Querfront oder Netzwerk?
Wie gefühlte Wahrheiten über trans Frauen Allianzen zwischen Linken, Liberalen und Rechtskonservativen schmieden
Von Carl Deussen und Christina Grübler
Hinweis: In diesem Text werden transfeindliche Aussagen reproduziert und analysiert
November 2022, im Zeit-Podcast »Alles gesagt?«: Die lesbische, feministische Linguistin Luise Pusch setzt zu einem umfassenden Vorwurf an. Danach gefragt, wie sie aktuelle innerfeministische Auseinandersetzungen beurteile, kommt sie auf das geplante Selbstbestimmungsgesetz zu sprechen:
»Wenn praktisch jeder – ich sage jetzt also absichtlich jeder – einfach hingehen kann zum Standesamt und sagen kann ›Ich bin jetzt eine Frau‹, dann hat das für den Frauensport ausgesprochen negative Konsequenzen. Also das haben wir ja auch schon gesehen mit Lia Thomas, also ein kräftiger junger Mann, der sich zu einer Frau erklärt hat und jetzt da immer die Schwimmwettbewerbe gewinnt und die Frauen, die da jahrelang trainiert haben, die können immer nur traurig hinterherschwimmen.«
Man sollte meinen, dass die Bezeichnung der weiblichen Athletin Lia Thomas als »Mann« zumindest eine kritische Nachfrage wert wäre. Thomas hatte 2022 als erste trans Schwimmerin eine Disziplin der US-amerikanischen, nationalen Studierendenmeisterschaften gewonnen und war daraufhin zur Hassfigur der US-Rechten geworden. Doch die Hosts bleiben stumm. Stattdessen wird die Mär von der betrügerischen trans Frau, die den Frauensport infiltriert, öffentlichkeitswirksam untergebracht.
Gefühlte Wahrheit
Obwohl es im Fall Thomas gar nicht um den Personenstand, sondern um die Teilnahmebedingungen von Sportvereinigungen geht, wird sie hier zum Hauptargument gegen das geplante Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland. Dabei wird die Lüge der US-Rechten wiederholt, Thomas sei eigentlich ein »kräftiger junger Mann«, der sich einfach »zu einer Frau erklärt habe« und jetzt »da immer die Schwimmwettbewerbe gewinnt« – ein Eindringling in den Frauensport. Auf Basis dieser Unwahrheiten endet Pusch empört: »Also, das geht ja nicht.«
Auf Empörung folgt die Angsterzählung, »dass Sexualverbrecher und Exhibitionisten dieses Gesetz … missbrauchen und sich zu Frauen erklären und dann Zutritt verlangen zu geschützten Frauenräumen, zur Frauensauna«. Auch dies führt Pusch nicht weiter aus oder geht darauf ein, dass trans Frauen in erster Linie Opfer von sexualisierter Gewalt sind. Es geht nicht um Fakten, denn diese würden den Standpunkt verkomplizieren und entkräften. Worum es geht, sind Gefühle: Es wird eine Bedrohungskulisse geschaffen, die Stimmungen wie Unbehagen, Misstrauen und Angst anbietet und bestärkt. Dabei werden trans Frauen in erster Linie als Gefahr empfunden, als »selbsternannte Frauen, die eigentlich Männer sind«. Die Gefühle von trans Frauen spielen hingegen keine Rolle, sie existieren nur als potenzielle Täter*innen, die in eine »richtige« Geschlechterordnung eindringen. Der affektive Appell funktioniert: Die Gastgeber lassen die emotional aufgeladenen Unwahrheiten einfach so stehen.
Gefühlte Vergemeinschaftung statt politischer Zweckallianzen
Das transfeindliche Spiel mit gefühlsbeladenen Lügen schafft mittlerweile auch politische Zusammenschlüsse zwischen Rechtskonservativen, Bürgerlich-Liberalen und Linken. Diese transfeindlichen Akteur*innen werden oft als »transexklusive, radikale Feminist*innen«, kurz TERFs, bezeichnet, wir verwenden aber den treffenderen Begriff »Cisfeminist*innen«. »Cisfeminismus« verweist auf einen biologistischen Feminismus, der cisgeschlechtliche Privilegien nicht hinterfragt und sich vordergründig um die Belange von cis Frauen kümmert. Das transgeschlechtliche Hausbesetzer*innenkollektiv Trans*fläche führte den Begriff »Cisfeminismus« 2021 in einem Zine ein, um einen transexkludierenden Feminismus zu beschreiben, der ausschließlich für – meist bürgerliche – cis Frauen streitet und damit nicht für die Befreiung aller im Patriarchat Unterdrückten.
Dieser cisfeministische Zusammenschluss wird zunehmend als »Querfront« bezeichnet, als rationales Bündnis verschiedener politischer Kräfte auf der Suche nach neuer Unterstützung. Doch der »Querfront«-Begriff verschleiert mehr, als das er aufdeckt. Denn es ist fraglich, ob sich linke, liberale und rechte Cisfeminist*innen tatsächlich auf politische Ziele einigen könnten oder sich auch nur als Teil der gleichen Bewegung verstehen wollen würden. Wir schlagen daher vor, sie eher als ein affektives – das heißt fühlendes – Netzwerk zu verstehen. Dessen Stärke und radikale Anschlussfähigkeit liegt darin, dass seine Mitglieder sich nicht unbedingt politisch einig sein müssen. Es genügt, sich über gefühlte Szenarien zu vergemeinschaften: die eigene Unterdrückung durch vermeintlich übergriffige trans Frauen, Sprechverbote einer herbeifantasierten »woken Meinungsdiktatur«, das Bild der um sich cancelnden Queerfeministin und das der abgehängten Allgemeinheit, die bei dem ganzen Rummel um trans Menschen nicht mehr mitkomme. Diese Gefühle sind anschlussfähiger als konkrete politische Positionen und ermöglichen es linken und bürgerlichen Personen, Teil des transfeindlichen Netzwerks zu werden, ohne ihre eigene politische Positionierung hinterfragen zu müssen.
