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Gipfel der Abrechnung

Die Bundesregierung lädt Anfang Dezember zum »Wohngipfel« nach Hamburg – Zeit für ein mietenpolitisches Fazit

Von Hanno Bruchmann

Die Spitze eines Demonstrationszuges (wegen der Corona-Pandemie tragen die Teilnehmer*innen noch Masken); auf dem Banner steht "Mietenwahnsinn"
Mietenwahnsinn, Horror-Heizkosten und Kündigungen: Mieter*innen gehen wie hier in Berlin 2021 für ihre Rechte auf die Straße. Foto: Leonhard Lenz/Wikimedia Commons, CC0 1.0 Universal

Es ist schon etwas Besonderes: Ein bundesweites Aktionsbündnis aus Mieten- und Vergesellschaftungsinitiativen, aus Mietvereinen, Hausprojekten, Genossenschaften, Wohnungslosenselbstvertretung sowie Partei-Linken hat sich zusammengefunden. Anfang November kündigte das bundesweite Bündnis »Offensiv für Wohnraum« Protestaktionen am 5. und 6. Dezember anlässlich des Wohngipfels der Bundesregierung in Hamburg an. Eine Demonstration und ein »Wohngipfel von unten« sind am Abend des 5. Dezember geplant, wenn sich die Spitzen des Regierungsbündnisses an der Elbe versammeln. (1)

Der Auftritt von Noch-Kanzler Olaf Scholz ist am Nikolaustag vorgesehen, später am Tag soll er erneut im Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsschuss aussagen. Die Initiativen werden seine Auftritte kreativ begleiten. Die sich gegen Mietenwahnsinn, Horror-Heizkosten und Kündigungen wehrenden Mieter*innen sind wütend. Sie wollen sich nicht mehr vom Geld und deren Lobby in der Regierung vertreiben lassen.

Vor zehn Jahren hatte die damalige Bundesregierung aus CDU und SPD zum ersten Mal ein »Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen« ins Leben gerufen. Einmal im Jahr kommt dieses Bündnis seitdem auf Einladung der Regierung zum Wohngipfel zusammen. So sind am Abend des 5. Dezember die Spitzen der Bündnispartner*innen von Scholz und Noch-Bauministerin Klara Geywitz (SPD) nach Hamburg eingeladen. Tonangebend sind die Verbände der Wohnungswirtschaft, wie der Zentrale Immobilien Ausschuss oder der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen sowie die Eigentümer*innenlobby Haus&Grund. 

Nach dem Platzen der Ampel ist bekanntlich eine rot-grüne Minderheitsregierung im Amt. Ohnehin ist die absehbare Funktion des Wohngipfels, die Selbstdarstellung der Ministerin und des Kanzlers. Es soll Bilanz gezogen werden. Unabhängig davon, ob der Gipfel wie geplant stattfindet, wird das Aktionsbündnis an seinem Protest festhalten. 

Kein Mieter*innenschutz

Zum Schutz der Mieter*innen hatte die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, die sogenannte Kappungsgrenze in angespannten Wohnungsmärkten, also die Grenze für Mieterhöhungen, auf elf Prozent in drei Jahren zu senken. Das blieb aus. Mieten können in bestehenden Mietverträgen sogar dort, wo die Mietpreisbremse gilt, um 15 Prozent legal erhöht werden. 

Weiterhin hatte die Koalition versprochen, dass keine ordentlichen Kündigungen nach Begleichung von Mietzahlungen mehr erfolgen dürften. Das könnte Wohnungsverluste und Wohnungslosigkeit verhindern. Diese sogenannte Schonfristzahlung wurde abgesagt. Ebenso abgesagt ist die Verpflichtung zur Erstellung von qualifizierten und damit rechtssicheren Mietspiegeln für Kommunen mit mehr als 100.000 Einwohner*innen. Blockiert hatte die Vorhaben der bis Anfang November verantwortliche Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP. Doch niemand in der Ampel erweckte den Eindruck, sich wirklich stark für den Mieter*innenschutz einzusetzen. Schon die Kompetenzübertragung des Mietrechts auf das Justizministerium war ein folgenschwerer Fehler gewesen. Die Bauministerin reagierte auf all diese Verstöße ihres Ex-Koalitionspartners zahnlos und blieb bei Appellen, und der selbsternannte »Kanzler für bezahlbares Wohnen« blieb bis zuletzt tatenlos. 

