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Milliardäre mit Abrissbirne

Warum eine Verfassungskrise in den USA auch eine Chance sein könnte 

Von Caspar Shaller

Ein trister Parkplatz, von rechts wehen mehrere Flaggen ins Bild: Eine US-Flagge mit automatischen Gewehren, ein Totenkopf in USA-Farben, eine sehr bunte Fahne mit Hanfblatt
Kräftige Böen aus der falschen Richtung, das ist die Lage. Foto: Kornelia Kugler

Die ersten Wochen der Regierung Trump II gleichen einem Tornado, der die alten Gemäuer der amerikanischen Demokratie niederreißt. Trump hat bereits über 60 Executive Orders erlassen, also direkt wirksame Dekrete. Mit einem der ersten kassierte er die 78 Orders, die Biden in den vier Jahren davor erlassen hatte. Kurze Zusammenfassung ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Die USA sind aus der WHO und den Pariser Klimaverträgen ausgestiegen, Trump hat über 1.500 verurteilte Beteiligte am Sturm aufs Capitol am 6. Januar 2022 begnadigt, Kuba wieder auf die Liste terrorunterstützender Staaten gesetzt, China, Kanada und Mexiko hohe Zölle auferlegt, dann teilweise wieder zurückgenommen, nur um Strafzölle auf Stahl und Aluminium einzuführen; er hat gesagt, zwei Millionen Palästinenser*innen sollen Gaza verlassen, damit er es in die »Riviera des Mittelmeers« verwandeln kann sowie noch einiges mehr.

Ein besonderes Faible hat Trump für Geografie: Er will Panama und Grönland kaufen, den Golf von Mexiko zum Golf von Amerika machen, und er hat den höchsten Berg des Landes, Denali in Alaska, wieder in Mount McKinley umbenannt. Der damalige US-Präsident William McKinley ließ um 1900 als selbsterklärter Imperialist spanische Kolonien wie die Philippinen dem amerikanischen Empire einverleiben und war auch ein großer Fan von Zöllen. Er ist erklärtes Vorbild Trumps.

»Flood the Zone« heißt die mittlerweile wohlbekannte Strategie, die Trumps ehemaliger Intimus Steve Bannon während der ersten Amtszeit prägte: »Jeden Tag werfen wir ihnen drei Sachen hin, in eine verbeißen sie sich, die andern beiden gehen durch.« Ursprünglich stand das Konzept eher für die Überflutung der Medien mit Desinformation und rechten Aufregern, nun aber geht es um harte Tatsachen.

Trumps Vorgehen war vor der Wahl fein säuberlich auf 900 Seiten im »Project 2025« dargelegt worden.

Überraschend ist das nicht. Trumps Vorgehen war vor der Wahl fein säuberlich auf 900 Seiten im »Project 2025« dargelegt worden: Die Regierungsgewalt soll in der Exekutive gebündelt werden, indem Behörden fundamental umgewälzt und politisch unzuverlässige Beamt*innen aussortiert werden. Ihnen hat Trump ein bedrohliches Angebot gemacht: Wer sofort von sich aus kündigt, wird noch bis September bezahlt.

13 Milliardäre in Regierungsämtern

Wem das alles dienen soll, macht ein anderer Entscheid klar: Trump hat 13 Milliardäre in Regierungsämter berufen. Chris Wright, CEO eines Fracking-Unternehmens, etwa leitet jetzt das Energieministerium. Einem anderen Milliardär hat Trump direkt die Schlüssel des Staates überreicht. Elon Musk leitet nun das neue Department for Government Efficiency, kurz DOGE. Das ist eine Anspielung auf die gleichnamige Kryptowährung, die ursprünglich als Scherz gedacht war, eine Meme-Währung. Musk – der kein offizielles Regierungsamt innehat, denn dafür müsste er vom Parlament bestätigt werden – hat aus »Effizienzgründen« die Entwicklungshilfeagentur USAID durch »den Schredder« gelassen, wichtige Programme wie die weltweite HIV/AIDS-Hilfe fallen nun aus. Auch das Bildungsministerium musste Federn im Wert fast einer Milliarde Dollar lassen. 

Besonders geschockt zeigte sich die amerikanische Öffentlichkeit über Musks Zugriff auf das »Scheckbuch der Nation«, die Abteilung, die Zahlungen des amerikanischen Staates ausführt. Bis zu 100 Millionen Menschen sind vom durch Musk ausgelösten Zahlungschaos betroffen, die etwa Leistungen der staatlichen Krankenversicherung Medicare und Medicaid beziehen, Sozialhilfe oder Löhne öffentlicher Angestellter erhalten. Richtig aus der Fassung gerieten einige Beamt*innen, als Musks Lakaien – 20-jährige Praktikanten – mit Festplatten aufkreuzten, um Daten wie die Sozialversicherungsnummern der fast 350 Millionen US-Bürger*innen abzuziehen. Wer sich sperrte, wurde in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Sozialversicherungsnummern sind für ein Leben jedes*jeder Amerikaner*in zentral, wer die Nummer einer anderen Person kennt, kann leicht Identitätsdiebstahl begehen und etwa einen Kredit im Namen anderer aufnehmen. 

Etwas abseits der großen Aufmerksamkeit hat Trump auch bei queeren Themen zugeschlagen. Dabei hat er es vor allem auf trans Menschen abgesehen. Die amerikanische Regierung erkennt nun nur die Geschlechter »weiblich« und »männlich« an – und diese seien unveränderbar. Seinen Geschlechtseintrag im Pass zu ändern ist damit verwehrt. Für Betroffene äußerst gefährlich ist die Verlegung von in Gefängnissen des Bundes inhaftierten trans Frauen in Anstalten für Männer. Krankenhäuser oder Kliniken, die medizinische Begleitung einer Transition anbieten und Schulen, die trans Jugendliche unterstützen, sollen keine öffentlichen Fördermittel mehr erhalten dürfen.

