Gewollte Nachsicht
Warum trotz der Pandora-Leaks Steueroasen bleiben
Von Guido Speckmann
Es ist ein Rekord in mehrfacher Hinsicht: Noch nie haben so viele Journalist*innen (600) aus so vielen Ländern (117) so viele geleakte Dokumente (11,9 Mio.) von so vielen Finanzdienstleister*innen (14) ausgewertet. Die Ergebnisse, die unter dem Namen »Pandora Papers« Anfang Oktober veröffentlicht wurden, sind der jüngste Leak in einer Reihe von Enthüllungen zum Thema Steuervermeidung und -hinterziehung. Die Hauptschlagzeile der Pandora Papers war: Selbst Politiker*innen, die den »Steueroasen« den Kampf angesagt haben, nutzen Briefkastenfirmen, um Abgaben zu umgehen. Allein 35 derzeitige oder ehemalige Staats- und Regierungschefs finden sich in den geleakten Dokumenten. Die prominentesten darunter: der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij, der ehemalige britische Premierminister Tony Blair und der tschechische Ministerpräsident Andrej Babiš. Für letzteren kamen die Enthüllungen über seinen Kauf einer französischen Villa zur Unzeit. Er verlor bei den Parlamentswahlen an Stimmen und könnte abgelöst werden.
Der Fokus auf die Politik ist gut, will man erklären, warum der Kampf gegen die Steuerhinterziehung mit Gesetzen und Schwarzen Listen zwar aufgenommen wurde, aber offensichtlich keine Erfolge zeitigt. So ist es mehr als bezeichnend, dass nur wenige Tage nach den Veröffentlichungen zu den Pandora Papers die EU-Finanzminister*innen nicht etwa ihre Schwarze Liste der Steueroasen erweiterten, sondern reduzierten. Schon seit ihrer Entstehung steht diese in der Kritik. Sie sei nur die Spitze des Eisberges und völlig wirkungslos. Luxemburg, die Niederlande oder Liechtenstein standen nie auf der Liste. Die EU will sich ja nicht selbst des Steuerdumpings bezichtigen. Auch Steueroasen wie Delaware oder South Dakota fehlen, das könnte Verwicklungen mit der US-Regierung nach sich ziehen.
Das offenbart die Krux beim Kampf gegen die Steuervermeidung: Sie vollzieht sich in einem Spannungsfeld von Konkurrenz und Kooperation zwischen den Staaten. Niedrigsteuerländer profitieren, wenn sie Google oder Amazon oder die Superreichen dieser Welt in ihre Gefilde locken. Selbst geringe Abgaben an den Fiskus können eine Menge Geld in die Staatskasse spülen. Das aufzugeben – dagegen gibt es massive Widerstände. Die, so scheint es, derzeit zumindest ein Stück weit gebrochen werden. Gut eine Woche nach den Pandora-Leaks verabschiedeten die Finanzminister*innen der G20-Staaten in Washington Details zur Einführung einer globalen Mindeststeuer von 15 Prozent. Sie könnte schon 2023 greifen.
15 Prozent? Viel zu gering – zudem der Satz nur für Konzerne gilt, nicht für Vermögende. Frei nach Gabriel Zucman, dem Experten für Steueroasen: Selbst ein Mindeststeuersatz von 25 Prozent wäre aus internationaler und historischer Sicht nicht besonders hoch. So bleibt es beim Steuerdumping, das die Kassen einiger Staaten und insbesondere der globalen Anteilseigner auf Kosten aller anderen füllt.