Nationalist im marxistischen Gewand
Der Sieg von Anura Kumara Dissanayake bei der Präsidentschaftswahl in Sri Lanka wirft Fragen hinsichtlich seiner Haltung zur eelam-tamilischen Bevölkerung auf
Der Sieg von Anura Kumara Dissanayake, dem Führer der selbsternannten marxistischen Partei Janatha Vimukthi Peramuna (JVP), bei der Präsidentschaftswahl am 21. September markiert einen Wandel in der politischen Landschaft Sri Lankas. Das Wahlergebnis spiegelt den verbreiteten Wunsch nach radikalen Veränderungen wider. Dissanayake machte hierfür offenbar das attraktivste Angebot. Seine Agenda konzentriert sich stark darauf, die tief verwurzelte Korruptionskultur, die das Land seit Jahrzehnten plagt, zu beenden. Seine wirtschaftspolitischen Vorschläge drehen sich um die Stabilisierung der angeschlagenen Wirtschaft Sri Lankas, die Verbesserung der öffentlichen Dienste und die Bewältigung der Schuldenkrise, die durch jahrelanges Missmanagement und die Herausforderungen nach der Covid-19-Pandemie noch verschärft wurde.
Nach der Wirtschaftskrise 2022 war Sri Lanka auf ein Drei-Milliarden-Dollar-Rettungspaket des Internationalen Währungsfonds (IWF) angewiesen, wobei der IWF selbst warnte, dass es ein schwieriger Weg bis zur Schuldentragfähigkeit sei. Dissanayakes Forderung, das Abkommen neu zu verhandeln, stieß bei der amtierenden Regierung auf Skepsis, da sie befürchtet, dass ein Verzicht auf den Deal zu einer erneuten Krise führen könnte. Während Sri Lanka also weiter mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpft, muss Dissanayake komplexe politische Gewässer navigieren, einschließlich der Kooperation mit verschiedenen Fraktionen im Parlament, von denen einige traditionelle Eliten vertreten, die keine Veränderungen wollen, und Skeptiker*innen aus den eigenen Reihen, die jeder Zusammenarbeit mit dem IWF, auch einer Neuverhandlung des Abkommens, kritisch gegenüber stehen.
Gegen tamilische Autonomie
Eine weitere Herausforderung, vor der Dissanayake steht, ist der Umgang mit den Anliegen der Eelam-Tamil*innen, insbesondere im Norden und Osten des Landes. Seine Haltung zu deren Anliegen ist gelinde gesagt umstritten. So wirft sein Wahlsieg, trotz Dissanayakes marxistischer Neigungen, Fragen hinsichtlich der anhaltenden ethnischen Spannungen in Sri Lanka auf. Der Bürgerkrieg, der 2009 endete, hinterließ tiefe Wunden. Allein in der letzten Phase des Krieges, in der das sri-lankische Militär die Region Mullivaikkal bombardierte, in die sich Hunderttausende Eelam-Tamil*innen geflüchtet hatten, starben mindestens 40.000 der dorthin Geflüchteten, vielleicht noch sehr viel mehr. Auch 15 Jahre später werden Eelam-Tamil*innen weiter vom Zentralstaat marginalisiert. Probleme wie Landraub, Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen gegen Eelam-Tamil*innen und die anhaltende Militarisierung der von ihnen bewohnten Gebiete bestehen fort.
Die sich als marxistisch verstehende JVP hat sich historisch mit dem singhalesischen Nationalismus identifiziert.
Dissanayake wird für seinen scharfen singhalesisch-buddhistischen Nationalismus und seine Verbindungen zu umstrittenen Figuren innerhalb des singhalesisch-buddhistischen Klerus wie Galagoda Aththe Gnanasara, Generalsekretär der nationalistischen Organisation Bodu Bala Sena, kritisiert, ebenso für den Schutz von Kriegsverbrechern aus dem Militär. Seine Partei, die sich als marxistisch verstehende JVP, hat sich historisch mit dem singhalesischen Nationalismus identifiziert und ist gegen die Dezentralisierung von Macht in tamilischen Gebieten und gegen die vollständige Umsetzung des 13. Verfassungszusatzes, der eine begrenzte Autonomie für Provinzräte verspricht.
Auch die Rolle der JVP während des Bürgerkriegs kompliziert Dissanayakes Image in der eelam-tamilischen Gemeinschaft. Während des Konflikts unterstützte die Partei militärische Aktionen gegen tamilische Rebell*innen und sprach sich lautstark gegen Forderungen nach tamilischer Autonomie aus. JVP-Mitglieder, die versuchten, Solidarität mit tamilischen Gemeinschaften aufzubauen, wurden aus der Partei ausgeschlossen. Auch heute noch steht Dissanayake für diese Linie, was es fraglich erscheinen lässt, ob seine Regierung Minderheitenrechte oder das Selbstbestimmungsrecht der Tamil*innen achten wird.
Derweil drängen tamilische Politiker*innen und die Zivilgesellschaft auf die Anerkennung und Selbstbestimmung der Tamil*innen und auf Konsequenzen für Kriegsverbrechen. Die Tamil National Alliance, eine Koalition von eelam-tamilischen Parteien, hatte sogar einen gemeinsamen Kandidaten zur Wahl aufgestellt, Pakkiyaselvam Ariyanenthiran. Er forderte die Schaffung eines plurinationalen Staates und eine Untersuchung der staatlich geförderten ethnischen Säuberungen während des Krieges. Trotz Repression und begrenzter finanzieller Ressourcen erhielt Ariyanenthiran mehr als 220.000 Stimmen, das entspricht einem Wähler*innenanteil von 1,7 Prozent. Sein Programm, das sich auf die politische Autonomie der Tamil*innen und den Kampf gegen die Militarisierungsmaßnahmen der Zentralregierung konzentrierte, könnte durchaus noch mehr Zuspruch erhalten. Mehr als 2,2 Millionen Tamil*innen leben in Sri Lanka, ihr Bevölkerungsanteil wird je nach Quelle auf elf bis 15 Prozent geschätzt. Sollte es Ariyanenthiran gelingen, als zentraler tamilisch-nationalistischer Kandidat einen großen Anteil der Stimmen tamilischer Wähler*innen auf sich zu vereinen, könnte er ein Faktor im Parlament werden. In dieser Wahl war Ariyanenthirans Kandidatur jedoch eher symbolischer Natur.