Eine blutige Freundschaft
In Tschad verlangen Oppositionsgruppen den Abgang von Präsident Mahamat Idriss Déby und seinem Verbündeten Frankreich
Von Paul Dziedzic
Wird Tschad der nächste westliche Verbündete in Afrika der fällt?«, titelte im November das liberale Wirtschaftmagazin The Economist. Denn der Staatschef und Militär Mahamat Idriss Déby steht unter Druck. Als der Militärrat Déby 2021 zum Präsidenten ernannte, präsentierte er sich als Interimspräsident, der den Weg für Wahlen in 18 Monaten ebnen sollte. Als die Zeit verstrich, verlängerte Déby den Übergangsprozess um weitere zwei Jahre. Im Oktober 2022 gingen vor allem junge Menschen auf die Straße und forderten Wahlen. Einige von ihnen warfen Steine und zündeten Barrikaden an. Am 22. Oktober schossen die Sicherheitsbehörden mit scharfer Munition auf die Demonstrant*innen. Die Regierung spricht von 50 Getöteten, lokale und internationale NGOs von über 300. Zusätzlich droht der Verlegung französischer Truppen nach Tschad, die Spannungen weiter zu verschärfen. Sie mussten das Nachbarland Niger verlassen, nachdem eine neue Militärregierung die Partnerschaft mit der ehemaligen Kolonialmacht aufgekündigt hatte. (ak 695) Auch in Tschad zeigt sich, dass die Unterstützung des Westens für die Herrschenden zum Problem werden kann.
Als der frühere Präsident und Vater des derzeitigen Präsidenten, der langjährige Autoritär Idriss Déby, aufgrund einer Schussverletzung durch Kämpfe gegen eine bewaffnete Oppositionsgruppe verstarb, reiste der französische Präsident Emmanuel Macron höchstpersönlich zur Beerdigung. Dies signalisierte die strategische Bedeutung Tschads für Frankreich. Dass das Land die Geschicke seiner ehemaligen Kolonie mitbestimmt, zeigte sich zuletzt 2019: Paris setzte Kampfflugzeuge ein, um einen bewaffneten Aufstand zu bombardieren und dessen Vormarsch zu stoppen.
Im November verkündete das Militär eine Generalamnestie für Hunderte Gefangene, unter ihnen auch Minderjährige, die während der Proteste im Oktober 2022 festgenommen worden waren. Die Amnestie gilt jedoch auch für die Verantwortlichen des Massakers – ein Schlag ins Gesicht für die Betroffenen und ihre Angehörigen. Hunderte zogen daraufhin auf die Straßen, um gegen die Amnestie zu protestieren. Wie der französische Sender France24 berichtete, gehen NGOs davon aus, dass zwischen 1.000 und 2.000 Demonstrierende festgenommen wurden, viele von ihnen sind seitdem verschwunden.
Derweil bemüht sich Déby, nahbar zu wirken. Er bereist das Land und lobt die vermeintlichen Verbesserungen seiner Amtszeit, wie beispielsweise den verbesserten Zugang zu Wasser in einigen Dörfern und kostenlose Bildung. Außerdem ermöglicht er, dass Oppositionelle, die geflohen waren, zurück ins Land kommen. Déby bedient sich dabei aus dem inzwischen überholten Playbook seines Vaters: Seine Strategie beschreibt der Autor Moussa Tchangari im Medico-Blog als eine Mischung aus Terror gegen die Opposition und dem Angebot, einzelnen Oppositionellen Schlüsselpositionen zu verschaffen. Es ist also durchaus möglich, dass einzelne Oppositionelle umschwenken. Aber ob das genug ist, um die Stimmung im Land zu verbessern, bleibt fraglich. Zu blutig ist Débys Aufstieg zur Macht.
Die Unterstützung des Westens kann für die Herrschenden zum Problem werden.
Die Forderungen der sozialen Bewegungen nach den versprochenen Wahlen haben auch mit der Ressourcenverteilung zu tun. Denn Tschad ist reich an Erdöl, Gold, Uran, Titan und Bauxit. Die Einnahmen aus diesen Reichtümern fließen in das Militär, das zu den größten in der Region zählen soll und im Rahmen der von Frankreich geführten Operationen gegen islamistische Gruppen im gesamten Sahel eingesetzt wurde. Deshalb gilt Tschad als wichtiger Verbündeter Frankreichs.
Opposition, Zivilgesellschaft und Bewegungen mobilisieren nicht nur gegen Déby, sondern auch gegen die ehemalige Kolonialmacht. Im Mai 2022 führte die Bewegung Wakit Tama (»Die Zeit ist gekommen«) Proteste gegen Frankreich durch, dem sie vorwarf, das Regime in N’Djamena über Jahrzehnte hinweg unterstützt zu haben. Nach dem Massaker wurden Mitglieder von Wakit Tama verfolgt und Demonstrationen verboten. Doch die Ankündigungen des Umzugs französischer Truppen aus dem benachbarten Niger, wo sie nach einem Putsch rausgeworfen worden waren, sorgten für Ärger. Schon seit 2022 gibt es Proteste gegen die französische Militärpräsenz. Anfang Dezember forderten Oppositionsgruppen Déby dazu auf, die französischen Truppen bis Ende des Monats auszuweisen und drohten damit, andernfalls wieder auf die Straßen zu gehen.
Infolge mehrerer Militärputsche im Sahel, bei denen auch die außenpolitische Ausrichtung eine wichtige Rolle spielte, müsste sich Mahamat Idriss Déby wohl nervös umschauen: Befinden sich die Personen, die ihn stürzen werden, vielleicht schon in seinem Umfeld? In Guinea, Mali, Burkina Faso und zuletzt in Niger nutzten die Militärs die Unbeliebtheit der Vorgängerregierungen, um diese zu stürzen. Das hat regionale Organisationen und westliche Staaten dazu veranlasst, Sanktionen gegen diese Länder zu verhängen. Offiziell mit der Begründung, es sei undemokratisch. Dass es ihnen aber nicht um Demokratie geht, zeigt die Tatsache, dass sie den Putsch von Déby 2021 begrüßten.
Die besorgte Frage des Economist spiegelt also die Nervosität des Westens wieder, der merkt, dass seine Sahel-Strategie gescheitert ist. Denn das autoritär geführte Land ist eines der letzten pro-westlichen Regierungen im Sahel. Damit stehen Migrationsabkommen und militärische Kooperation auf dem Spiel. Dass viele in der Bevölkerung mit diesem Bündnis ein Problem haben, dürfte nach den Militärputschen in Westafrika deutlich geworden sein.