Achse ohne Flanke
Nach der Eskalation des Kriegs mit Israel und der Wiederwahl Trumps steht für Iran viel auf dem Spiel
Von Pajam Masoumi
Mit der Schließung dreier iranischer Konsulate in Deutschland fiel die Reaktion Annalena Baerbocks auf die Hinrichtung des Deutsch-Iraners Jamshid Sharmahd härter aus als von vielen erwartet. Sharmahd wurde 2020 in Dubai vermutlich vom iranischen Geheimdienst entführt und wegen angeblich von ihm verübter Attentate zum Tode verurteilt. Am 28. Oktober wurde er hingerichtet. Viele Oppositionelle, Aktivist*innen und auch seine Tochter Gazelle Sharmahd bezeichnen die Ermordung des Doppelstaatlers als diplomatische Niederlage der Bundesrepublik. Anders als etwa Frankreich und Schweden gelang es der Bundesregierung nicht, mit dem islamischen Regime einen Geiselaustausch für inhaftierte Doppelstaatler zu verhandeln.
Die Hinrichtung Sharmahds kam überraschend, aber nicht zufällig. Nur zwei Tage vorher griff Israel Iran an, ein Vergeltungsschlag für einen iranischen Angriff, den die Regierung in Teheran zuvor als Vergeltungsschlag deklarierte. Die Vollstreckung des bereits vor über einem Jahr gefällten Urteils war ein Signal: Auch in der Stunde äußerer Angriffe ist das Regime in der Lage, seine Herrschaft nach innen zu zeigen, und außenpolitisch nahm es wenig Rücksicht auf seinen wichtigsten Handelspartner in Europa.
Einsames Säbelrasseln
Doch um die Islamische Republik ist es einsam geworden. Nach dem 7. Oktober 2023 hoffte die Hamas darauf, die »Achse des Widerstandes« würde sich deutlicher an ihre Seite stellen. Doch das Regime in Teheran hat kein sonderliches Interesse an einem großen Krieg mit Israel, und auch die Raketen der Hisbollah, die seit dem 8. Oktober 2023 auf den Norden Israels niedergehen, sind wenig bedrohlich für Israels Existenz. Zwar haben die Raketen Zehntausende Israelis vertrieben, und es kommt regelmäßig zu Toten; eine Eskalation von Seiten der Hisbollah, blieb jedoch aus. Mit dem Angriff auf den Libanon hat Israel das bisher gültige Gefüge der »Achse des Widerstands« gestört. Die Hisbollah nimmt nun nicht die Rolle ein, die ihr von Teheran zugedacht wurde und von der Hamas gewünscht ist: Statt als Abschreckung für israelische Angriffe auf Iran und Gaza zu fungieren, ist die schiitische Miliz mit einem Verteidigungskrieg im Libanon beschäftigt, der sie bereits ihre Führungselite und einiges an Waffen und Kämpfern kostete. Und auch der syrische Machthaber Assad ist mehr damit beschäftigt, Kontrolle über das verbliebene Staatsgebiet wieder zu erlangen, als dass er sich für die palästinensische Frage interessiert.
Ironischerweise vertreten nicht wenige Oppositionelle dieselben Positionen wie Trump: Das Ende aller Verhandlungen, alle Sanktionsmöglichkeiten ausschöpfen und, wenn nötig, westliche Militärinterventionen.
Unter diesem und dem Druck zweier israelischer Angriffe flammte im iranischen Parlament der alte Streit um den Bau einer Atombombe wieder auf. In bereits zwei offenen Briefen an Präsident Massud Peseschkian fordern knapp 40 Abgeordnete, die Verteidigungsdoktrin des Iran zu ändern. 2003 erließ der Revolutionsführer Chamenei eine »Fatwa«, also einen religiösen Erlass, die den Bau einer Atombombe als Sünde bezeichnete. Nach eigenen Angaben ist Iran in spätestens sechs Monaten in der Lage, Atombomben zu bauen, tut dies vordergründig aufgrund der erlassenen Fatwa allerdings nicht. Ob das stimmt, ist schwer zu überprüfen: Bereits vor der Aufkündigung des Atomdeals durch Trump 2018 klagte die Internationale Atomenergie-Organisation (AIEO) über mangelnde Transparenz Irans. Bei einer unangekündigten Kontrolle der AIEO 2023 fand die Behörde bereits hochangereichertes Uran, und auch die Waffentechnologie Irans soll weit genug fortgeschritten sein, um einen Atomsprengkopf zu transportieren.
Medienberichten zufolge soll Noch-US-Präsident Biden Israels Premier Benjamin Netanjahu vor dem letzten israelischen Angriff auf Iran überzeugt haben, nicht die iranischen Atomanlagen anzugreifen. Unter Trump könnte sich die US-Außenpolitik nun grundlegend ändern, denn bereits in seiner letzten Amtszeit vertrat dieser eine strikte Anti-Iran-Politik: Er kündigte das über Jahre verhandelte Atomabkommen auf, ließ Quassem Soleimani, damaliger Führer der Revolutionsgarden, in einer »außergerichtlichen Tötung« per Drohnenangriff hinrichten, die Revolutionsgarden als Terrorgruppe einstufen und weitere Sanktionen verhängen. Vor der US-Wahl forderte er Israel dazu auf, die Atomanlagen Irans anzugreifen. Auch dass, nach jüngsten Berichten des US-Justizministeriums, der iranische Geheimdienst in das Attentat auf Trump bei einem Wahlkampfauftritt in Pennsylvania verwickelt war, wird Trumps Iranpolitik nur bestärken.
Das kleinere Übel?
Ironischerweise vertreten nicht wenige Oppositionelle, darunter auch Linke, dieselben Positionen wie Trump: Das Ende aller Verhandlungen mit Iran, alle Sanktionsmöglichkeiten ausschöpfen und, wenn nötig, westliche Militärinterventionen. Richtig ist sicherlich, dass Iran der einzige Akteur im Mittleren Osten ist, der Israel existenziell bedroht, zumindest wenn er im Besitz von Atomwaffen und zu einem atomaren Zweitschlag fähig ist. Ob die Feindschaft zu Israel jedoch so groß ist, dass die korrupte Machtelite freiwillig in einen Atomkrieg eintritt, anstatt ihre lukrativen Öl-, Gas- und Waffengeschäfte weiterzuführen, kann bezweifelt werden. Besonders da die neuen Sanktionen bisher nicht nur zu einem Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen mit Russland und China führten, sondern auch zu einem massiven Anstieg der allgemeinen Wirtschaftsleistung sowie der Militärausgaben des Regimes. Bei einer Gefährdung dieser neuen Beziehungen, etwa im Falle massiver israelischer Angriffe, ist es möglich, das Russland Iran den Rücken stärken würde: Ohne die iranische Drohnenproduktion wäre der russische Drohnenkrieg in der Ukraine nicht so leicht umzusetzen.