Der Wohngipfel ist ein inszeniertes Event, das der Selbstdarstellung der Regierung dient.

Nur eine Verlängerung der Mietpreisbremse war von der Ampel noch angekündigt worden. Die Verlängerung sollte laut Entwurf nur bis Ende 2028 und nicht, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, bis 2029 möglich sein. Gleichzeitig sollte die Verlängerung mit zusätzlichem Begründungsaufwand für die Kommunen erschwert werden. Ob die Mietpreisbremse überhaupt verlängert wird und damit über 2024 hinaus gelten kann, ist durch das Ende der Koalition nun allerdings fraglich. Es wird darauf ankommen, ob es dem Bundestag noch vorgelegt wird und eine Mehrheit findet. Dafür müsste das Projekt eine Priorität für den Kanzler sein; die ist aber nicht erkennbar. Sollte keine Verlängerung beschlossen werden, verlieren die Mietpreisbremsen ihre Geltung spätestens Ende 2025. 

Die Mietpreisbremse ist allerdings ohnehin weitgehend wirkungslos. So haben sich die Preise für angebotene Mietwohnungen in Berlin seit Einführung des Instruments 2014 verdoppelt. In Potsdam gab es Steigerungen von 71 Prozent, in Leipzig von 58 und in Rostock von 44 Prozent. Der Grund für die Wirkungslosigkeit: Bei Wiedervermietungen erlaubt die Mietpreisbremse zu Preisen bis zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete – und durch zahlreiche Ausnahmen oft noch darüber. Und vor allem haben Vermietende nichts zu befürchten, wenn sie gegen die Mietpreisbremse verstoßen. Im schlimmsten Fall müssen sie zu hohe Mieten zurückzahlen. Dafür müssen Mieter*innen jedoch gegen die Vermietenden klagen, wovor viele zurückschrecken. Darauf angesprochen sagte die amtierende Bauministerin Geywitz hämisch: »Wir haben natürlich keinen Babysitter-Nanny-Staat.«

»Bau-Turbo« und Bodenspekulation

Die Bau- und Immobilienlobby konnte ein marktgläubiges Dogma durchsetzen; »Bauen, bauen, bauen, schneller, einfacher und günstiger« würde auch die Preise regulieren. Die beim Wohngipfel 2023 als oberste Maßnahme präsentierte Steuerabschreibung für den Mietwohnungsbau wurde tatsächlich umgesetzt: Fünf Prozent der Baukosten können pro Jahr von der Steuer abgesetzt werden – ein Steuergeschenk für Investierende. Eine Verpflichtung hingegen, im Gegenzug Mietobergrenzen oder sonstige soziale Maßstäbe einzuhalten, gibt es nicht. 

Auf die Preise wirkt sich der Neubau bisher nicht preissenkend, sondern eher preistreibend aus. Erstens sind Wohnungen im Neubau meist sehr teuer. Zweitens fließen die teuren Neumieten in den Mietspiegel ein und schaffen damit die Möglichkeit, die Mieten auch in der Umgebung anzuheben. 

Ob die Mietpreisbremse überhaupt verlängert wird und damit über 2024 hinaus gelten kann, ist durch das Ende der Koalition nun allerdings fraglich.

