtsgericht notwendig, bei dem zwei Gutachten eingefordert werden. Die Kosten, die im Schnitt bei um die 2000 Euro liegen, müssen die Antragssteller*innen in der Regel selbst tragen. Auch die Gutachten selbst sind eine Zumutung: Viele trans Personen berichten von demütigenden Befragungen, die teils von Unwissenheit der Gutachter*innen zeugen, teils offen diskriminierend sind. Hinzu kommt, dass es an den jeweiligen Richter*innen ist, zu entscheiden, ob sie ein Gutachten anerkennen oder nicht. Berüchtigt ist in diesem Zusammenhang das Amtsgericht Leipzig, wo bekannt wurde, dass der zuständige Richter die Antragsstellenden zum Teil zu einem Gutachter nach München schickt.
Zum Wohle der Gestörten
Offiziell dient das Prozedere dem Schutz verwirrter Seelen. Laut Gesetzestext sollen die professionellen Betrachtungen und Beurteilungen auszuschließen, dass es sich nur »um eine Phase« handelt. Das sind nur vorgeschobene Gründe: Eine Studie aus dem Jahr 2015, die 670 Gutachten untersucht, kommt zu dem Ergebnis, dass gerade mal ein Prozent aller Anträge abgelehnt wird.
Ende 2018 schien sich die Situation deutlich zu vereinfachen: Änderungen des Personenstandsgesetzes ermöglichten intergeschlechtlichen Menschen den Geschlechtseintrag divers zu wählen. Diese Möglichkeit nutzten auch viele trans Menschen. Da im Gesetzestext nur von »Personen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung« die Rede war, schien das Gesetz hinreichend offen formuliert, um auch für trans Personen zu gelten. Es dauerte nur bis zum Frühjahr des Folgejahres bis ein Rundschreiben des Innenministeriums unter Horst Seehofer die Standesämter anwies, diesen Weg ausschließlich intergeschlechtlichen Menschen zu ermöglichen. Das wurde im April letzten Jahres durch den Bundesgerichtshof bestätigt: »Die von §45b PStG vorausgesetzte Variante der Geschlechtsentwicklung ist nur dann gegeben, wenn das Geschlecht nicht eindeutig anhand angeborener körperlicher Merkmale als weiblich oder männlich bestimmt werden kann. (…) Fälle der nur empfundenen Abweichungen des eigenen vom eingetragenen Geschlechts werden von der Neuregelung hingegen nicht erfasst.« Damit müssen trans Personen weiterhin den mühseligen Weg über das TSG wählen, um ihren Namen und Personenstand zu ändern.
Die dahinter liegende Logik ist klar: Transgeschlechtlichkeit wird vorerst noch im Katalog der Krankheiten, dem sogenannten ICD, der durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben wird, erfasst. Transgeschlechtlichkeit ist damit in der aktuellen Version des ICD, dem ICD-10, eine psychische Krankheit. Das soll sich mit dem ab 2022 geltenden ICD-11 ändern, in dem Transgeschlechtlichkeit erstmals nicht mehr auftaucht. Stattdessen verständigte man sich dort auf die Diagnose Geschlechtsdysphorie, also das Leid am zugewiesenen Geschlecht. Die Geschlechterdysphorie gilt nicht mehr als Störung, sondern wird dem Kapitel »Zustände die geschlechtliche Gesundheit betreffend“ zugeordnet. Damit folgt man jetzt auch international einem Standard, der im US-amerikanischen Leitfaden für psychische Störungen schon seit 2014 gilt.
Bloß nicht zu fortschrittlich werden
Die Fortschritte gehen vor allem auf Kämpfe von trans, inter und nicht-binären Aktivist*innen zurück und sind nicht etwa die bloße Umsetzung von »Forschungserkenntnissen«. Nicht nur durch direkte Initiativen oder die klassische Lobby-Arbeit von NGOs, sondern auch die durch die Kämpfe für Emanzipation entstandene Sichtbarkeit, die die gängigen Vorstellungen von Geschlecht und der vermeintlich zugrunde liegenden »biologischen Realität« radikal infrage stellen.
Vor diesem Hintergrund lässt sich verstehen, warum der Staat, entgegen der gängigen juristischen Praxis und aktueller medizinischer und psychologischer Erkenntnisse, darauf beharrt, die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags derart schwierig zu gestalten. Der Bundesverband trans* stellt aktuell in einem offenen Brief sechs Forderungen an eine Nachfolgeregelung des TSG, die nach internationalem Vorbild die Selbstauskunft in den Vordergrund stellen. Jugendlichen ab 14 Jahren soll analog zur Religionsmündigkeit das Recht zustehen, selbst zu entscheiden, unter welchem Namen und mit welchem Geschlecht sie offiziell geführt werden wollen.
Dass eine solche Änderung in dieser Legislaturperiode nicht mehr zu erwarten ist, war ein erwartbarer Rückschlag. SPD und CDU vermeiden das Thema schon lange. Im Jahr 2011 bildete sich der unabhängige Arbeitskreis TSG-Reform und brachte ein gemeinsames Forderungspapier heraus. 2017 gab es einen Beschluss des Bundesrats, der nicht nur auf die Rechte von intergeschlechtlichen Menschen verwies, sondern auch eine Aufhebung des TSG zugunsten eines »Gesetzes zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung« forderte. Dass man sich in SPD und CDU über diese Entscheidungen bisher hinwegsetzt, hat vor allem damit zu tun, dass man das konservative Klientel, das beide Parteien zu vertreten glauben, nicht verschrecken will. Der Kampf gegen den vermeintlichen Genderismus ist international eben eines der stärksten Zugpferde der neuen Rechten.