Imageprobleme bei Putin-Freund*innen
Marine Le Pen und Eric Zemmour streiten um den rechten Zugriff auf das französische Präsidentenamt – der Ukraine-Krieg kommt ihnen nun in die Quere
Von Bernard Schmid
Antifaschismus heißt Busfahren« lautet eine bekannte linke Parole. Auch Neofaschismus bedeutet jedoch manchmal Busfahren. Der extrem rechte Bürgermeister der südfranzösischen Stadt Perpignan, Louis Aliot, machte sich Anfang März entsprechend auf den Weg. Sein Ziel war die polnische Ostgrenze – hier holte er persönlich ukrainische Kriegsflüchtlinge ab, die in der von ihm seit Juli 2020 regierten Stadt aufgenommen werden sollten.
Dies klingt ungewöhnlich für den Vertreter einer eindeutig aus dem Neofaschismus kommenden französischen Partei. Vormals trug sie noch den Namen Front National (FN), 2018 wurde sie in Rassemblement National (RN/Nationale Sammlung) umbenannt. Doch kurz vor der entscheidenden französischen Präsidentschaftswahl in zwei Durchgängen am 10. und 24. April gilt es, ein Umfragetief zu überwinden.
Dieses wurde verursacht durch das politische Erdbeben, das der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöst hat. Die RN-Vorsitzende und Kandidatin Marine Le Pen wie auch ihr extrem rechter Konkurrent Eric Zemmour waren bis zur Invasion noch mit einer klaren Bewunderung für den russischen Autokraten Wladimir Putin aufgefallen. Zemmour hatte im Dezember 2021 eine eigene Partei namens Reconquête! (Rückeroberung) gegründet – bezüglich des russischen Politikvorbildes war man sich jedoch offenbar einig.
Marine Le Pen hatte ihren ersten Wahlkampf 2011 bis 2012 explizit mit dem Ziel geführt, mit Wladimir Putins Russland eine Allianz einzugehen – auf Kosten der Bindung an die USA und die EU. In ihrem zweiten Präsidentschaftswahlkampf 2017 besuchte sie Putin dann persönlich. Sie ließ sich mit ihm zusammen fotografieren, um ihre weltpolitische Bedeutung zu unterstreichen. Eine Broschüre mit dem Bild sollte im diesjährigen Wahlkampf in einer Auflage von 1,2 Millionen Ausgaben unter das Wahlvolk gebracht werden. Nach Bekanntwerden des russischen Krieges wurde sie eingestampft.
Druck durch den Krieg
Marine Le Pen stand unter Druck. Wohl, um nicht als Diktatorenunterstützerin zu gelten, bejahte sie in einer Fernsehsendung Anfang März die Frage eines Journalisten, ob die EU nun »Hunderttausende ukrainische Flüchtlinge« aufnehmen solle. Als es 2021 nach der Machtübernahme der Taliban noch um die Schutzsuchenden aus Afghanistan ging, hatte sich ihre Partei anders positioniert.
Le Pen versucht mittlerweile, ihre Position zu erklären. Ukrainische Flüchtlinge seien nicht nur »europäische und unserer Kultur näher stehende« Schutzsuchende, es gebe auch objektive Unterschiede. Der Politikerin zufolge seien aus Syrien und Afghanistan »vor allem junge Männer im wehrfähigen Alter ausgewandert, die ihre Frauen zurückließen«. Aus der Ukraine hingegen kämen »Frauen und Kinder, während die Männer an die Front gingen«. Le Pen forderte gleichzeitig, dass syrische Geflüchtete in den arabischen Golfstaaten aufgenommen werden sollen – wo sie jedoch niemand haben möchte.
Zemmour wiederum hatte noch vor kurzem ganz direkt »einen französischen Putin« gefordert. Auch sonst zeigt er sich wenig zurückhaltend. Kein Wunder, ist er doch auch in erster Linie ein Ideologe. Zu seiner Kandidatur angespornt hatte ihn unter anderem Patrick Buisson. Er war zuletzt Berater des konservativen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und davor Chefredakteur der extrem rechten Wochenzeitung Minute. Zemmour selbst arbeitete als Journalist bei der konservativen Tageszeitung Le Figaro sowie als Kommentator bei mehreren Fernsehsendern.