Besonders Radau macht Trump bei der Migration. Millionenfach werde er abschieben, droht er immer wieder. In größeren Städten wie Chicago kam es bereits zu Razzien, bei denen mehrere tausend Menschen verhaftet und abgeschoben wurden. Dafür soll in Zukunft auch das Militär hinzugezogen werden, dessen Einsatz innerhalb des Landes eigentlich nur im Kriegsfall vorgesehen ist. Trump interpretiert Migration juristisch als »Invasion«, darum seien militärische Maßnahmen angebracht und legal. Trump hat auch versucht, den Erwerb der Staatsbürgerschaft per Geburt (birthright citizenship) auf amerikanischem Boden abzuschaffen, wurde aber von einem Gericht gestoppt. Das Ius Soli ist in der amerikanischen Selbsterzählung, man sei ein Land der Einwanderer, die ein besseres Leben suchen, zentral. Es ist auch in der Verfassung verankert.

Schrödingers Verfassung

Gegen die Verfassung verstoßen indes viele von Trumps Maßnahmen. So hat eigentlich der Kongress Budgethoheit, nicht der Präsident. Doch das scheint den Kongress nicht weiter zu interessieren, nicht mal die Demokraten. Die Gerichtskorrespondentin des Onlinemagazins Slate spricht von »Schrödingers Verfassung«, gleichzeitig tot und lebendig. 

Aber was tun? Ein Podcast der New York Times fragte als Titel einer Folge kürzlich verzweifelt: »Where are the Democrats?« (Wo sind die Demokraten?). Tatsächlich scheint die Opposition abgetaucht zu sein.

In den einzelnen Bundesstaaten gibt es mehr Möglichkeiten, noch etwas gegenzusteuern, denn diese haben mehr Hoheit als etwa deutsche Bundesländer. Auch manche Städte und Kommunen haben beim letzten Rodeo gegen Trump gearbeitet, in dem sie beispielsweise Migrant*innen besonders schützten. Doch Trump und sein Team werden daraus gelernt haben. Der Präsident kann schließlich auch einfach die Nationalgarde, die Migrationsbehörde ICE oder sonstige Disziplinarorgane des Bundes durch eine Stadt jagen, um auch entgegen dem Willen der örtlichen Autoritäten Migrant*innen oder Demonstrierende einzusacken, wie etwa während der großen und langanhaltenden Proteste 2020 in Portland/ Oregon geschehen.

Ein Showdown zwischen liberalen Gouverneur*innen und Bürgermeister*innen auf der einen und der rechtsextremen Bundesregierung auf der anderen Seite ist nicht ausgeschlossen. Die Frage, welche Kompetenz welche Ebene des Staates besitzt, um wo was genau umzusetzen, könnte zu einer Verfassungskrise führen.

Gescheiterte liberale Strategie

Denn diese Fragen müssten vom Supreme Court geklärt werden. Der Gang vor das Verfassungsgericht ist auch eines der wenigen Werkzeuge aus dem traditionellen Repertoire der institutionellen high politics, das der Opposition noch bleibt. Nur: Dabei wird nicht viel rauskommen, denn der Supreme Court ist zur Mehrheit mit extrem konservativen Richter*innen besetzt – die Trump selbst auf das lebenslange Amt berufen hat. In seiner ersten Amtszeit verlor die Regierung zwar oft, aber aus formalen Gründen, aufgrund schlampig formulierter Erlasse. Es ist unwahrscheinlich, dass das höchste Gericht Trump unüberwindbare Steine in den Weg legt, selbst wenn das offensichtliche Rechtsbeugung bedeutet oder dem Geist der Verfassung widerspricht.

Denkbar ist sogar, dass Trump seine Gegner*innen geradezu dazu verleiten will, den Klageweg zu beschreiten, um ihm genehme Präzedenzfälle zu schaffen. Die liberale Strategie, gesellschaftlichen Fortschritt wie das Recht auf Abtreibung nicht über Mehrheiten für Gesetze, sondern über Gerichtsentscheide zu erkämpfen, ist endgültig vom Tisch.

Vielleicht hat zumindest das auch etwas Gutes. Endlich könnte der Würgegriff der Demokraten auf alles links der Mitte gelöst, die Verengung auf Parlament, Institutionen und Gerichte und die damit einhergehende Demobilisierung und Führung durch »Expert*innen« aufgebrochen werden. Denn die Demokratische Partei ist ein Kopf ohne Körper. Es gibt keine Mitglieder, die Beiträge zahlen und über Parteiprogramme entscheiden. Die Parteielite zimmert sich nach Bedarf eine Unterstützer*innenbasis, die brav wählen und vielleicht auch mal nach Aufruf demonstrieren geht, aber sonst die Fresse halten soll.

Nun, da alle ihre Werkzeuge stumpf geworden sind, müssen endlich neue her: außerparlamentarische Mittel. Das könnte die Chance sein, die neoliberalen Parteieliten zu entmachten, die die Welt mit ihrer Politik des kleineren Übels in die ganze Chose reingeritten haben. Das würde Gewerkschaften, Aktivist*innen an der Basis und vielleicht sogar linken Gruppen wie den Democratic Socialists of America die Chance geben, den Widerstand gegen Trump anzuführen – und die Grundlagen dafür zu schaffen, die amerikanische Politik langfristig zum Besseren zu wenden, wenn der Staub, den Trump und Musk mit ihrer Abrissaktion aufwirbeln, sich gelegt hat.

Caspar Shaller

ist freier Journalist.

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