Das geht sein‘ hanseatischen Gang
Von Jens Renner
Einen »Finanzkrimi um Steuerraub, Alsterfilz und Politik« meldet die Süddeutsche Zeitung (SZ). Hauptdarsteller ist Olaf Scholz, letzte Hoffnung der SPD auf ein nicht allzu blamables Ergebnis bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr. Schon zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen gerät der »Scholzomat« nun in Bedrängnis – und das auf seinem Spezialgebiet, der Finanzpolitik, wo er als »Mikrokontrolleur« für gewöhnlich auch »kleine Vorgänge« an sich ziehe, so die SZ. Eigene politische Fehler sieht er nicht: Beim Bilanzbetrug des Dax-Konzerns Wirecard habe das von ihm geführte Ministerium das Nötige getan, versichert Scholz. Dabei hatten Mitglieder der Bundesregierung auch dann noch für das Unternehmen international geworben, als es längst Hinweise auf Geldwäsche und gigantischen Betrug gab; am Ende standen Luftbuchungen in Höhe von fast zwei Milliarden Euro.
Gemessen an dieser Summe erscheint der zweite Skandal, in den der letzte sozialdemokratische Hoffnungsträger verwickelt ist, geradezu als provinziell. Es geht um 47 Millionen Euro Steuerschulden der Hamburger Warburg Bank für das Jahr 2009 im Zusammenhang mit betrügerischen Cum-Ex-Geschäften. Ende 2019 ließ die Hansestadt Hamburg ihre Ansprüche an die Bank verjähren – ein teurer Verzicht zulasten der Staatskasse. Wie es dazu kam und wer an dieser Entscheidung beteiligt war, hat der Geschäftsführer und Miteigentümer der Bank, Christian Olearius, in einem Tagebuch minutiös festgehalten. Zusammengefasst sind dort mehrere Gespräche ab Herbst 2016, an die sich der detailverliebte Herr Scholz, seinerzeit noch Hamburgs Erster Bürgermeister, zunächst gar nicht erinnern konnte. Vielleicht weil er dem Banker nur zuhörte, allenfalls dann und wann »kluge Fragen« stellte? So schildert es Olearius, der seinerseits mit einer klaren Linie in die Gespräche ging: Die Steuerforderung müsse vom Tisch, weil sonst die Bank in ihrer Existenz gefährdet sei. »Der Fall hat politische Dimensionen«, schreibt er in sein Tagebuch und kontaktiert weitere einflussreiche Sozialdemokraten: Alfons Pawelczyk (geboren 1933), in den 1980er Jahren knallharter Innensenator und ehemaliger Oberst der Reserve. Den gleichen Rang erreichte Johannes Kahrs (Jahrgang 1963), der sich im Mai 2020 überraschend aus der Politik zurückzog. Beide versprechen dem Banker Hilfe; Kahrs erhält 2017 als Gegenleistung von Warburg 38.000 Euro für den von ihm geführten SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte.
Gemessen an dieser Summe erscheint der zweite Skandal, in den der letzte sozialdemokratische Hoffnungsträger verwickelt ist, geradezu als provinziell.
So steht es in dem von der SZ referierten Tagebuch, in dem auch von einem sieben Seiten langen Text die Rede ist: die Argumentation der Warburg-Anwälte, zusammengefasst für den Bürgermeister und den Senat, die rot-grüne Hamburger Stadtregierung. Scholz habe das Papier unkommentiert seinem Finanzsenator übergeben, dem heutigen Bürgermeister Peter Tschentscher. Ein paar Tage darauf entschied die Finanzbehörde, die Steuerforderung an die Warburg Bank fallen zu lassen. Gleichwohl bestreiten beide Politiker, auf diese Entscheidung Einfluss genommen zu haben. Grundsätzlich spreche er mit jedem, höre zu und stelle Fragen, versicherte Scholz der SZ. Das stimmt wahrscheinlich – wenn man unter »jedem« die wirklich Wichtigen versteht: Entscheidungsträger*innen, die berüchtigten Hamburger »Pfeffersäcke«, den Geldadel. Man kennt sich, man trifft sich bei diversen Anlässen, für die Verständigung reicht auch mal ein Händedruck oder ein schlichtes »Danke«.
Das dürfte anderswo ähnlich laufen; in Hannover gab (gibt?) es die Maschsee-Connection und in Köln den Klüngel. In Hamburg kommt der besondere Dünkel hinzu, die vermeintlich vornehme Diskretion, das »Hanseatische« eben. Dass davon – dank Olearius und seiner Tagebuch-Obsession – ein bisschen was ans Licht kommt, ist begrüßenswert. Vermutlich ist das meiste von dem, was er schildert, legal. Auch wenn seine Anwälte schon mal ins Flunkern geraten: »Einflussnahme unseres Mandanten auf Politik und/oder Verwaltung hat es nicht gegeben.« Eine Formulierung, die an eine ebenso dreiste Lüge erinnert, mit der Olearius‘ Gesprächspartner Scholz nach dem Hamburger G20-Gipfel im Juli 2017 die Öffentlichkeit in die Irre zu führen versuchte: »Polizeigewalt hat es nicht gegeben.« Zumindest rhetorisch ist man also in Hamburgs Wirtschaft & Politik auf Augenhöhe. Die Rollen von »Koch und Kellner« (Gerhard Schröder) dagegen wechseln – zum beiderseitigen Vorteil.