Mit Sturmgewehr und Hakenkreuzabzeichen
Kurz vor Ende des Prozesses gegen den Bundeswehrsoldaten Franco Albrecht könnte die Verhaftung des Angeklagten eine Wende bringen
Von Cihan Balıkçı
In Gerichtsprozessen gegen extrem Rechte gab es schon Angeklagte mit einer klügeren Strategie als Franco Albrecht. Nicht nur, dass er von Beginn an den Prozess als Bühne für sich nutzte und ausgiebig aussagte, wo ihm gute Anwält*innen geraten hätten zu schweigen. Nein, es ist fast schon eine Leistung, ein dreiviertel Jahr vor Gericht zu bestreiten, man habe eine extrem rechte Einstellung, nur um dann kurz vor Prozessende nach Frankreich zu reisen und mit bisher unbekannten Beweismitteln und 23 NSDAP-Abzeichen zurückzukehren. Ergebnis ist, dass Franco Albrecht nach über vier Jahren auf freiem Fuß erneut verhaftet wurde.
Seit Mai 2021 steht der aus Offenbach stammende Oberleutnant der Bundeswehr Franco Hans Albrecht vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Frankfurt. Ihm wird neben dem illegalen Besitz von Waffen und Sprengstoff, Diebstahl jener Waffen und Betrug vor allem vorgeworfen, aus einer radikal-nationalistischen Gesinnung heraus die Ermordung von Politiker*innen und Aktivist*innen geplant zu haben. Die Absurdität des Falls machte nach seiner Verhaftung im April 2017 Schlagzeilen: Der deutsche Oberleutnant der Bundeswehr verschaffte sich Ende 2015 eine Tarnidentität als Geflüchteter aus Syrien. In einem Notizbuch fanden sich nicht nur Notizen zu Politiker*innen und Aktivist*innen, welche für Rechte ein Feindbild darstellen, sondern auch Pläne, einen False-Flag-Anschlag eines Geflüchteten auf eine Gruppe Antifas zu inszenieren und zu filmen. Im Februar 2017 reiste Albrecht mit Freund*innen nach Wien und versteckte dort auf der Flughafentoilette eine Pistole. Wenige Tage später, ausgerechnet am Tag des Wiener Akademiker Balls, einer Netzwerkveranstaltung der (extremen) Rechten mit großen antifaschistischen Gegenprotesten, reiste er wieder zurück und wollte die Waffe aus dem Versteck holen. Diese wurde inzwischen gefunden und Albrecht verhaftet.
Über vier Jahre später und nach Entscheidungen mehrerer Instanzen begann im Mai 2021 der Prozess gegen Franco Albrecht. Dieser fuhr von Beginn an eine offensive Strategie und nutzte die Möglichkeiten, im Prozess zu reden und den Zeug*innen selbst Fragen zu stellen, ausführlich. Seine Verteidigungsstrategie: Die illegal besessenen Waffen, darunter ein Sturmgewehr G3, von dem er bis heute nichts sagen möchte, wo sich dies befindet, habe er nicht besessen, um Anschläge zu begehen, sondern um sich auf einen kommenden Welt- oder Bürgerkrieg vorzubereiten. Rassist oder Antisemit zu sein stritt er vor Gericht stets ab. Diverse Notizen und Sprachmemos von ihm beweisen aber das Gegenteil. Seinen antisemitischen Glauben an eine jüdische Weltverschwörung wiederholte er gar im Gerichtssaal, bestritt aber den Vorwurf des Antisemitismus mit der aberwitzigen Begründung, dies sei kein Antisemitismus, schließlich könne er beweisen, dass er Recht habe, wie der Richter es zusammenfasste.
Reale Gefahr statt schrägem Vogel?
Dass seine Anwälte, die selbst gerne mal tief in die Kiste mit Verschwörungsideologien greifen, diesen juristischen Blindflug mittragen, lässt sich nicht nur mit deren fehlenden Fähigkeiten erklären. Wahrscheinlicher ist, dass Franco Albrecht selbst über die Linie der Verteidigung bestimmen will. Und hierbei scheint sein Geltungsbedürfnis schwerer zu wiegen als eine gute Verteidigung.
Doch die Kombination aus Schrägheit und Geltungsbedürfnis bei Franco Albrecht übertüncht mitunter, wie ernst die Vorwürfe gegen ihn und wie viele Fragen hierzu noch offen sind. Wollte Albrecht tatsächlich im Februar 2017 in eine antifaschistische Demonstration in Wien schießen?