Medienforscher Simon Strick hat in seinem Buch »Rechte Gefühle« die netzwerkartige Gefühlsstruktur der Alternativen Rechten mit einer Wettermetapher bereits treffend beschrieben. Die neuen Rechten nähmen »klimatische Operationen« vor: »Sie errichten Wetterzonen, in denen ihre Gefährdung manifest und ein anti-ideologischer Existenzkampf vonnöten ist«, schreibt Strick. Dieser Fokus auf »Gefühlswetterlagen« ermöglicht die Entstehung eines »wandelbaren, informellen Netzwerks« aus diversen Akteur*innen und Meinungen. Cisfeminist*innen gehen mehr als nur ein strategisches Zweckbündnis ein, sie sind schon längst an das Gefühlsnetzwerk der Alternativen Rechten angeschlossen. Das transfeindliche Gefühlsnetzwerk schafft ein Diskursklima, in dem das Beharren auf cisgeschlechtlichen Privilegien als »Selbstermächtigung« oder als »Selbstverteidigung« eines zweigeschlechtlichen »Allgemeinwissens« empfunden und politisch entfaltet werden kann.
Beispielhaft für diese emotionale Anschlussfähigkeit bei gleichzeitiger politischer Abgrenzung ist ein in der taz erschienener Artikel, in dem der schwule Journalist Jan Feddersen sich ebenfalls zu Lia Thomas äußert. Gleich am Anfang macht er sein Anliegen deutlich: »Die Kritik an (der) Gültigkeit des Sieges der US-Schwimmerin Lia Thomas bei den US-Collegemeisterschaften ist keineswegs ›rechts‹, sie ist auch nicht ›transphob‹.« Auf »Ich bin ja nicht …« folgt erwartungsgemäß ein großes »Aber« und dann die Wiedergabe rechtspopulistischer Lügen: Thomas hätte sich »per Selbsterklärung als Frau identifiziert«, sei ihren Konkurrentinnen »haushoch überlegen«, ihr Vorteil sei ein »biologischer Fakt«. Auch die Rollen sind klar verteilt: auf der einen Seite ignorante »Transaktivisten« und auf der anderen besorgte »Feministinnen«. Inhaltlich ist der Artikel leicht zu widerlegen, aber er funktioniert eben nicht auf argumentativer Ebene, trotz des Verweises auf unumstößliche »biologische Fakten«. Vielmehr appelliert Feddersen wie Pusch an einen empfundenen Common Sense, nach dem trans Frauen eigentlich immer noch Männer seien – und damit eine Gefahr für cis Frauen(-sport). Den Leser*innen bietet er so eine neue Selbstpositionierung an: Sie können ihren transfeindlichen Gefühlen freien Lauf lassen, ohne sich selbst als »rechts« begreifen zu müssen.
Ein transfeindliches Netzwerk für alle
Das informelle Netzwerk verdichtet Gefühlswelten zum »Gefährdungsmythos Trans« und verschaltet dabei ideologisch weit voneinander entfernte Personen. Mahnende Appelle an linke und liberale Teile einer vermeintlichen Querfront, sich nicht mit Rechtsextremen zu vergemeinschaften, werden in diesem Netzwerk verhallen. Denn sie unterschätzen die Gewinne, die das Netzwerk auch für Linke, sexuelle Minderheiten und cis Frauen bereithält: Gefühle moralischer Rechtschaffenheit, Auflehnung und Befreiung; Effekte sozialer Vergemeinschaftung; aber auch die realen Aufstiegschancen, die eine transfeindliche Gesellschaft und die Aufmerksamkeitsökonomie der sozialen Medien bereithalten.
Was es stattdessen bräuchte, wäre eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dieser Gefühlspolitik, welche reichweitenstarke Medien bisher weitgehend versäumt haben. Es geht nicht darum, cisfeministische »Argumente« oder »Sorgen« ernst zu nehmen, sondern diese zu hinterfragen, Täter-Opfer-Umkehr sichtbar zu machen und ein Deutungsangebot zu schaffen, welches das reale Machtverhältnis zwischen cis Menschen und trans Menschen anerkennt. Denn, wie Strick treffend feststellt: »Diese ›Diskussion‹ ist menschenverachtend: Es gibt keine Transdebatte. Niemand kann trans* Personen das Recht auf Existenz absprechen – nicht im Namen von Biologie, Feminismus oder Meinungsfreiheit.« Der Schmerz von trans Menschen, ihre Wut, Ängste, Hoffnungen, Bedürfnisse und die Trauer um die Verletzungen und die Toten wären ein guter Ausgangspunkt, um cisfeministische Gefühlsnetzwerke zu stören – und sich die Frage zu stellen, wie die eigenen Befreiungskämpfe mit denen von trans Menschen verwoben sind.