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Öl auf dem Acker

Das industrielle Agrarsystem ist ein Großverbraucher fossiler Energie – aber kein Thema für Weltklimakonferenzen oder die Ampelkoalition

Von Eva Gelinsky

Ein Mähdrescher, neben ihm ein Traktor mit Anhänger auf einem Feld.
Fahren derzeit noch mit subventioniertem Agrardiesel. Könnte der schrittweise Abbau dieser Förderung ein Schritt in die richtige Richtung sein? Foto: Kevin Leconte/PxHere, CC0 1.0 Deed

Wer an die Erderhitzung denkt, hat meist rauchende Schlote und Auspuffrohre vor Augen. So wichtig Sektoren wie die fossile Energieproduktion und die Mobilität sind – auch der industrialisierte Agrar- und der Lebensmittelsektor (1) tragen in großem Umfang zur Erwärmung des Planeten bei. Im öffentlichen Fokus stehen vor allem die Fleisch- und Milchproduktion und die durch sie verursachten Methanemissionen. Kaum Thema ist bislang, dass das industrialisierte Agrarsystem auch ein Großverbraucher fossiler Brennstoffe ist. Aktuelle Berechnungen der Global Alliance for the Future of Food zeigen, dass die Lebensmittelproduktion derzeit schätzungsweise 15 Prozent des jährlichen weltweiten Verbrauchs an fossiler Energie (4,6 Gigatonnen CO2-Äquivalent) ausmacht. Das sind so viele Emissionen, wie alle EU-Länder und Russland zusammen ausstoßen.

Ungeachtet dieser eindeutigen Zahlen spielen Agrarthemen seit fast drei Jahrzehnten auf den UN-Klimakonferenzen so gut wie keine Rolle. Die COP28 in Dubai sollte dies ändern. Von der überwiegend positiven medialen Berichterstattung – der Guardian etwa titelte begeistert »›Food is finally on the table: Cop28 addressed agriculture in a real way« – sollte man sich allerdings nicht täuschen lassen. Die in Dubai erzielten »Ergebnisse« sind mit »dürftig« noch unzureichend charakterisiert. 

So sind es bislang vor allem zivilgesellschaftliche Organisationen, die nicht nur detaillierte Daten vorlegen, sondern auch mit Nachdruck einen drastischen Rückbau der industrialisierten Tierhaltung und eine deutliche Reduktion des Verbrauchs fossiler Energie im Agrarsektor fordern. Könnte der schrittweise Abbau der Agrardieselsubventionen in Deutschland vor diesem Hintergrund ein erster Schritt in die richtige Richtung sein?

Aus Öl und Erdgas werden Agrarprodukte

Die Integration der Agrarproduktion in die fossile Wirtschaft begann in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Landwirtschaft, die bislang auf der Nutzung erneuerbarer Energien (Sonne, Muskelkraft von Mensch und Tier) basierte, verwandelte sich innerhalb weniger Jahrzehnte in einen Großverbraucher fossiler Energie. Der Einsatz benzin- oder dieselbetriebener Traktoren war nur der Anfang; vor allem im vor- und nachgelagerten Bereich wurde jede Stufe der Produktion von fossiler Energie abhängig. 

Einen Eindruck, welchen Anteil am globalen fossilen Energieverbrauch pro Jahr (2) die verschiedenen Bereiche des Agrarsystems einnehmen, liefern Daten der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zum Energieeinsatz in der gesamten Wertschöpfungskette. Demnach entfällt der größte Anteil an fossiler Energie (ca. 42 Prozent) auf den nachgelagerten Bereich Verarbeitung, Verpackung und Transport. Einzelhandel, Konsum und Abfall benötigen rund 38 Prozent. Die Stufen der (vorgelagerten) Betriebsmittel- und der landwirtschaftlichen Produktion machen zusammen 20 Prozent des Energieverbrauchs aus, wobei circa 15 Prozent auf die landwirtschaftliche Produktion und rund fünf Prozent auf die Produktion der Betriebsmittel (ohne Transport) entfallen. 

Die wachsenden »Bauernproteste« zeigen, dass sich die Widersprüche des industrialisierten Agrarsystems derzeit rapide zuspitzen.

