The Rona is back
Vor dem nächsten Lockdown bleiben wir schutz- und empathielos
Von Jeja Klein
Es ist Ende Oktober, und wenig überraschend befinden wir uns am Rande des zweiten Lockdowns in Deutschland. Auch unter Linken ist in den vergangenen Wochen viel um die richtige Position zu Corona, the Rona, gerungen worden. Vom Hashtag #StayTheFuckAtHome, über eine Veranstaltung zu »Hedonismus in Zeiten der Pandemie« bis hin zu Aufforderungen, sich vom bösen Staat nichts sagen zu lassen, war und ist alles dabei.
Während die Beschäftigten im Gesundheitssektor im Frühjahr noch von Balkonen beklatscht wurden, nahmen die meisten Deutschen bereits im Sommer schulterzuckend hin, dass es für die »Held*innen« dann doch wieder keine Lohnerhöhung geben sollte. Und als die Arbeiter*innen im öffentlichen Dienst und bei den Verkehrsbetrieben in den Warnstreik traten, war sie bei vielen wieder da: die traditionelle Überidentifizierung mit Staat und Kapital. Vorbei die Zeiten, als die Leute unter dem irreführenden Schlagwort »systemrelevant« entdeckten, dass es Tätigkeiten und Berufe gibt, die jeden Tag unser aller Lebensgrundlage in einem handfesten Sinne sichern.
In Wahrheit sind wir alle viel verletzlicher.
Dabei hatten Linke zu Beginn der Pandemie noch Hoffnung: Würde uns das Virus vor Augen führen, dass sich mit bloßer Staatsbürgerlichkeit und Gesetzestreue keine Gesellschaft organisieren lässt? Könnten die Menschen etwas daraus lernen, dass im real gewordenen Zweifelsfall auf der Ebene konkreter Beziehungen über Leben und Tod entschieden wird? Das Virus hätte uns etwas Banales lehren können: darüber, dass das Individuum seinen Mitmenschen prinzipiell ausgeliefert und von ihnen abhängig ist. Etwas darüber, dass das liberale Marktsubjekt, dessen Leben sich wesentlich in den Bahnen seiner freien, rationalen Entscheidungen über Kauf und Verkauf ausdrückt, eine Illusion ist – eine kraftmeierische Illusion obendrein. In Wahrheit sind wir alle viel verletzlicher. Das Virus hätte. Aber hat nicht, stattdessen dominierte auch unter Linken aktivistisches Business as usual.
Egal, wie nun unsere eigenen Corona-Maßnahmen aussehen, ob wir fröhlich unsere Freund*innen und Familien treffen oder uns mit prekärem Computerjob zu Hause eingraben: Dass die gesamte Gesellschaft zum Herbst wieder in den Gesundheitsnotstand schlittern würde, war absehbar, und so ist es auch gekommen. In diesen Tagen sterben wieder täglich dutzende Menschen in Deutschland. Es sind vermeidbare Tode, auch wenn es mit einem Blick in die USA, nach Italien, Belgien oder Brasilien, noch viel schlimmer hätte kommen können.
In der Corona-Pandemie opfern wir Menschenleben auf dem Altar des Kapitals. Denn dass »die Wirtschaft«, diese absurde Metapher, öffentlich gegen das Sterben und Leben von Menschen aufgerechnet werden kann, ohne dass es einen Aufschrei gibt, sagt eigentlich alles über unsere Gesellschaftsform aus. Und doch sollten wir uns nicht zu sehr wundern: Die Unfähigkeit, sich auf das Gattungswesen Mensch, empathisch auf unsere Mitmenschen und durch sie auch auf uns selbst zu beziehen, ist im Kapitalismus ein Feature, kein Bug. Das wusste bereits Onkelchen Marx.