Kampf um al-Baschirs Nachfolge
Die Rivalität zwischen Militär und paramilitärischer RSF im Sudan reicht weit zurück – die internationale Gemeinschaft ignorierte die Warnsignale
Von Mat Nashed
Am Morgen des 15. April weckten Schüsse und Explosionen die Einwohner*innen der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Zwischen den aufsteigenden Rauchsäulen wurde ein seit Jahren befürchtetes Szenario Realität. Die sudanesische Armee (Sudanese Armed Forces, SAF) und die paramilitärischen Rapid Support Forces (Schnelle Unterstützungskräfte, RSF) hatten sich gegenseitig den Krieg erklärt, ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung, die sich jetzt zwischen den Fronten befindet. Innerhalb kürzester Zeit hat sich die Gewalt auch auf den Osten des Landes und das westliche Darfur ausgeweitet.
Die Rivalität zwischen RSF und SAF geht auf die Zeit des autoritären Präsidenten Omar al-Baschir zurück, der 2019 abgesetzt wurde. Dieser rekrutierte und rüstete Anfang der 2000er Jahre arabische Gemeinschaften auf, um Aufstände nicht-arabischer Gruppen niederzuschlagen, die sich gegen ihre Vernachlässigung und Ausbeutung zur Wehr setzten. Al-Baschirs Strategie kostete zwischen 2003 und 2009 mehr als 300.000 Menschen das Leben. Das rief 2005 den Internationalen Strafgerichtshof auf den Plan, der gegen Al-Baschir Anklage wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhob.
2013 wandelte al-Baschir die arabischen Milizen in die RSF um, um seine Herrschaft gegen Putschversuche seiner eigenen Armeeführung und des Geheimdienstes abzusichern. Er stellte Mohamad Hamdan Dagalo, auch bekannt als Hemetti, als Oberkommandeur der RSF unter seine direkte Kontrolle. Seitdem haben die RSF ihre Stellung mittels Goldminen-Deals und der Entsendung von Truppen in den Jemen zementiert, was ihnen Hunderte Millionen US-Dollar einbrachte. Hemetti vertiefte seine Beziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten und kooperierte – wie auch die SAF – mit der berüchtigten russischen Wagner-Gruppe. Dank dieser Mittel und ausländischer Geldgeber*innen wurden die RSF schnell zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz für die SAF.
»Der Konflikt zwischen den Parteien war vielleicht nicht unvermeidbar, aber al-Bashirs Unterstützung für Hemetti war verhängnisvoll«, sagt der unabhängige Journalist Jonas Horner, der zum Sudan schreibt.
Bis vor nicht allzu langer Zeit waren al-Burhan and Hemetti noch Verbündete.
Bis vor nicht allzu langer Zeit waren General und Armeechef Abdel Fattah al-Burhan and Hemetti noch Verbündete. Nach der Absetzung al-Bashirs leitete al-Burhan den Militärrat, der den Übergang zu einer Zivilregierung vorbereiten sollte. Hemetti war sein Stellvertreter im höchsten Staatsorgan des Landes. Die zwei Männer ordneten 2019 auch die gewaltsame Niederschlagung von Protesten an, die ihre Absetzung forderten.
Aus Freund wird Feind
Bei der Auflösung der Sitzblockade vor dem Verteidigungsministerium starben damals mindestens 120 Menschen. Überlebende berichten, dass die RSF das Töten übernahm, während das Militär Zugänge abriegelte, damit die Menschen nicht entkommen konnten. Al-Burhan und Hemetti schlossen sich nach internationalem Druck der breiten politischen Koalition »Zentralrat der Kräfte für Freiheit und Wandel« (FFC) an. Doch für die Verbrechen vor dem Verteidigungsministerium wurde niemand zur Rechenschaft gezogen. Im August 2019 formten SAF, RSF und FFC eine Übergangsregierung.