Ebenfalls auf dem Wohngipfel im vergangenen Jahr hat die Bundesregierung den sogenannten Bau-Turbo angekündigt, der jetzt im Reform-Entwurf des Baugesetzes steht. Dieser ermöglicht Abweichungen von üblichen Verfahren. Schneller und mehr solle gebaut werden. Die Kritik: Demokratisch und partizipativ erstellte Bebauungspläne würden beiseitegeschoben. Zudem entstünden so keine bezahlbaren Wohnungen, vielmehr könne der bestehende Milieuschutz und damit der Schutz vor Preissteigerungen umgangen werden. Weitere Grünflächen würden versiegelt und Bodenspekulationen Tür und Tor geöffnet, weil praktisch überall gebaut werden könne. Selbst am Wohngipfel teilnehmende Verbände, wie die Deutsche Umwelthilfe, der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Mieterbund und die Wohnungslosenhilfe haben sich entschieden gegen diesen Ansatz ausgesprochen. 

Dieselben Verbände haben lange für eine »Neue Wohngemeinnützigkeit« gestritten. Es hätte der große Wurf der Ampel sein können. Doch in den Maßnahmenkatalog des letztjährigen Wohngipfels wurde die Umsetzung des Versprechens aus dem Koalitionsvertrag gerade noch als letzter Punkt aufgenommen. Und im Oktober 2024 wurde lediglich die schmalste Variante einer steuerlichen Begünstigung von gemeinnützigen Trägern, die Wohnungen vermieten, innerhalb des Jahressteuergesetzes im Bundestag verabschiedet. Die im Koalitionsvertrag versprochenen notwendigen Fördermittel zur Ankurbelung des gemeinnützigen Wohnungsbaus sind darin nicht enthalten. Weder werden so gemeinnützige Akteure zum Wohnungsneubau angeregt, noch werden privatwirtschaftliche Akteure gemeinnützig. Ein neuer relevanter Sektor gemeinnütziger Wohnungsunternehmen wird so nicht entstehen. 

Auch wurde die große Chance verpasst, dauerhafte Mietpreisbindungen innerhalb einer »Neuen Wohngemeinnützigkeit« zu schaffen. Im bisherigen »Sozialen Wohnungsbau« laufen die sozialen Bindungen in der Regel nach 20 oder 30 Jahren aus. Anschließend können die Wohnungen teuer vermietet oder verkauft werden. So sinkt die Zahl der Sozialwohnungen von Jahr zu Jahr weiter. Die Ausgaben für die Förderung alten sozialen Wohnungsbaus moderat zu erhöhen, reicht nicht aus, um bezahlbares Wohnen auf Dauer zu sichern. 

Protest für Bundes-Mietendeckel

Die Mieter*innenlobby konnte 2018 durch einen alternativen Wohngipfel Forderungen der Mietenbewegung in die Öffentlichkeit bringen und die Position der Vertreter*innen im Bündnis verbessern. Zwar blieben die meisten Forderungen unerfüllt, aber in der Folge bekam der Mieterbund mehr Redezeit auf dem Wohngipfel von Kanzlerin Angela Merkel, die Positionen wurden gestärkt. Und die Erkenntnis, dass Wohnen die soziale Frage unserer Zeit ist, setzte sich durch. 

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021, in dem es den Berliner Mietendeckel kassierte, muss ein Mietendeckel im Bundesrecht verankert werden. Entsprechend ist ein bundesweiter Mietendeckel eine zentrale Forderung des Wohngipfel-Protests. Darum gewinnt die Bundesebene für die Mietenbewegung wieder an Bedeutung. Neben der Bürgerschaftswahl in Hamburg im März stehen nun spätestens im März Neuwahlen im Bund an. Der gemeinsame bundesweite Protest wird also ein Auftakt sein, um Forderung nach einem bundesweiten Mietendeckel und weiteren sozialen wohnungspolitischen Maßnahmen zu positionieren. Womöglich könnte der Protest in Hamburg ein Ausgangspunkt dafür sein, die Mieter*innen über ihre Städte hinaus für die kommende Zeit zu vereinen. Der Kampf wird rau, denn an der Elbe weht bekanntlich auch mal eine steife Brise.

Hanno Bruchmann

ist wohnungspolitischer Aktivist, auch im Bündnis @wohngipfel.

Anmerkung:

1) Zum Zeitpunkt der Drucklegung des Artikels ist die Ampel geplatzt, aber die Vertrauensfrage im Bundestag noch nicht gestellt.

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