Marine Le Pen hatte ihren ersten Wahlkampf explizit mit dem Ziel geführt, mit Wladimir Putins Russland eine Allianz einzugehen.
Anders, als vielfach der Eindruck existiert, ist er jedoch nicht ein »gewöhnlicher« Konservativer, der sich radikalisiert hat. Wie der Fernseh-Dokumentarfilm »Zemmour, une obsession française« (Zemmour – eine französische Obsession) belegt, hatte Zemmour bereits vor Jahren Kontakte zur extremen Rechten. Seine Redaktion hatte ihn 1997 ausgesandt, um über die Wahlkämpfe des damaligen Front National zu berichten. Daraufhin verfiel er einer Faszination und begann, sich privat mit dem damaligen Chefideologen der extrem rechten Partei, Bruno Mégret, zu treffen. Mégret, der sich ansonsten weitestgehend aus der Politik zurückgezogen hat, zählt heute zu den prominenten Unterstützer*innen Zemmours.
Dieser erklärte jüngst, dass er es lieber sehe, wenn die ukrainischen Flüchtlinge »in Polen bleiben«. Die verbalen Ausfälle Zemmours halfen Marine Le Pen, zunehmend als moderate bürgerliche Kandidatin zu erscheinen. Ihr Rivale eckte unter anderem auch damit an, dass er Mitte Januar den »Inklusionswahn« bei Schüler*innen mit Behinderungen kritisierte. Die Heranwachsenden wolle er nicht länger in Regelschulen integrieren, sondern tendenziell in gesonderte Bildungseinrichtungen abschieben. Ein Vorhaben, das selbst vom RN und führenden Konservativen schnell als unmenschlich kritisiert wurde.
Unterdessen überraschte Le Pen damit, dass sie bei einem Auftritt erklärte, künftig auf die Forderung nach dem Verbot der Doppelstaatsbürgerschaft zu verzichten. Da einige »Herkunftsstaaten von in Frankreich lebenden Ausländern ihnen nicht den Verzicht auf ihre bisherige Staatsangehörigkeit erlaubten«, sei dies möglich. Ihre Partei fühlte sich allerdings durch das Vorpreschen der Chefin teilweise vor den Kopf gestoßen.
Letztlich verloren jedoch beide Kandidaturen der extremen Rechten aufgrund des Ukraine-Krieges an Boden. Kamen sie kurz vor dem Jahreswechsel 2021/2022 in Umfragen zusammen auf bis zu 34 Prozent der Wahlabsichten, sanken diese am ersten Märzwochenende auf gut 27 Prozent.
Noch keine rechte Allianz
Eine Allianz besteht jedoch nicht: Marine Le Pen und das Führungspersonal des RN gelten in konservativen Kreisen als weitgehend bündnisunfähig, insbesondere auch, weil sie dem bei der konservativen Hauptpartei Les Républicains (LR) verbreiteten Wirtschaftsliberalismus eine ausgeprägte soziale Demagogie entgegensetzen. Zemmour erklärte dagegen von Anfang an, er wolle den RN ohne seine Führung einerseits und die Konservativen andererseits zu einem Block zusammenschweißen. Damit solle die politische Rechte wieder mehrheitsfähig werden in Frankreich. In seinen Augen hatte eine »künstliche« Spaltung zwischen dem RN und den bürgerlichen Rechten seit Jahrzehnten einen gemeinsamen Kampf verhindert.
Wahlen in Frankreich
Am Ende gibt es sie im Dutzend: Zwölf Kandidaturen zur französischen Präsidentschaftswahl im April wurden am 7. März offiziell zugelassen. Dafür waren 500 ordnungsgemäß ausgefüllte Unterstützungsformulare von Stadtoberhäuptern und Parlamentsmitgliedern – vom Kreisparlament aufwärts – erforderlich.
Zwei Kandidaturen kommen aus der radikalen Linken – Philippe Poutou von der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) und Nathalie Arthaud von der traditionstrotzkistischen Kleinpartei Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf). Vier zählen zur Linken im weiteren Sinne, vom KP-Kandidaten Fabien Roussel über den Linkssozialdemokraten Jean-Luc Mélenchon und den Grünen Jannick Yadot bis zur sozialdemokratischen Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo. Das gesamte linke Lager, von trotzkistisch bis rechtssozialdemokratisch, dürfte jedoch in diesem Jahr über höchstens 25 Prozent der Stimmen nicht hinauskommen. Der Pyrenäenbauer und -bürgermeister Jean Lassalle ist politisch unberechenbar. Valérie Pécresse vertritt die Konservativen. Rechts von ihr treten Marine Le Pen (Rassemblement national), der Ex-Journalist Eric Zemmour und der Nationalkonservative sowie Impfkritiker Nicolas Dupont-Aignan an.
