Es ist die Zeit der Brandbeschleuniger
Die Radikalisierung der Querdenker-Szene kommt nicht überraschend, doch sie entwickelt eine neue Wucht, analysiert Josef Holnburger im Interview
Interview: Carina Book
Die Organisation CeMAS und viele andere warnen schon lange vor heftigen Gewaltausbrüchen. Nachdem bereits im September ein Mord durch einen Corona-Leugner in Idar-Oberstein begangen wurde, erschüttern nun Berichte über einen Mehrfachmord in Königs Wusterhausen die Öffentlichkeit: Am 7. Dezember wurde bekannt, dass ein Mann sich und seine Familie getötet hatte. Er gehörte der Querdenker-Szene an. Wie sich die Szene entwickelt hat und was zu befürchten steht, erzählt Josef Holnburger vom Thinktank CeMAS.
Die Fälle von Gewalt- und Tötungsdelikten aus der Querdenker-Szene mehren sich. In der Öffentlichkeit wird in dem Zusammenhang über »Maskenstreits« oder »Maßnahmen-Verweigerer« gesprochen. Beschreiben diese Begriffe die Taten korrekt?
Josef Holnburger: Diese Begriffe verharmlosen die Radikalisierung, die wir in der Querdenker-Szene beobachten und erschweren die politische Einordnung. Darüber hinaus gibt es keine statistischen Erfassungen darüber, wie viele Gewalttaten beispielsweise im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Corona-Maßnahmen begangen wurden. Wie oft wird Personal in Zügen, Kneipen oder Restaurants angegriffen? Wir wissen es schlicht nicht. Und dies verzerrt die Erfassung von Straftaten in diesem Zusammenhang erheblich.
Dabei sind doch Morddrohungen, Angriffe auf Journalist*innen, Ärzt*innen oder Politiker*innen inzwischen allgegenwärtig.
Reagiert wird darauf mit solchen Aktionen wie dem »Tag gegen digitale Gewalt«, bei dem die Polizei 37 Hausdurchsuchungen durchgeführt hat und damit medial zeigen konnte: Hey, wir tun doch was. Tatsächlich hat es auch eine Festnahme gegeben. Der Täter hatte am Telefon Morddrohungen gegenüber Ärzt*innen ausgesprochen, sich dabei aufgenommen und diese Morddrohungen dann über Telegram veröffentlicht. Zudem hat er seine Anhänger*innen dazu angestachelt, es ihm gleich zu tun, und er hat zahlreiche »Todesurteile« ausgesprochen. Das war vor neun Monaten. So lange hat es gedauert, bis so jemand Konsequenzen spürt.
Man könnte meinen, wir würden über Reichsbürger*innen sprechen und nicht über Querdenker*innen.
In dem eben genannten Fall ging es tatsächlich um einen Reichsbürger und um einen Anhänger der QAnon-Erzählung. Kein Einzelfall. Wir wissen, dass sich Michael Ballweg schon im Sommer mit Peter Fitzek, dem selbst ernannten König von Deutschland, getroffen hat. Die Demonstrationen im Sommer 2020 von Querdenken wurden von einer Veranstaltung begleitet, bei der eine verfassungsgebende Versammlung abgehalten werden sollte. Solche Ansinnen kennt man schon lange von Reichsbürger*innen. Es wird suggeriert, dass es keine Verfassung gebe und erst eine durch »das Volk« geschrieben werden müsse. Bis in die Führungsspitzen von Querdenken hinein hat man sich Narrative und Personal aus der Reichsbürger-Szene einverleibt. Hinzu kommt die Bewaffnung der Reichsbürgerszene. Zu rechnen ist also auch mit einer steigenden Bewaffnung in der Coronaleugner-Szene rechnen – konkrete Zahlen gibt es dazu aber nicht.
Welche Effekte sind durch eine mögliche Impfpflicht zu erwarten?