Die Produktion der Betriebsmittel umfasst die Herstellung von Düngemitteln, Pestiziden, Tierfutter, Impfstoffen, Landmaschinen sowie unterschiedlicher Kunststoffe. Düngemittel sind mit Abstand der energieintensivste und am stärksten von fossilen Brennstoffen abhängige Bereich. Eine 2022 erschienene Untersuchung liefert eine erste Schätzung der globalen Klimawirkungen synthetischer Stickstoffdünger, die die gesamte Produktionskette von der Herstellung bis zur Ausbringung auf den Boden abdeckt. Die Herstellung und Verwendung dieser Düngerklasse verursacht 2,4 Prozent der weltweiten Emissionen; damit zählen diese Stoffe zu den klimaschädlichsten Industriechemikalien. Synthetische Stickstoffdünger haben laut IPCC, dem Weltklimarat, seit den 1960er Jahren um satte 800 Prozent zugenommen. Nach Angaben der FAO wird ihr weltweiter Einsatz bis 2050 um weitere 50 Prozent ansteigen.

Angesichts dieser Wachstumsaussichten setzen die fossilen Energiekonzerne zunehmend auf den Markt für petrochemische Produkte, wozu neben Kunststoffen auch »fossile Düngemittel« gehören. Auf die Petrochemie entfallen bereits heute etwa 14 Prozent des weltweiten Öl- und acht Prozent des Gasverbrauchs. Einem Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) aus dem Jahr 2021 zufolge wird der petrochemische Sektor bis 2026 voraussichtlich für mehr als zwei Drittel des weltweiten Ölverbrauchs verantwortlich sein. Selbst in einem im gleichen Jahr von der IEA erstellten Szenario mit Netto-Null-Emissionen macht die Petrochemie im Jahr 2050 noch mehr als die Hälfte (55 Prozent) des gesamten Ölverbrauchs weltweit aus. 

Nichtssagende Statements auf der COP28

Um zu unterstreichen, dass das Agrarsystem auf der COP28 eine prominente Rolle spielen solle, wurde die Konferenz mit einer nichtssagenden Erklärung zu nachhaltiger Landwirtschaft eröffnet, die von mehr als 130 Ländern unterzeichnet wurde. Die Forderung nach einer »Abkehr von der Nutzung fossiler Brennstoffe in Lebensmittelsystemen« tauchte einzig in einem Positionspapier auf, das über 200 nichtstaatliche Akteure parallel veröffentlichten. Die FAO legte den ersten Teil einer globalen Roadmap zur Transformation der Agrarsysteme vor. Anstelle eines grundlegenden Umbaus setzt die FAO allerdings primär auf Effizienzsteigerung und neue Technologien. Als Erfolg gefeiert wurde, dass die Abschlusserklärung »Lebensmittel« sechs Mal erwähnt: zwei Mal in der Präambel und vier Mal im Abschnitt »Anpassung« (Adaption). Im wichtigeren Abschnitt »Klimaschutz« (Mitigation) taucht der Begriff überhaupt nicht auf. 

Neben 2.456 Lobbyist*innen der fossilen Industrie war auch die Lobby des Agrarsektors gut vertreten. Diese Lobby besteht nicht aus Bäuer*innen, sondern aus Industrievertreter*innen der vor- und nachgelagerten Sektoren: Düngemittel- und Pestizidindustrie sowie Fleisch- und Milchwirtschaft, die sich bereits jetzt als »klimaneutral« vermarktet. Im Vergleich zu 2022 hat sich die Zahl der Agrarlobbyist*innen mehr als verdoppelt. Industrievertreter*innen nutzten die COP28 nicht nur, um neue Geschäfte abzuschließen, sondern auch um ihre »Lösungsvorschläge« zu präsentieren: So wirbt die Düngemittelindustrie unter anderem intensiv für die Nutzung von CO2 als Rohstoff für die Düngemittelproduktion. Hierfür notwendige Technologien wie Carbon Capture Utilization and Storage (CCUS) werden allerdings zu Recht als hochspekulativ (ak 694) und gerade auch für den energieintensiven Düngemittelsektor als Scheinlösungen kritisiert.

An die Grenzen der Natur

Nicht nur im Hinblick auf seine verheerende Treibhausgasbilanz beginnt das industrialisierte Agrarsystem buchstäblich an die Grenzen der Natur zu stoßen. Auch bei den Stickstoffemissionen spitzen sich die Widersprüche zu. Und so gehen nicht nur in Deutschland, sondern auch in IrlandBelgienFrankreichSpanien oder den Niederlanden wütende Bäuer*innen auf die Straße.

