Die Versprechen des Militärs
Nach dem Putsch in Burkina Faso verharren viele Menschen in kritischer Beobachtung, sagt Hamado Dipama
Interview: Paul Dziedzic
Am 24. Januar übernahm das Militär in Burkina Faso die Macht. Die abgesetzte Regierung unter Roch Kaboré war 2015 und 2020 gewählt worden. Möglich gemacht hatte das der Aufstand von 2014, angeführt von der Bewegung Balai Citoyen, die den 27 Jahre lang regierenden Blaise Compaoré gestürzt hatte.
Du warst vor kurzem in Burkina Faso. Hast du den Putsch mitbekommen?
Hamado Dipama: Ich war schon seit Weihnachten da und sollte Ende Januar zurück kommen, aber es gab Ausgangssperren und deswegen war ich erst im Februar zurück.
Dem Putsch war ein Aufstand in Kasernen vorausgegangen, der dann mit der Auflösung der Zivilregierung von Roch Kaboré endete. Was war die Begründung des Militärs für den Putsch?
Das ist eine Frage, die sich viele in Burkina Faso stellen, ich frage mich das auch. Dennoch war klar, dass die Regierung Kaboré viele Schwierigkeiten hatte. Das Vertrauen der Bürger*innen in die Regierung war einfach nicht mehr da. Das hatte vor allem mit der Sicherheitslage des Landes zu tun, weil der Terror in weiten Teilen des Landes weiter wütete. Am 23. Januar gab es einen kleineren Aufstand in einigen Kasernen, erst ging es auch nicht darum, dass die Aufständischen eine Auflösung der Regierung forderten, sie wollten erstmal nur ihre Unzufriedenheit mit der eigenen Führung im Militärapparat bekannt geben. Dann folgte erst am nächsten Tag der Putsch. Am 24. in der Früh stand in allen Medien, das Militär habe die Macht übernommen, und es hieß, es würde bald eine Erklärung geben. Aber fast den ganzen Tag lang kam keine Erklärung. Kaboré hatte seine Sicherheit in die Hand von Gendarmerie und Polizei gelegt und die hatten den Präsidenten in Sicherheit gebracht. Wir haben Glück gehabt, dass die zwei Blöcke der Sicherheitsorgane nicht aneinandergeraten sind. Das wäre eine Katastrophe für das Land gewesen. Die Bevölkerung ist Kaboré dankbar dafür, dass es kein Blutvergießen gab. Was wir noch mitbekommen haben: Als er die Entscheidung getroffen hat, abzudanken, gab es sogar ein Angebot von den Franzosen, ihn per Helikopter in Sicherheit zu bringen. Der Präsident hat aber abgelehnt und meinte, er würde das Land nicht verlassen.
Hamado Dipama
ist 2002 aus Burkina Faso nach Deutschland geflohen. Er ist Sprecher des bayerischen Flüchtlingsrats und engagiert sich politisch für die Belange von Geflüchteten, Migrant*innen und insbesondere Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland. Er ist Gründer des Arbeitskreises Panafrikanismus München e.V. sowie Mitbegründer des Zentralrats der afrikanischen Gemeinde in Deutschland.
Wie hast du die Stimmung wahrgenommen?
Ich und viele andere halten das für einen demokratischen Rückschritt. Der Volksaufstand 2014 hat einen demokratischen Prozess ermöglicht. Daraufhin gab es auch zwei demokratische Wahlen. Trotz all der Unzufriedenheit war der Präsident gewählt worden. Wir denken, die Situation hätte anders gelöst werden können. Ich habe es in den Medien in Burkina Faso auch so gesagt: Das Militär hat den Putsch damit begründet, dass der Präsident es nicht schafft, das Land in eine sichere Lage zu bringen. Aber dann frage ich mich, das seit doch ihr, die Militärs und Sicherheitsleute, die das Land sichern müssen. Damiba, der jetzt die Macht übernommen hat, wurde noch im Dezember als Kommandant in den Norden beordert, wo die Sicherheitslage kompliziert ist. Die hätten einfach ihre Aufgabe machen müssen, anstatt zu putschen. Regieren ist ja keine Aufgabe des Militärs.
