Traktoren im Morgengrauen
Die Proteste der Bäuer*innen stehen auch im Zeichen der erstarkenden Rechten
Von Haidy Damm
Sie zeigten sich vom Zurückrudern der Bundesregierung gänzlich unbeeindruckt: Die Bauernorganisationen riefen vom 8. Januar an zu einer Aktionswoche auf, obwohl nach ersten Protesten im Dezember die Ampelkoalition das geplante Ende der Steuerbefreiung für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge zurückgenommen hatte und die Subventionierung des Agrardiesels nur noch schrittweise abschaffen will; erst ab 2026 soll es keine Entlastungen für Agrardiesel mehr geben.
Nach den ersten Demos kurz vor Weihnachten hatten sich die Ereignisse überschlagen: Immer mehr – auch rechte – Gruppen beteiligten sich an der Mobilisierung für weitere Proteste. Und die Aktionswoche in der zweiten Januarwoche fiel eindrucksvoll aus: Bundesweit demonstrierten Landwirt*innen schon frühmorgens, blockierten mit ihren Traktoren Kreuzungen und Autobahnen. Auch Handwerksbetriebe und Speditionen, die gegen die Lkw-Maut demonstrieren, schlossen sich an.
Die verschiedenen Bauernverbände fordern die vollständige Rücknahme der Subventionskürzungen, und viele sagen, die Entscheidung der Regierung, bei den Bauern zu sparen, habe das Fass nur zum Überlaufen gebracht. Denn an sich machen Agrardiesel-Beihilfe und Kfz-Steuerbefreiung nur einen kleinen Teil der Gewinne der landwirtschaftlichen Betriebe aus. Kürzungen können nichtsdestotrotz wegen der Kurzfristigkeit der Umsetzung wirtschaftliche Probleme mit sich bringen.
Für Phillip Brändle, Pressesprecher der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), in der sich mehrheitlich kleinere landwirtschaftliche Betriebe zusammengeschlossen haben, liegt ein Problem darin, dass die größte Interessenvertretung der Landwirt*innen, der Deutsche Bauernverband (DBV), »nur den Tropfen, nicht das Fass« beschreibt. Das Fass – das ist all das, was in der Vergangenheit in der Agrarpolitik schiefgelaufen ist.
Fatales »Wachse-oder-weiche«-Dogma
Die Industrialisierung der Landwirtschaft, verbunden mit dem wirtschaftspolitischen »Wachse-oder-weiche«-Dogma war in den vergangenen Jahrzehnten prägend für die Betriebe. Der Verbrauch von Düngemitteln ist stetig gestiegen, die bearbeiteten Flächen wurden größer und damit die Landmaschinen. Massentierställe entstanden, Kühe wurden zu Hochleistungsmaschinen, und der Milchmarkt wurde liberalisiert, kurz: Die Landwirt*innen sollten sich auf dem Weltmarkt behaupten, Einkommenseinbußen durch EU-Agrargelder ausgeglichen werden. Diese Entwicklung wurde von den – meist – CSU-Minister*innen und dem Bauernverband forciert, der lange Zeit einzig wahrnehmbaren Berufsvertretung. Die Folge: Betriebe werden größer, kleinere Höfe geben auf.
Gegen diese konservative Landwirtschaftspolitik hat sich vor über zehn Jahren das Bündnis »Wir haben es satt« gegründet. 2011 startete ihre erste Demonstration vom Berliner Hauptbahnhof. 20.000 Menschen wendeten sich gegen Gentechnik, Tierfabriken und Dumpingexporten und forderten eine bäuerliche und ökologische Landwirtschaft. Auch damals gab es übrigens Bestrebungen von Neonazis, sich an die Proteste anzuhängen, eine entschiedene Haltung der Organisationen verhinderte das.
Es gibt nichts Konkretes und Verlässliches für den Umbau der Landwirtschaft, viele Betriebe hängen in der Luft.
Seit einigen Jahren, als Folge der Klimakrise und der ökologischen Folgeschäden der industrialisierten Agrarwirtschaft, steht die Landwirtschaft vor einer erneuten Transformation. EU-weit soll etwa der Verbrauch von Pestiziden für den Artenschutz reduziert werden. Auch die Tierbestände sollen kleiner werden, weniger Gülle darf auf die Felder. Entscheidungen, denen sich die konservativen Landwirtschaftsminister*innen jahrzehntelang verweigert haben. Als Änderungen nicht mehr zu vermeiden waren und nach Protesten von Landwirt*innen 2019 (ak 655), wurden unter der Führung von Ex-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) zwei Kommissionen ins Leben gerufen: die Borchert-Kommission für den Umbau der Tierhaltung und die Zukunftskommission Landwirtschaft. Mit am Tisch saß nicht mehr nur der DBV, sondern auch die AbL und neu gegründete Verbände wie Land schafft Verbindung (LSV). Letzterer ist entstanden aus der Unzufriedenheit von Landwirt*innen mit der Lobbyarbeit des Bauernverbandes. Schon bei den Protesten 2019 hatte es Abgrenzungsschwierigkeiten gegenüber rechten Tendenzen gegeben, es folgten Spaltungen und neue Bündnisse, etwa mit der rechten Bauernlobby Freie Bauern.
Die Ergebnisse der beiden Agrarkommissionen wurden weithin als Konsens begrüßt, umgesetzt wurde jedoch kaum etwas. Es gibt nichts Konkretes und Verlässliches für den Umbau der Landwirtschaft, viele Betriebe hängen in der Luft. Die Ampelregierung, die die Forderungen aus den Kommissionen geerbt hat, hat bisher eine verlässliche Transformation ausgesessen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özedemir hat sich als Fehlbesetzung erwiesen. Dem Grünenpolitiker wird nachgesagt, er hätte noch mit einem Posten versorgt werden müssen, wolle aber kaum auffallen, weil er langfristig andere politische Ambitionen hat.
