Nur vorerst abgewendet
Der Fall Wendt wirft ein Schlaglicht auf die politische Gemütslage der Konservativen im Osten
Von Marcel Hartwig
Eigentlich war es eine Provinzposse, die sich Ende November in Sachsen-Anhalt abspielte. Da überraschte Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) seine Koalitionspartner mit dem Ansinnen, den Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, zum Staatssekretär im Landesinnenministerium zu berufen. Der AfD-Vizefraktionschef im Magdeburger Landtag reagierte prompt und nannte Wendt »unseren ersten inoffiziellen Staatssekretär«. Rainer Wendt, Mitglied der CDU, ist in Sachen Polizei und Innere Sicherheit als rechtspopulistischer Scharfmacher bekannt. Er beißt in jedes sich bietende Mikrofon und betätigt sich als Multiplikator einer politischen Agenda, die jener der AfD in nichts nachsteht.
Umgehend erhob sich aus den Reihen der Koalitionsparteien SPD und Grüne lautstarker Protest, sodass Wendt unter Bezug auf die fehlenden beamtenrechtlichen Voraussetzungen doch nicht für den Job engagiert wurde. Der Fall Wendt wirft ein Schlaglicht auf die politische Gemütslage der Konservativen im Osten. Getrieben von den hohen Wahlergebnissen der AfD bei den zurückliegenden Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen steigt an der Basis der ostdeutschen CDU-Landesverbände der Druck auf die Parteiführungen in den Ländern, eine mittelfristige Perspektive für die Kooperation mit der AfD zu entwickeln.
Mancherorts kooperiert man bereits auf der kommunalen Ebene in Kreistagen und Stadträten. So können sich beide Parteien dort auf eine gemeinsame machtpragmatische Agenda einigen, wo man sich kulturell in der Ablehnung dessen, was Rechte und Konservative gern »Gesellschaftsexperimente« nennen – Feminismus, soziale Teilhabe von Minderheiten – einig ist. Die »Werteunion« sieht auch bei anderen Themen wie Polizei und Migration inhaltliche Schnittmengen mit der AfD.
Die AfD ihrerseits tut einiges, um die CDU für sich zu gewinnen. In allen medialen Formaten wird die Partei nicht müde zu betonen, bei ihr handle es sich um eine »bürgerliche« Partei. Sogar Björn Höcke, Frontmann des völkisch-nationalistischen Flügels der AfD, bot CDU und FDP nach den Landtagswahlen in Thüringen eine Kooperation an, obwohl er sonst keine Gelegenheit auslässt, die angebliche Verderbtheit des politischen Establishments zu geißeln.
In der Tat könnte die AfD von einer Mäßigung ihrer politischen Rhetorik im öffentlichen Ansehen profitieren. Strategen des neurechten Milieus, wie Götz Kubitschek, empfehlen der AfD, rhetorisch abzurüsten, gerade um inhaltlich auf rechtem Kurs zu bleiben. Denn die Antwort auf die Frage, wer oder was in der AfD als »gemäßigt« gilt, wird inzwischen im politisch-medialen Betrieb anders als zum Zeitpunkt der Gründung der Partei beantwortet. Wie stark sich das politische Koordinatensystem verschoben hat, lässt sich daran erkennen, dass Positionen, die in der Gründungsphase der AfD als rechts außen galten, inzwischen »die Mitte der Partei« repräsentieren, wie Alexander Gauland mit Blick auf Höcke sagte. In den Augen der »Werteunion« der CDU gewönne die AfD an Respektabilität, wenn sich die AfD dazu herbei ließe, allzu polarisierende Tabubrüche, wie die wiederkehrenden Referenz an die NS-Zeit, zu unterlassen.
In der AfD wiederum dürfte über die zahlreichen parlamentarischen Mandate und damit verbundenen Privilegien die Bereitschaft wachsen, sich an die Benimmregeln des politischen Betriebs zu halten, ohne dabei das Ziel eines rechtsautoritären Umbaus der Gesellschaft aus den Augen zu verlieren. Letzterer wird nämlich nicht allein im Parlament, sondern ebenso in der Sphäre des Kampfes um Deutungshoheit über Themen und Begriffe geführt und gewonnen.
Der Amtsantritt des rechten Hardliners Rainer Wendt als Staatssekretär in Sachsen-Anhalt konnte noch einmal abgewendet werden. Eine weitere Normalisierung rechtsextremer Politikangebote abzuwenden dürfte hingegen davon abhängen, ob es der AfD weiterhin gelingt, ihr rechtsextremes Stroh zu politischem Gold und damit zu gesellschaftlichem Einfluss zu spinnen.