Absoluter Favorit ist jedoch Amtsinhaber Emmanuel Macron. Schwere internationale Krisen wie der Ukrainekrieg begünstigen in aller Regel bereits regierende Präsidenten, da diese sichtbar handeln können, wo Andere nur beobachten dürfen, und viele Stimmberechtigte ihr Sicherheits- und Stabilitätsbedürfnis in einem solchen Kontext ausdrücken wollen. Im Laufe der zweiten Märzwoche kletterte Macron, hinter dem zuvor laut Umfragen rund 25 Prozent der Stimmbevölkerung standen, auf über 33 Prozent der Wahlabsichten. Einen Wahlkampf zu Programminhalten wird er voraussichtlich gar nicht gestalten, abgesehen davon, dass er am 7. März die Abschaffung der Fernsehgebühren versprach. Eine Woche später fügte Macron den Programmpunkt einer Anhebung des Renten-Mindestalters von derzeit 62 auf 65 Jahre hinzu. Er scheint zu hoffen, dass ihm dies bei einem Teil der öffentlichen Meinung als »Mut zu Reformen« honoriert wird und dass der andere Teil derzeit hinreichend abgelenkt oder demoralisiert sei. Bernard Schmid
Eine relative Stärke Zemmours besteht darin, dass es ihm auf der Ebene des politischen Personals tatsächlich gelungen ist, bisherige Vertreter*innen sowohl vom RN als auch von LR zum Überlaufen zu bringen. So gewann er vom RN etwa die Nichte der Vorsitzenden, Marion Maréchal, den Senator Stéphane Ravier sowie den Anwalt und früheren Abgeordneten Gilbert Collard. Vom LR wechselte beispielsweise der frühere Vizevorsitzende Guillaume Peltier.
Eine erhebliche Schwäche zeigt er jedoch bei der Herausforderung, den derzeit größten Widerspruch zwischen beiden Rechtskräften aufzulösen: ihre zumindest auf verbaler Ebene stark auseinander strebenden Positionierungen bei der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Zemmour trägt im Kern nichts zu einer Lösung bei. Mal erklärt er die sozialen Fragen für unwichtig, mal übernimmt er weitgehend einfach den wirtschaftsliberalen und elitären Diskurs der konservativ-wirtschaftsliberalen Rechten von LR. Den sozial-nationalistisch argumentierenden Teil des RN und die dadurch angezogene Wählerschaft wird Zemmour damit nur schwerlich in ein Allianz integrieren können.
Der RN vertritt zumindest auf dem Papier schon seit den 1990er Jahren ein ausgeprägtes Sozialprogramm. Dessen konkrete Finanzierung beruht zum Großteil auf imaginären Vorstellungen, etwa der Annahme, allein durch die Bekämpfung von »bürokratischer Verschwendung und Sozialbetrug« ließen sich bei der Krankenversicherung gigantische Einsparungspotenziale erzielen.
Zemmour hatte daran lange Zeit kein Interesse. Der Wahlkampf zwingt ihn nun jedoch dazu, stärker auch soziale Themen anzusprechen. Im Kern verspricht Zemmour allerdings nur, die Nettolöhne in den niedrigen Lohngruppen um rund 100 Euro zu erhöhen. Dies will er erreichen, indem er Sozialleistungen vom Brutto- auf den Nettolohn umlegt. Die Gelder würden demnach den Beschäftigten am Monatsende ausbezahlt, jedoch gleichzeitig bei der Finanzierung ihrer Renten oder Krankenkassenbeiträge fehlen.
Diese Idee ist uralt und in der politisch Rechten bekannt. Jean-Marie Le Pen, der extrem rechte FN-Politiker und Vater von Marine Le Pen, legte sie in einem 1978 von ihm veröffentlichten Buch ausführlich dar. Auch Konservative beziehen sich immer wieder positiv auf das Konzept.