Während der Übergangszeit inszenierten sich al-Burhan und Hemetti als Hüter der Revolution. Der RSF-Anführer genoss jedoch nicht die gleiche Legitimität wie der offizielle Armeechef. Er heuerte deshalb Berater*innen an, um im Westen für sich zu werben, und baute überall im Land Krankenhäuser und Kliniken. Seine PR-Kampagne überzeugte jedoch nur wenige. Am 25. Oktober 2021 unterstützte Hemetti al-Burhans Putsch gegen die Übergangsregierung. Sowohl die Armee als auch die RSF und weitere unbeliebte bewaffnete Gruppen untergruben den demokratischen Übergang aus Angst, zu viel politische und wirtschaftliche Macht zu verlieren. SAF und RSF kontrollieren lukrative Sektoren wie Gold, Sesam und Gummiarabikum.
»Die USA setzten auf eine Appeasement-Politik gegenüber den Militärs, wohl weil sie glaubten, aus ihnen Reformer machen zu können. Trotz einer populären Bewegung, die einen Diktator abgesetzt hatte, herrschte der Glaube vor, dass der Sudan nicht bereit war für eine Politik ohne das Militär«, sagt Kholood Khair, Gründerin der Khartumer Denkfabrik Confluence Advisory.
Nach al-Burhans und Hemettis Putsch sah es so aus, als würde die internationale Gemeinschaft eine härtere Gangart gegen die Generäle einschlagen. So froren die USA 700 Millionen US-Dollar an Entwicklungshilfe ein, und der Pariser Klub, ein Zusammenschluss von Gläubigern, setzte Schuldenerlasse in Milliardenhöhe aus. Der echte Widerstand kam aber von der Zivilgesellschaft im Sudan, insbesondere von den Widerstandskomitees. Diese hatten mit ihren landesweiten Mobilisierungen zum Sturz von al-Bashir beigetragen. Auch diesmal protestierten die Widerstandskomitees gegen die Putschisten. (Siehe Seite 9) Westliche Diplomat*innen weigerten sich jedoch, die Generäle zu sanktionieren, sagt Khair. Der Westen forderte nur eine Rückkehr zur Übergangsphase, was nichts weiter als ein Euphemismus für eine Partnerschaft zwischen dem FFC, der Armee und den RSF ist.
Mit dieser Quasi-Straffreiheit ausgestattet, begingen al-Burhan und Hemetti nach ihrem Putsch schwere Menschenrechtsverletzungen. Sie töteten mindestens 125 Demonstrant*innen, ließen Tausende entführen und foltern. UN-Diplomat*innen riefen demokratische Gruppen indes dazu auf, mit den Putschisten zu verhandeln. »Die Tatsache, dass alles, was die internationale Gemeinschaft tat, war, die Widerstandskomitees zu Verhandlungen aufzurufen, zeigt, dass es keine rote Linien gab«, sagt die Sudan-Expertin Anette Hoffmann von der Denkfabrik Clingendael Institute.
Während der Verhandlungen im Sommer letzten Jahres stiegen die Spannungen zwischen al-Burhan und Hemetti. Letzterer beschwerte sich im August 2022, dass der Putsch dem Land geschadet habe, da sein Rivale die Islamisten aus der Baschir-Zeit wieder an die Macht gebracht habe. Al-Burhan hatte tatsächlich die alten Parteileute aus al-Baschirs National Congress Party (NCP) wieder in die Verwaltung gebracht, weil es ihm an eigenen Leuten im Apparat mangelte. Auch im Militär besetzte die alte NPC-Fraktion hohe Posten. Hemetti gegenüber waren sie feindlich eingestellt, unter anderem wegen seiner Rolle bei der Absetzung al-Baschirs 2019. Auch aus anderen politischen Lagern befürchteten Generäle, dass Hemettis RSF schon bald stärker werden würde als die Armee.
Dem RSF-General blieb die Spannung im Militär nicht verborgen, weshalb er umdisponierte und sich als Befürworter der Demokratie positionierte mit dem Ziel, seine Macht in einer Zivilregierung zu behalten. Vier Monate später, am 5. Dezember 2022, unterzeichneten beide Männer das von der UN unterstützte Rahmenabkommen, das einen Übergang zur Demokratie in Gang setzen sollte. Die Widerstandskomitees waren gegen dieses Abkommen, aus ihrer Sicht konnten al-Burhan und Hemetti nicht glaubhaft machen, dass sie den demokratischen Prozess respektieren würden. Al-Burhan behauptete, dass er die Vereinbarung unterzeichnet hätte, um die RSF im Zaum zu halten, während Hemetti wiederum argumentierte, er hätte unterzeichnet, um die Militärherrschaft zu beenden.