Mit der Impfpflicht werden wir noch härtere Reaktionen aus der Szene spüren. Das hat mehrere Gründe: Zum einen steigt der Handlungsdruck, und für die Coronaleugner-Szene ist die Impfpflicht ein absolut rotes Tuch. Des Weiteren wird die Frustration wachsen, weil weder Straßenmobilisierungen noch Petitionen nennenswerte Auswirkungen gehabt haben. Inzwischen stellt sich auch die Erkenntnis ein, dass sich die Querdenker in der gesellschaftlichen Minderheit befinden – anders als von Querdenken und Co. immer behauptet wurde. Viele Querdenker*innen sind nun der Meinung, dass sie nun Gewalt anwenden müssen, wenn sie schon keine Mehrheiten gewinnen können. Doch die zu erwartende Gewalt darf kein Grund sein, Corona-Maßnahmen nicht durchzusetzen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass man die Gewaltausbrüche der Querdenker-Szene durch präventives Einknicken verhindern könnte. Es geht den Querdenkern nur vordergründig um die Corona-Maßnahmen. Die Motive für den Protest sind austauschbar. Wenn die Pandemie vorbei ist, wird dieses Milieu ein neues Vehikel finden, mit dem mobilisiert werden kann.
Sie reden von der letzten Chance und nehmen das Widerstandsrecht für sich in Anspruch.
Auf Querdenken-Bühnen wurde ja bereits vor dem Klima-Lockdown gewarnt. Wird die Klimawandel- die Corona-Leugnung ablösen, wenn die Pandemie vorbei ist?
Ja, es ist damit zu rechnen, dass jede Maßnahme zur Begrenzung der Klimakatastrophe für diese Szene ein Argument sein dürfte, um weiter zu eskalieren. Aber für eine Eskalation braucht es nicht einmal reale Ereignisse. Erfindungen wie die Erzählung vom »Great Reset« oder vom »Großen Austausch« reichen, um gut mobilisieren zu können.
Über die letzten Monate musste man vermehrt Shoah-Leugnungen oder Relativierungen auf Demonstrationen feststellen. Ebenso kommt es bezüglich der Pandemie-Bekämpfung zu zahlreichen NS-Vergleichen. Die Corona-Leugner*innen stellen sich mit NS-Verfolgten und Widerstandskämpfer*innen in eine Reihe. Welche Rolle spielen diese Narrative in der aktuellen Radikalisierung?
Die Corona-Leugner haben sich in einem Gedankengebäude eingerichtet, in dem sie sich in einem Endkampf befinden. Sie reden von der letzten Chance und nehmen das Widerstandsrecht nach Artikel 20 Absatz 4 für sich in Anspruch. Dieser Paragraf wurde schon sehr früh ins Feld geführt, und diese Rhetorik verfängt umso stärker, je häufiger sie wiederholt wird.
Josef Holnburger
ist zusammen mit Pia Lamberty Geschäftsführer bei CeMAS, einer gemeinnützigen Organisation, die eine interdisziplinäre Expertise zu Themen wie Verschwörungsideologien, Antisemitismus und Rechtsextremismus erarbeitet. Seit Jahren forscht er zur Verbreitung von Verschwörungserzählungen, Desinformation, Antisemitismus und Rechtsextremismus insbesondere auf alternativen Plattformen wie Telegram.
Das dürfte Wasser auf die Mühlen von Pegida oder Björn Höcke sein, die schon seit 2016 mit dem Widerstandsparagrafen um sich werfen…
Der Bayerische Rundfunk hat kürzlich geleakte Telegram-Chats der AfD Bayern veröffentlicht, in denen die Hoffnung auf einen baldigen Ausbruch des Bürgerkrieges geäußert wird. Jetzt ist die Zeit der Brandbeschleuniger, der Akzelarationisten, die Öl ins Feuer gießen in der Hoffnung, dass es zum Umsturz und im Zuge dessen zu einer nationalen Revolution kommt.