Doch warum wehren sich die Landwirt*innen so vehement gegen Umweltauflagen, anstatt das System als Ganzes in Frage zu stellen, obwohl dieses nicht nur die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt schädigt, sondern letztlich auch das Überleben ihrer Betriebe bedroht? Ein Grund hierfür sind die mit diesem Modell verbundenen ökonomischen Sachzwänge und staatlich flankierten Pfadabhängigkeiten. Anstatt die Bäuer*innen zu kritisieren, die sich in Deutschland gegen die Streichung der Agrardieselbeihilfe wehren – es handelt sich hierbei übrigens nicht um eine staatliche Klimaschutzmaßnahme, sondern um Verhandlungsmasse im Haushaltsstreit –, bräuchte es endlich eine breite Bewegung für den Umbau des Agrarsystems: »Landwirtschaft« umfasst deutlich mehr als das, was Bäuer*innen in ihren Betrieben praktizieren. 

Auch vielen Agraraktivist*innen, insbesondere aus dem Globalen Süden, ist inzwischen klar, dass der Kapitalismus zu überwinden ist.

Daher wäre im Zuge der »Agrardieseldebatte« vor allem scharfe Kritik an der Bundesregierung angebracht: Diese hält trotz der öffentlich verlautbarten »knappen Kassen« an ihren klimaschädlichen Milliardensubventionen für die Industrie fest. Der im Paket enthaltene verbilligte Industriestrompreis soll gerade auch energieintensive Branchen wie die Chemieindustrie und damit auch die Herstellung »fossiler Düngemittel« unterstützen. Der grundlegende Umbau des Agrarsystems muss also, wie in anderen Branchen auch, bei den politischen Rahmenbedingungen und den (Eigentums-)Strukturen beginnen. 

Auch vielen Agraraktivist*innen, insbesondere aus dem Globalen Süden, ist inzwischen klar, dass der Kapitalismus zu überwinden ist. Ohne Bruch mit dem dieser Produktionsweise inhärenten Zwang zur Kapitalakkumulation und Profiterzielung unter Konkurrenzbedingungen wird es nicht möglich sein, die Erderhitzung, den Verlust an Biodiversität und die Degradierung des Bodens substanziell in den Griff zu bekommen. Allerdings weist auch der kritische Agrardiskurs eine entscheidende Schwachstelle auf. Vorstellungen und Strategien des Übergangs sind kaum entwickelt. Positive Beispiele, wie auch unter widrigsten Bedingungen anders gewirtschaftet werden kann, gibt es jedoch. Zu nennen wäre hier etwa die Landlosenbewegung MST, die größte Bewegung landloser Bäuer*innen in Lateinamerika, die sich für eine radikale Landreform und eine ökologische Landwirtschaft einsetzt.

Doch wie entwickeln wir – wer wäre dieses »wir«? – Strategien zur Enteignung der mächtigen Agrargiganten, der Düngemittel, Pestizid- und Saatgutkonzerne sowie der Fleisch- und Milchindustrie? Und wie gewinnen wir jene Landwirt*innen, die in den letzten Jahrzehnten dem Input-intensiven, agrarkapitalistischen Weg voller Überzeugung gefolgt sind und die jetzt, oftmals hoch verschuldet, in einer betrieblichen Sackgasse stecken? Die wachsenden »Bauernproteste« zeigen, dass sich die Widersprüche des industrialisierten Agrarsystems derzeit rapide zuspitzen. Es ist daher höchste Zeit, sich mit den Mechanismen, Strukturen und Dynamiken zu beschäftigen, die zu diesen Widersprüchen geführt haben. Dies könnte ein erster wichtiger Schritt und Grundlage weiterer Überlegungen sein.

Eva Gelinsky

ist Geografin, Agraraktivistin und Redaktionsmitglied bei emanzipation. Zeitschrift für ökosozialistische Strategie.

Anmerkungen:

1) Im Folgenden werden die Begriffe »Agrarsystem« oder »Agrarsektor« für die gesamte Wertschöpfungskette verwendet. Angefangen beim vorgelagerten Bereich, der Herstellung der externen Inputs (Dünger, Pestizide), über die landwirtschaftliche Produktion bis zum nachgelagerten Bereich: Verarbeitung, Verpackung, Transport, Einzelhandel und Konsum.

2) Anteil in % EJ/YR. EJ steht für Exajoule. 1 Exajoule ≈ 278 Twh. EJ/YR ist die in einem Kalenderjahr verbrauchte Exajoule-Energie. Zusammengefasst sind jeweils der direkte (Anbau, Ernte usw.) und indirekte Energieeinsatz (Transport, Düngemittelherstellung usw.).