Nächstes Jahr in Magdeburg?
Seit Monaten diskutiert die CDU in Sachsen-Anhalt ihr Verhältnis zur AfD - im Juni 2021 stehen dort Landtagswahlen an
Von Marcel Hartwig
Die zeitlichen Abstände, in denen Sachsen-Anhalts CDU-Landeschef und Innenminister Holger Stahlknecht zum Mittel des Machtwortes greifen muss, werden kürzer. Anfang Februar, kurz nach dem gescheitertem rechten Coup in Thüringen, war es wieder soweit: CDU-Fraktionsvize Lars-Jörn Zimmer ließ via ZDF wissen, man könne 25 Prozent der Wählerschaft nicht dauerhaft ausgrenzen, weshalb er eine CDU-Minderheitsregierung unter Tolerierung der AfD für absolut denkbar halte. Doch auch die bisherigen Interventionen des CDU-Landeschefs konnten die Debatte um eine Kooperation der CDU mit der AfD in Sachsen-Anhalt nicht beenden. Bereits im vergangenen Jahr hatten Zimmer und sein Parteikollege Ulrich Thomas nach der Europawahl dem Landesvorstand der CDU ein Papier vorgelegt, in dem eine Annäherung an die AfD befürwortet wurde. Es gelte, so die Autoren damals, das »Nationale mit dem Sozialen zu versöhnen.«
Seit ihrem 24,3-Prozent-Wahlerfolg im März 2016, bei dem die AfD der CDU sicher geglaubte Bastionen in den Wahlkreisen vor allem im Süden des Bundeslandes abjagte, gab es in der Landes-CDU Versuche, das Ruder nach rechts zu ziehen. Von der Zustimmung einiger CDU-Landtagsabgeordneter zur Einsetzung einer »Linksextremismus-Enquete« über Fälle der Kooperation zwischen CDU und AfD in einem Kreistag bis zu gegenseitigen Sympathie-Bekundungen zwischen dem Chef der »Werte-Union« im Land, Ingo Gondro, und dem AfD-MdL Volker Olenicak: Immer wieder erweist sich, dass die CDU den Positionen der AfD nähersteht, als der eigenen, gleichwohl ungeliebten Kenia-Koalition mit SPD und Grünen. Als Ende Dezember herauskam, dass ein CDU-Kreisvorstandsmitglied eine neonazistische Vergangenheit hat und rechtsextreme Tattoos zur Schau stellt, tauchte der CDU-Landesvorstand zunächst ab und ließ den Fall des Robert Möritz von Aufforderungen, sich zu erklären abgesehen, laufen, bis dieser von selbst die CDU verließ.
Holger Stahlknecht, ehedem Staatsanwalt und Reserve-Offizier des Bundeswehr, möchte in der Öffentlichkeit gern als »Law and Order«-Politiker mit klarem konservativen Profil wahrgenommen werden. Doch die gescheiterte Berufung des Chefs der »Deutschen Polizeigewerkschaft«, Rainer Wendt, zum Innenstaatssekretär und die Polizeipannen im Umfeld des antisemitischen Anschlages von Halle lassen Stahlknecht, dem Ambitionen auf das Ministerpräsidentenamt nachgesagt werden, derzeit geschwächt dastehen. Um die innere Verfasstheit der Landes-CDU zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, dass die Partei ihre Funktionsträger auf Landesebene aus dem Umfeld mittelständischer Unternehmen und Handwerker rekrutiert. Ein konservativ-liberales Bürgertum existiert in der CDU Sachsen-Anhalt nicht. Dies bekommt der CDU-Landrat des Burgenlandkreises mit Sitz in Naumburg, Götz Ulrich, zu spüren. Er fordert seit Monaten eine scharfe Abgrenzung der CDU zur AfD, stand damit aber in der Vergangenheit allein da. Wenn er über die vergleichsweise progressive Integrationspolitik unter seiner Regie im Süden Sachsen-Anhalts spricht, erntet er aus seiner eigenen Partei eisiges Schweigen. In der Woche nach der Farce von Thüringen äußerte er in der Mitteldeutschen Zeitung die Befürchtung, »rechtskonservative Kreise« könnten »sich ermuntert fühlen, den Kompass der CDU zu verschieben«.
Da eine aktuelle Umfrage für Sachsen-Anhalt nicht vorliegt, sei auf die statistische Kumulation der Wahlkreisprognosen verwiesen. Demnach käme die AfD derzeit auf rund 25 Prozent der Stimmen. Da die Linkspartei im Gegensatz zu Thüringen bei etwa 18 Prozent stagniert, ist eine rechnerische Mehrheit für ein Kooperationsprojekt CDU-AfD durchaus gegeben. Die AfD tut derzeit das Ihre dafür, die Kanäle zur CDU offen zu halten. Erkennbar ist man in der AfD-Landtagsfraktion in Magdeburg um rhetorische Abrüstung bemüht. Gleichwohl Landespartei und Fraktion der AfD Sachsen-Anhalt von Beginn an zu den engsten Gefolgsleuten Björn Höckes zählten und das neurechte »Institut für Staatspolitik« mit Sitz im Saalekreis als strategischer Ratgeber der Fraktion gilt, hat man nach dem Abgang des schillernden ehemaligen Partei- und Fraktionschefs der AfD in Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, begriffen, dass sich eine gewisse Mäßigung der politischen Tonlage unter Beibehaltung offen rechtsextemer Positionen im Hinblick auf die CDU auszahlen kann. Jene Akteure in beiden Parteien, die langfristig auf eine Kooperation setzen, werden aus den strategischen Fehlern bei der Durchsetzung des rechten Coups in Thüringen gelernt haben, dass eine solche Kooperation langfristig politisch vorbereitet werden muss. Dazu würde seitens des rechten Flügels der CDU das zu etablierende Narrativ gehören, man kooperiere aus staatspolitischer Verantwortung mit den Pragmatikern in der AfD, um deren Wählerschaft einzubinden. Diese Brücke könnte die Werte-Union bauen. Kein ganz auszuschließendes Szenario für Sachsen-Anhalt.
Die in Thüringen einmal geöffnete Tür zu einer Kooperation zwischen CDU und AfD wird sich in Ostdeutschland langfristig auch dann nicht mehr schließen lassen, wenn es in Thüringen bei dieser schwarz-blauen Kurzzeitepisode bleibt. Wer eine direkte Machtpartizipation der AfD in Sachsen-Anhalt verhindern will, muss versuchen, das Wahlergebnis der Partei bei den kommenden Landtagswahlen auf 20 bis 22 Prozent zu drücken. Eine notwendige, schwere, fast unlösbare Aufgabe.