Vor einigen Monaten sah es so aus, als würden zumindest die neu-rechten Akteure die Querdenker mit Argwohn betrachten. Zu viele Hippies, zu abgedrehte Leute, wenig Potenzial für die Ziele der neuen Rechten.
Das stimmt. Die Identitären hatten sich beispielsweise kurzzeitig aus den Protesten zurückgezogen. Das fanden sie zu viel Gerede über »Wir sind alle eins« und zu wenig »Geschlossene Grenzen jetzt«. Mit Querdenken sehen sie aber jetzt das Potenzial, viele Menschen zu mobilisieren. In Österreich ist die Coronaleugner-Szene ohne FPÖ und Identitäre nicht mehr denkbar. Sie knüpfen an das verschwörungsideologische Milieu an und setzen sich avantgardistisch an die Spitze des Protestes.
Der AfD in Deutschland ist das bisher noch nicht so umfassend gelungen. Es gibt mit der Basis noch ein Parteiprojekt neben der AfD.
Das hat mehr mit der personellen Aufstellung der AfD selbst zu tun als mit den Corona-Leugner*innen. Jörg Meuthen hat immer versucht, mit verschiedenen Bällen gleichzeitig zu jonglieren. Er wollte den Befürworter*innen der Maßnahmen in der eigenen Klientel nicht vor den Kopf stoßen und gleichzeitig die verschwörungsideologischen Potenziale einsammeln. Meuthen ist gescheitert und wird künftig keine große Rolle mehr in der AfD spielen. Das macht Platz für Björn Höcke oder den AfD-Mann aus Bayern, Peter Boehringer. Und diese Leute werden den Schulterschluss suchen. Eine Partei wie die Basis wird dann in der Bedeutungslosigkeit versinken.
In Österreich und Deutschland sind die Proteste eindeutig rechts. In Ländern wie den Niederlanden oder Frankreich ist das anders. Die Proteste zum Beispiel in Guadeloupe haben einen antikolonialen Einschlag. Woher kommt es, dass sich die Ausrichtungen so stark unterscheiden?
Es gab die Bestrebungen, sich international stärker zu vernetzen. Das ist aber immer an den unüberbrückbaren Differenzen zwischen den Akteuren, die die Bewegungen in den jeweiligen Ländern anführen, gescheitert. Das Spezifikum im deutschsprachigen Raum ist, dass die Impfgegnerschaft vor allem aus extrem rechten und rechtspopulistischen Motiven getrieben ist. Und in anderen Ländern eben nicht.
Wieso ist das so?
Die extreme Rechte in Deutschland hat historisch Impfungen immer schon antisemitisch aufgeladen und als »jüdische Medizin« abgelehnt. Und die NSDAP hat Homöopathie als »germanische Heilkunst« gefördert und sich gegen die Schulmedizin gestellt, mit der man den »gesunden Volkskörper« erhalten wollte. Diese Erzählungen waren nie weg und können jetzt aufgewärmt und verbreitet werden.
Als Thinktank CeMAS analysiert ihr die Szene nicht nur, ihr beratet auch Politiker*innen und Organisationen. Was sagt ihr denen?
Eines der größten Probleme ist: Es gab und gibt ein präventives Einknicken. Die Corona-Schutzmaßnahmen wurden nie konsequent durchgesetzt, weil man staatlicherseits Angst vor den Reaktionen hatte. Die Impfpflicht wurde ohne Not von vornherein ausgeschlossen. Insbesondere in Sachsen ist die Lage auch durch die rechtsextreme Kleinstpartei »Freie Sachsen« höchst bedrohlich. Dort hat der Innenminister Roland Wöller die Position vertreten, man könne die Proteste nicht gewaltsam auflösen, da mit Gegenwehr zu rechnen sei – erst jetzt gesteht man ein, dass diese Taktik ein Fehler war. Gegen Gegendemonstrationen allerdings ging die Polizei hingegen immer schon entschieden vor.