Die akribischen Vorbereitungen, die aus Albrechts Notizen hervorgehen, zeigen, dass dies womöglich nicht dereinzige Anschlag war, den Albrecht plante. In seinen Unterlagen fanden sich auch Notizen zu Annetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung. Im Juli 2016 verschaffte sich Albrecht schließlich illegal Zugang zur Tiefgarage im Haus der Amadeu-Antonio-Stiftung und fotografierte die dort parkenden Autos. Vor Gericht bestritt er, eine Waffe dabei gehabt zu haben und Kahane etwas antun wollen. Er habe mit Kahane nur ein Gespräch führen wollen, gab Albrecht vor Gericht an. Warum er dies ausgerechnet in der Tiefgarage versuchte und parkende Autos fotografierte, konnte er nicht glaubhaft erklären.
Im Juli 2016 verschaffte sich Franco Albrecht illegal Zugang zur Tiefgarage der Amadeu-Antonio-Stiftung und fotografierte die dort parkenden Autos.
Lückenhafte Ermittlungen
Der Einbruch in die Tiefgarage der Amadeu-Antonio-Stiftung ist eines der wichtigsten Indizien der Anklage. Es deutet daraufhin, dass die Notizen über Feindbilder in Politik und Zivilgesellschaft, die Schriften zur Ausführung möglicher Terroranschläge und der illegale Besitz von Waffen nicht als voneinander getrennte Handlungen zu verstehen sind, sondern als zusammenhängende Vorbereitungen für Morde an politischen Gegner*innen. Umso erstaunlicher ist, dass dieses zentrale Indiz um ein Haar nicht Teil der Anklage geworden wäre.
Gleich zwei gerichtliche Instanzen verlangten von den Behörden Nachermittlungen, weil sie überzeugt waren, dass der Fall nicht vollumfänglich ausermittelt wurde. Wichtige Indizien, wie Albrechts Eindringen in die Tiefgarage der Amadeu-Antonio-Stiftung und der Umstand, dass er die Waffe vom Wiener Flughafen laut Bundesanwaltschaft nicht zufällig im Gebüsch gefunden, sondern im Jahr zuvor in Paris gekauft habe, kamen erst durch jene Nachermittlungen ans Tageslicht. Wenn solch wichtige Indizien nur auf äußeren Druck ermittelt wurden, welche Lücken gibt es noch, etwa zu möglichen Netzwerken?
2016 soll Franco Albrecht an Treffen des »Jagsthausener Kreises«, eines elitären Zirkels von rechten Militärs, Geheimdienstler*innen und Politiker*innen, teilgenommen haben. Ein paar Monate später soll er laut Manuskript eine Rede beim »Preußen Abend« in München gehalten haben, einer seit Jahren bestehenden Veranstaltung der Münchener Nazi- und Holocaustleugnerszene. Wer führte ihn in diese teils elitären Kreise ein? Auch die Details über seineKontakte zum Hannibal-Netzwerk sind nicht gänzlich geklärt. Albrecht war Teil der Chatgruppe Süd im rechten Prepper-Netzwerk um den KSK-Soldaten Andre S. alias Hannibal und nahm an mindestens zwei persönlichen Treffen teil.
Unklarer Prozessausgang
Wussten Personen aus Albrechts Umfeld von seinen mutmaßlichen Plänen? Sein Mitsoldat Maximilian Tischer und ehemaliger Mitarbeiter der AfD im Bundestag, verfasste laut BKA eine Liste mit Personen, die in der extremen Rechten als politische Feind*innen bekannt sind, und die Überschneidungen aufweist mit Notizen von Franco Albrecht. Maurice R., ein in Wien lebender und aus Frankfurt stammender ehemaliger Soldat und heutiger Reservist, telefonierte mit Albrecht kurz vor und nachdem dieser die Waffe am Flughafen versteckte. Bilder des Verstecks in einer Chatgruppe mit Albrecht kommentierte er mit einem Smiley. Wusste er von der dort versteckten Pistole? Und wo sind die noch immer verschwundenen Waffen von Franco Albrecht?
Wenn in wenigen Wochen das Urteil verkündet wird, werden noch viele Fragen unbeantwortet sein. Eine klare Prognose zum Urteil ist nicht möglich. Ursprünglich wollte das OLG Frankfurt den Prozess gar nicht erst zulassen, sondern äußerte, dass es nicht überzeugt sei, dass Franco Albrecht einen Anschlag plante, der kurz vor der Ausführung stand. Erst der Bundesgerichtshof musste dem OLG widersprechen, sodass es widerwillig den Prozess aufnahm. Dies versprach zunächst keine besonders guten Aussichten für eine Verurteilung des gut ausgebildeten Soldaten. Doch die erneute Verhaftung Franco Albrechts könnte dies möglicherweise ändern. Kurz vor Redaktionsschluss erwähnte der Vorsitzende Richter in einem Nebensatz, dass Albrecht in Untersuchungshaft sitze, weil das Gericht zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens überzeugt sei, dass er Anschläge vorbereitet habe. Ein klarer Ausblick auf das Urteil ist dies nicht. Doch es wird spannend, wenn in wenigen Wochen das Urteil gesprochen wird.