Andererseits denken jetzt viele in Burkina Faso, wenn die Militärs also schon an der Macht sind – daran können wir jetzt sowieso nichts mehr ändern – wünschen wir uns, dass die Militärs die vielen guten Ansätze, die sie in ihrer Erklärung gemacht haben, zumindest respektieren. Sie haben versprochen, die Integrität des Landes wiederherzustellen, die Korruption, vor allem in der Verwaltung, zu bekämpfen. Wenn sie auch die neokolonialistische Politik mit Frankreich beenden, dann sind wir hinter ihnen. Die Mehrheit der Menschen ist erstmal in einer Beobachtungsphase: In welche Richtung geht die Reise mit dem Militär an der Macht?
Gibt es einen Transitionsprozess, der die Zivilgesellschaft einbezieht?
Es gab ein Komitee, das ein Konzept erarbeitet hat, wie die Transition laufen soll. Im Komitee waren Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft, Politik und Wissenschaft. Sie hatten zwei Wochen Zeit, das Konzept zu erarbeiten. Dann wurden die Vorschläge des Komitees an das Militär übergeben. Einer der vielen Vorschläge des Komitees war, dass die neue Regierung in maximal 30 Monaten gewählt wird. Nun wurde für drei Jahre die Übergangsregierung mit 25 Minister*innen gebildet und der Chef-Putschist als Interimspräsident eingesetzt.
Gab noch weitere Ideen außer der Wahl, die im Transitionsprozess diskutiert wurden?
Das sind sehr viele. Die Frage der Ethik ist ein großes Thema, auch in den Vorschlägen, die bei den Militärs auf dem Tisch liegen. Es geht darum, dass ein ganz anderes Verständnis von Politik geschaffen werden muss. Zum Beispiel muss die Parteienlandschaft neu organisiert werden. Viele tragen nur den Namen Partei, sind aber kaum größer als irgendein kleiner Verein. Nach Wahlen gibt es dann Zusammenschlüsse von vielen Parteien in Regierungsbündnissen, wo das Kalkül der kleinen Parteien ist, an Posten zu kommen. Und es geht auch um die Entpolitisierung der Verwaltung. Posten werden nach politischen Beziehungen vergeben. Ein neuer Minister platziert seine Leute und Freunde und deren Kinder in bestimmte Posten. Das muss beendet werden. Die Militärs sprechen von »Refondation«, also Neugestaltung. Das ist kein realistisches Versprechen. Wie kann man ein Land neu gründen? Es gibt schon positive Errungenschaften aus der Vergangenheit, an die man anknüpfen kann. Wir wären schon zufrieden, wenn sie an der Sankara-Politik von 1983 bis 1987 andocken würden. Was in diesen Jahren lief, ist ein positiver Teil unserer Geschichte.
Am ernstesten ist die Frage der Sicherheit. Wie schaffen es die Dschihadisten, einfache Bürger*innen in den Dörfern zu rekrutieren? Armut, vor allem in den ländlichen Gegenden, muss ernst genommen werden. Dort kriegen die Menschen nur von der Politik mit, wenn Wahlen sind, ansonsten werden sie mit ihren Problemen alleine gelassen. Dann kommen Dschihadisten, die auf dieser Grundlage Leute rekrutieren. Auch darüber muss neu nachgedacht werden. Um das alles hinzukriegen ist eine Revolution notwendig.
Sie können versuchen, Terroristen zu töten, aber es werden neue kommen.
Die Sicherheitslage war letztendlich das, worauf sich der Putsch gestützt hat. Du hast Sicherheit aber gesamtgesellschaftlich gefasst.
Ganz genau. Wenn man nichts am Fundament macht, ändert sich nichts. Die Militärs können machen, was sie wollen, aber wenn gesellschaftliche Probleme weiterhin bestehen, passiert nichts. Es ist auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit beziehungsweise Ungerechtigkeit. Sie können mit Gewehren versuchen, aktive Terroristen zu töten, aber es werden neue kommen. Zwischendurch werden sie schwach, müssen nur ein paar Jahre warten, dann bauen sie ihre Netzwerke neu auf.
Seitdem die Militärs die Macht übernommen haben, gingen die Anschläge täglich weiter. Wir erleben sogar Situationen, die wir vorher nicht gehabt haben. Jetzt halten Dschihadisten sogar an großen Straßen Reisende an und drohen ihnen. Das erreicht alles eine neue Qualität. Es braucht politische Maßnahmen, aber beim Militär weiß ich nicht, ob sie das wirklich hinkriegen. Wenn sie das hinkriegen, werden wir das begrüßen und sie gehen in die Geschichte von Burkina Faso ein, aber bis heute bin ich pessimistisch.