»Al-Baschir hatte Hemetti mit viel Macht und unbegrenzten Privilegien ausgestattet, er versucht nun, diese Vorteile ohne Rücksicht auf das Land und die Menschen zu behalten«, sagte eine Quelle aus der RSF-Führung.
Trotz des Optimismus westlicher Diplomat*innen stand das Rahmenabkommen von Beginn an vor einer Reihe von Problemen. Es war politisch nicht inklusiv, war unpopulär und überambitioniert. So versprach es, Fragen der Übergangsjustiz oder die Reform des Sicherheitssektors innerhalb nur weniger Wochen oder Tage zu lösen. Normalerweise brauchen solche Prozesse monatelange Gespräche, eine internationale konzertierte Initiative und klare Mechanismen. Selbst dann sind sie nicht immer erfolgreich.
Die Diplomatie drängte auf Einigung
Diplomat*innen und der FFC hatten es jedoch eilig: Erstere wollen eine schnelle Wiederaufnahme der Entwicklungshilfe, um die Wirtschaft zu stabilisieren, letztere waren darauf erpicht, wieder an die Macht zu kommen. Weniger Aufmerksamkeit erhielt die steigende Spannung zwischen SAF und RSF, insbesondere in Bezug auf die Frage der Integration der RSF in die Armee. Während Hemetti dafür einen Zeitraum von zehn Jahren forderte, drängte al-Burhan auf zwei.
Dieser Streit lenkte von wichtigeren Fragen ab. So blieb offen, wann und wie das Militär unter zivile Aufsicht gestellt werden würde und ob dieser Prozess von der Zivilregierung oder dem Militär ausgehen sollte. FFC-Funktionär*innen gossen Öl ins Feuer, als sie sich auf die Seite der RSF stellten in der Hoffnung, dadurch die Rückkehr der NCP-Anhänger*innen zu verhindern.
Trotz der fragilen Situation kündigten FFC und die internationale Gemeinschaft im März an, dass am 1. April ein neues Abkommen unterzeichnet und kurz darauf eine neue Regierung gebildet werden würde. Der Zeitplan verschob sich um Tage nach hinten, nachdem die Armee am 29. März die Arbeitsgruppe zur Reform des Sicherheitssektors abrupt verlassen hatte. Die Spannungen nahmen weiter zu, als die RSF Hunderte Kämpfer in die Hauptstadt verlegten. Aktivist*innen in Darfur berichteten, dass die Armee in der Provinz rekrutiere, um die RSF-Basis dort zu schwächen.
»Diese Krise geht auf das Konto der internationalen Gemeinschaft, mit ihren dummen Aufrufen zu einer schnellen Einigung«, sagt ein*e Diplomat*in hinter vorgehaltener Hand. Hochrangige westliche Diplomat*innen haben die Gefahr eines Krieges nicht kommen sehen, weil viele von ihnen im Osterurlaub waren. Kurioserweise eilten nur wenige von ihnen zurück, auch dann nicht, als die RSF einen Flughafen umzingelten, auf dem sudanesische und ägyptische Kampfflugzeuge stationiert waren. Die SAF sah diesen Zug als Vorbereitung eines Präventivschlags, der darauf abzielte, ihre Luftüberlegenheit zu neutralisieren. Nur Tage später begann der Krieg.
Nun drohen sich die Kämpfe auszuweiten und zu einem Konflikt zu werden, der regionale Mächte und Nachbarländer wie Tschad, Ägypten, Eritrea und Äthiopien hineinziehen könnte. Am Ende weiß niemand, ob die RSF oder die Armee die jeweils andere Seite besiegen werden. Aber ihr Kampf könnte die Region verändern.
Dieser Artikel erschien zuerst in der US-amerikanischen Zeitschrift »New Lines« (www.newlinesmag.com)
Übersetzung: ak