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Ruinenstädte wie in Gaza

Israels rechte Regierung eskaliert im Westjordanland

Von Jules El-Khatib

Blick auf eine Reihe Häusern an der Spitze eines Hügels, umgeben von Zäunen. In der Mitte weht eine israelische Flagge
Israelische Siedlung im Westjordanland. Alleine 2024 hat Israel mehr Land beschlagnahmt als in den 25 Jahren zuvor. Foto: TrickyH / Wikimedia, CC BY-SA 4.0

Anfang September war die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wieder einmal zu Gesprächen im Nahen Osten. Bewirkt hat sie, wie schon bei den vorherigen Terminen, wenig. Das liegt auch daran, dass trotz der vorsichtigen Kritik an Israels militärischem Vorgehen Deutschland selbst im Westjordanland das Narrativ von Benjamin Nethanjahus rechter Regierung übernimmt.

Bei den Gesprächen mit dem jordanischen Außenminister Ayman Safadi und dem palästinensischen Premierminister Mohammad Mustafa wurde zumindest noch zögerliche Kritik an Israels Kriegsführung in Gaza geäußert. Eine Kritik, die allerdings im starken Kontrast zu den deutlichen Worten Safadis stand, der Israels Völkerrechtsverstöße, die Angriffe auf Zivilist*innen und die vielen Kriegsverbrechen scharf kritisierte. Bei dem Termin in Israel und der anschließenden Pressekonferenz Baerbocks erfolgte dagegen eine mehr oder minder direkte Übernahme der israelischen Regierungserzählung, die nur um die Bitte nach nicht ganz so hartem Vorgehen ergänzt wurde. So erklärte Baerbock, dass es die Hamas und damit indirekt die Palästinenser*innen seien, die die Gewalt ins Westjordanland, wo die Fatah regiert, tragen würden.

700 Palästinenser*innen wurden seit dem 7. Oktober von israelischen Soldat*innen oder Siedlern im Westjordanland getötet.

Mit der Realität hat das nichts zu tun. Davon zeugt nicht nur die seit 57 Jahren anhaltende Besatzung im Westjordanland, sondern auch der immer weiter eskalierende Landraub (2024 hat Israel mehr Land beschlagnahmt als in den 25 Jahren zuvor), der Siedlungsbau auf palästinensischem Land und vor allem die massive Gewalt gegenüber Palästinenser*innen. Das Jahr 2023 war schon vor dem 7. Oktober für palästinensische Kinder im Westjordanland das tödlichste Jahr aller Zeiten. 2024 wird noch blutiger: 700 Palästinenser*innen wurden seit dem 7. Oktober von israelischen Soldat*innen oder Siedlern im Westjordanland erschossen.

Es ist nicht anzunehmen, dass all dies dem deutschen Außenministerium unbekannt ist, ebenso wenig wie die Worte des israelischen Finanzministers und de facto Gouverneurs des Westjordanlands, Bezalel Smotrich: »Unsere Botschaft an die Nachbarn jenseits des Zauns in Tulkarem, Nur Shams, Shuweika und Qalqilya: Wir werden euch in Ruinenstädte wie Gaza verwandeln.«

In Israel und in Palästina ist bekannt, wer für die Eskalation der Gewalt im Westjordanland die Verantwortung trägt: Es ist die Politik Nethanjahus und seiner rechten Regierung, die den Siedlungsbau fördert, die Siedler*innen bewaffnet und die Armee anweist, dort mit harter Hand zu agieren. Israelische Menschenrechtsorganisationen dokumentieren das Unrecht seit Jahrzehnten und berichten von den massiven Verschlechterungen. Die deutsche Außenministerin hätte sich diese Berichte und die der vertriebenen Palästinenser*innen anhören sollen, statt Nethanjahus Wording zu übernehmen. Dass die Berichte der Organisationen zutreffend sind, hat vor wenigen Monaten auch ein Gutachten des IGHs bestätigt, das darüber hinaus alle Länder auffordert, Maßnahmen zu ergreifen, um Besatzung und Siedlungsbau zu verhindern. Bislang hat Deutschland dahingehend nichts getan.

Jules El-Khatib

ist deutscher und israelischer Staatsbürger, mit palästinensischen und deutschen Wurzeln. Er ist Hochschuldozent und Friedensaktivist.