Sieht du die Möglichkeit für ein neues 2014, also eine Reaktivierung von Balai Citoyen?
Was mich traurig macht ist, dass die Bewegungen im Moment gegeneinander ausgespielt werden. Das macht die Lage sehr viel komplizierter. 2014 hielten die Bewegungen zusammen. Natürlich gab es einige wenige, die für Blaise Compaoré waren. Aber jetzt gründen einige ihre eigenen zivilgesellschaftlichen Organisationen und versuchen, die anderen, die 2014 vorne standen, in den Schmutz zu ziehen. Das ist Freunden und Mitstreitern von mir, den Musikern Smockey und Sams´k Le Jah, passiert. Es hieß, die Führung von Balai Citoyen hätte Millionen bekommen, hätten Villen hier und da gekauft. Solche Geschichten wurden in der Öffentlichkeit erzählt. Vor Gericht haben Smockey und andere recht bekommen, die Gegenseite wurde wegen Verleumdung verurteilt und musste Entschädigung zahlen.
Es gibt eine Polarisierung der unterschiedlichen Bewegungsrichtungen. Die Leute von vor 2014 sind ja auch noch da, organisieren sich gerade und versuchen sich in die Nähe der Putschisten zu positionieren. Balai Citoyen hat 2014 eine Regierung gestützt, die 27 Jahre lang regiert hatte. Von ihnen hat sich niemand an die Seite der neuen Militärregierung gestellt. Sie haben unter anderem eine Erklärung abgegeben, in der sie die Umsetzung der angekündigten Maßnahmen fordern, und dass wir zurück zum demokratischen Prozess kommen.
Gerade gibt es in der Region militärische Operationen unter französischer Führung. Diese werden jetzt aber in Mali herausgefordert, indem Russland als neuer strategischer Partner erwägt wird. Gibt es in Burkina auch Diskussionen über die Rolle Russlands?
Es ist auch in Burkina Faso ein Thema. Es ist keine einfache Angelegenheit. Als Pan-Afrikanist befürworte ich, dass wir es aus eigener Kraft schaffen. Einen Vorschlag, bei dem ich mitgehen kann, ist, für eine begrenzte Zeit neue Allianzen einzugehen. Ich muss den malischen Machthabern ein wenig recht geben: Es gibt schon seit Jahren eine Unzufriedenheit mit den Militäransätzen von Frankreich und weiteren Ländern. Man darf nicht vergessen: Der größte deutsche Auslandseinsatz der Bundesregierung ist in Mali. Da stellen sich die Menschen viele Fragen: Wofür seid ihr da? Was war der ursprüngliche Zeitplan? Was ist in der Zeit passiert? Diese Fragen stellten sich Menschen in Mali schon vor dem Putsch. Warum nehmen die westlichen Akteure diese Fragen nicht ernst? Wir wissen, dass kolonialistische Mächte immer versuchen, bestimmte Regierungen, die nicht in ihrem Sinne agieren, abzusetzen. Diesbezüglich haben sich die neuen Machthaber gedacht, dass sie neue Allianzen aufbauen, die sie dabei unterstützen sollen, sich zu befreien. Diese neuen Allianzen muss man infrage stellen. Die Frage muss in der Zwischenzeit sein, wie eine neue Politik der Selbstachtung aufgebaut werden kann, das bedeutet auch, dass diese Allianzen nur temporär sein können, sie dürfen sich nicht festsetzen.
Gibt es da nicht auch Angst vor einem neuen Kolonialismus?
In den Ländern Afrikas gibt es gerade bei jungen Menschen einen Hunger nach Gerechtigkeit. Sie ticken einfach anders als die älteren Generationen. In Politik und Militär wird es immer wieder Veränderungen geben, weil es Druck von unten gibt. Es kann nicht zu tief verankerten kolonialistischen Strukturen kommen, wie die, die weiterhin bestehen, wenn es diesen Druck weiterhin gibt. Egal in welchem Land in Afrika, geht man dort in die Unis, laufen da ganz andere Diskurse, als bei den älteren Generationen in der Politik. Also wenn es um die Jugend geht, bin ich wieder optimistisch.