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Streuschüsse bei VW

Der Volkswagen-Konzern zieht gegen die Belegschaft zu Felde und will vor allem eins: spalten.

Von Marvin Hopp

Foto von Daniela Cavallo am Rednerpult, wie sich in zwei Mikrofone spricht.
Daniela Cavallo, Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrats der Volkswagen AG, hat erbitterten Widerstand gegen die geplanten Standortschließungen angekündigt. Foto: Raimond Spekking/Wikimedia Commons , CC BY-SA 4.0

Es brodelt schon länger bei Volkswagen. Seit der »Dieselthematik« (2015/16), wie der Abgasskandal in der Unternehmenskommunikation heißt, kommt der Konzern nicht mehr zur Ruhe. Das jüngste Restaurationsprojekt des Managements läuft unter dem Titel »Performance Programm« und soll die Umsatzrendite mithilfe von 10 Milliarden Einsparungen auf 6,5 Prozent aufpolieren. VW will dafür die Arbeitskosten massiv senken, dafür traut man sich auch wieder das Wort »Standortschließung« in den Mund zu nehmen. Das hatte es zuletzt 2006 gegeben, als VW-Markenvorstand Wolfgang Bernhard Komponentenwerke infrage gestellt hatte. Damals scheiterte er jedoch am Widerstand von Betriebsrat und IG Metall und musste am Ende gehen.

Trotz größerer Krisen wurde bei Volkswagen in der Vergangenheit stets an der Sozialpartnerschaft festgehalten. Sich dauerhaft auf Kriegsfuß mit Betriebsrat und IG Metall zu begeben, wäre VW zu teuer, zu stehen gekommen. Die bisher größte Krise von 1993/94, bei der 30.000 Arbeitsplätze zur Debatte standen, mündete in einer Arbeitszeitverkürzung hin zu einer Vier-Tage-Woche ohne Lohnausgleich, die am Ende 20.000 Arbeitsplätze sicherte. Weitere rund 11.000 verließen überwiegend aus demografischen Gründen das Unternehmen, ihre Stellen wurden nicht nachbesetzt. Ende 1995 arbeiteten immer noch 100.698 Menschen bei Volkswagen. Der damals durchgesetzte Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung schließt betriebsbedingte Kündigungen aus.

30 Jahre ging dieses Modell weitestgehend gut und die Vereinbarungen zu Beschäftigungssicherung wurden immer wieder erneuert, zuletzt bis 2029. Dass nun ausgerechnet jener Tarifvertrag und mit ihm weitere fünf gekündigt wurden, zeigt, wie ernst es dem Porsche & Piech Familienclan (53,3 Prozent Stimmenanteil) und dem Emirat Katar (17 Prozent) um seine Profite ist. Die Rede ist von Beschäftigungsabbau und dass »mindestens ein größeres fahrzeugbauendes Werk und eine Fabrik der Komponente in Deutschland überflüssig« (Zeitung des Betriebsrats) sei. Konkrete Standorte sind bisher nicht im Gespräch.

Mit der Kündigung der Tarifverträge zur branchenüberdurchschnittlichen Bezahlung von Leiharbeiter*innen, der Entgeltregelung für »Tarifplus«-Beschäftigte (Spezialist*innen und Angestellte mit Führungsaufgaben), der Kündigung des Ausbildungstarifvertrages, der eine Einstellung von jährlich knapp 1.400 Auszubildenden und deren unbefristete Übernahme festschreibt sowie der Infragestellung einzelner Standorte tut das Unternehmen das, was Kapitalisten fast immer tun – erst recht, wenn sie eine organisierte Arbeiter*innenschaft vor sich haben: spalten.

Zwischen jung und alt, zwischen Produktionsbeschäftigten und Beschäftigten in den indirekten Bereichen, zwischen den (Ost- und West-) Standorten, zwischen Leiharbeiter*innen und Stammbelegschaft – irgendwo wird das Band der Solidarität am Ende schon Risse bekommen, so ihre Hoffnung.

Irgendwo wird das Band der Solidarität am Ende schon Risse bekommen, so die Hoffnung der Kapitalisten.

Ob sie damit durchkommen, hängt vom Zusammenhalt der Beschäftigten, aber auch von der Zustimmung des Landes Niedersachen ab, das 20 Prozent der Anteile an Volkswagen hält. Auf Basis des VW-Gesetzes kann keine Standortschließung ohne Einvernehmen mit dem Bundesland sowie der Arbeitnehmer*innenvertretung im Aufsichtsrat umgesetzt werden. Doch dies ist nur eine Flanke, an der gekämpft werden muss. Der Streuschuss des Managements eröffnet weitere Konfliktfelder und kommt nicht ohne Grund kurz vor Beginn der Tarifrunde. Den Anfang hat am 11. September die Metall- und Elektroindustrie gemacht, in der die anderen Automobilbauer und -zulieferer integriert sind. Anders als in der jüngeren Vergangenheit, folgt die VW-Haustarifvertragsrunde nicht zeitlich versetzt, sondern wurde auf den 25. September vorgezogen. Die bereits vor dem »Beben« verkündete Forderung nach 7 Prozent Lohnerhöhung und einem Plus von 170 Euro auf die Ausbildungsvergütung eröffnet ein weiteres Feld in der Gemengelage. Nun sind viele Bälle in der Luft. Das VW-Management will sich die Standort- und Beschäftigungssicherung von der Belegschaft und/oder dem Staat (bspw. durch E-Mobilitätssubventionen oder einen Industriestrompreis) teuer bezahlen lassen. IG Metall und Betriebsrat haben dagegen erbitterten Widerstand angekündigt. In Anbetracht des Umfangs des Angriffs spricht man in der Zeitung des IG Metall Betriebsrats nicht ohne Grund von einem »historischen Kräftemessen«.

Marvin Hopp

ist Sozialökonom und Arbeitssoziologe. Vor seinem Studium hat er bei Volkswagen gearbeitet und war dort in der betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessensvertretung aktiv.