Die aktuellen Bauernproteste sind neben der vom Bauernverband jahrzehntelang unterstützten industriellen Landwirtschaft auch eine Folge dieser Personalie. Landwirtschaftliche Betriebe brauchen langfristige Rahmenbedingungen, die ihre Investitionen absichern. In diesem Punkt sind sich alle Bauernverbände einig. Sie unterscheiden sich jedoch in ihren politischen Zielen – ein Punkt, der in den Protesten aktuell kaum eine Rolle spielt. Denn die intensiv diskutierte Frage ist: Wie rechts ist der deutsche Bauernstand?
Seine aktuelle Symbolik ist vielerorts rechts bis offen neonazistisch: Ein Großteil unterstützt den Slogan: Deutsche (Bauern) zuerst und (angelehnt an »Merkel muss weg«) die Parole »Die Ampel muss weg«. Strohpuppen oder Ampeln hängen an Galgen in der Landschaft, rechte Parolen schmücken die oftmals mit Deutschlandfahnen geschmückten Schilder an den Traktoren: »Ein Sturm zieht auf in Deutschland«, »Das Volk wird die Straße niederrennen« oder die verschwörungstheoretische Variante »Wer zieht die Fäden der Politmarionetten?«. Zudem haben sich die norddeutsche Landvolk-Bewegung, die vor allem in Brandenburg aktiven Freien Bauern, aber auch Neonazis wie die Freien Sachsen, der III. Weg, die Ex-NPD-Partei Die Heimat, die Identitären und die AfD, die übrigens laut ihres Grundsatzprogramms Subventionen generell ablehnt, an der Mobilisierung beteiligt. Hier wird von einem »Umsturz« und »Generalstreik« geredet. Dass es gegen die Grünen als Feindbild Nr. 1 geht, passt ihnen hervorragend.
Vorbild einiger Bauernverbände sind Aktionen in den Niederlanden. Dort protestierten Landwirt*innen militant gegen das Naturschutzpaket der Europäischen Union, mit dem unter anderem der Einsatz von stickstoffhaltigem Dünger verringert werden soll. Anthony Lee, ehemaliger Zeitsoldat, heute Vorsitzender von Land schafft Verbindung, sagte in einem Post auf Telegram, die Holländer hätten es geschafft; die dortigen Bauernproteste seien der Funke gewesen, der letztlich zu Neuwahlen und einer neuen Regierung geführt hätten.
Keine Abgrenzung gegen Nazis
Offenbar folgten die Ereignisse im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel diesem militanten Vorbild. Dort wurde eine Fähre mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck blockiert, aufgerufen hatten hauptsächlich rechte Telegram-Gruppen. Die Nordfries*innen waren bei den Bauernprotesten vor einigen Jahren besonders mit Landvolk-Fahnen aufgefallen, angelehnt an die völkische und antisemitische Landvolk-Bewegung aus den 1920er Jahren. Laut der Journalistin Andrea Röpke ist die aktuelle Landvolkbewegung, hinter der die Reichsbürger Armenius-Erben stehen, wichtig für die rechtsextremen Strukturen in Nordfriesland. Sie betreiben unter anderem den Telegram-Kanal »Bauern&Verbraucher«, auf dem zahlreiche Protestvideos verbreitet werden. So entsteht der Eindruck, dass viele Landwirt*innen sich hier vernetzen. Während die Blockade von Habeck auf rechten Telegram-Kanälen als Teil des »Bauernaufstandes« oder besser gleich als »Volksaufstand« gefeiert wurde – wie jede einzelne Treckeraktion auch –, verharmlosen der LSV, konservative Politiker*innen und die Gewerkschaft der Polizei die Beteiligung von Neonazis. Es sei doch schließlich alles friedlich geblieben. Doch das ist nicht der Punkt: Die Gefahr liegt vielmehr darin, dass der rechten Symbolik nicht überall entschieden entgegengetreten wird und die gemeinsame Zeit auf der Straße die Zusammenarbeit mit Neonazis in den Bauernverbänden normalisiert.
Die Gefahr liegt darin, dass der rechten Symbolik nicht überall entschieden entgegengetreten wird.
Natürlich gab es auch das Gegenteil zu beobachten: So hat die junge AbL aufgerufen, sich den rechten Tendenzen innerhalb der Bauernschaft entschieden entgegenzustellen. Im brandenburgischen Eberswalde demonstrierten »Bauern gegen rechts«, bei mehreren Demonstrationen gab es Schilder mit »Landwirtschaft ist bunt, nicht braun«. In Sachsen hat der Landesverband des DBV ihre geplante Großdemo in Dresden verschoben, um nicht mit den »Freien Sachsen« gemeinsam auf der Straße zu sein. Im nordrhein-westfälischen Herford wurde AfD-Unterstützung abgewiesen, auch im Kreis Höxter und Paderborn hat der Bauernverband rechten Gruppen eine Absage erteilt. Auch der Präsident des DBV, Joachim Rukwied, distanzierte sich wiederholt von »Rechten« und »anderen radikalen Gruppierungen mit Umsturzgelüsten«.
Die Großdemonstration in Berlin am Montag, den 15. Januar, (nach Redaktionsschluss) kann ein Gradmesser für die Auseinandersetzung der Verbände mit Neonazis innerhalb und außerhalb ihrer Strukturen sein. Eine lautstarke und entschiedene Reaktion auf rechte Symbolik und Teilnehmende wäre ein gutes Zeichen.