Nächster Messias
Trump geht nicht gestärkt aus den Midterms hervor – was bedeutet das für die Republikaner?
Von Lukas Hermsmeier
Als Ron DeSantis am Wahlabend vor seine Anhänger*innen und die Presse trat, sprach er vom »gelobten Land«. Gemeint war natürlich seine Heimat Florida, die er seit vier Jahren als Gouverneur regiert. Im Gegensatz zu den Bundesstaaten, in denen linke Politiker*innen an der Macht seien und die Kriminalität in den vergangenen zwei Jahren gestiegen sei, so die Behauptung des Republikaners, herrsche bei ihm »Gesetz und Ordnung«. Millionen von Menschen hätten sich deshalb auf den Weg gemacht, viele davon nach Florida, in einem »großen Exodus«, wie DeSantis erzählte. Es war eine Rede voller nationalistischem Pathos und reaktionärer Ressentiments, die sowohl die Bibelfesten unter seinen Fans als auch Culture-War-Konditionierte bediente.
»Wir lehnen die Woke-Ideologie ab. Wir bekämpfen die Woken im Parlament, wir bekämpfen die Woken in den Schulen, wir bekämpfen die Woken in den Unternehmen, wir werden uns niemals dem Woke-Mob ergeben. Florida ist der Ort, an dem die Woke-Bewegung stirbt«, sagte DeSantis und grinste dabei flüchtig. Das Publikum brauste auf.
Mögliche Machtverschiebung
DeSantis ist einer der großen Gewinner der zurückliegenden Midterm-Wahlen in den USA. Während seine Partei unter dem Strich schwächer abgeschnitten hat als erwartet, wurde der 44-jährige Gouverneur von Florida mit überraschend deutlichem Abstand wiedergewählt. Fast 20 Prozentpunkte Vorsprung hatte er zu seinem Herausforder, dem Demokraten Charlie Crist. Auch in bis dato demokratisch wählenden Bezirken wie Miami-Dade, wo die Mehrheit der Bevölkerung hispanisch ist, lag DeSantis dieses Mal vorne. »DeFuture« titelte die Boulevardzeitung New York Post am Tag danach und ließ ihren Kolumnisten Piers Morgan fordern, dass die Republikaner von nun an Donald Trump fallen lassen und alles auf DeSantis setzen sollten.
Einen Tag später legte das besagte Murdoch-Blatt mit der Schlagzeile »Trumpty Dumpty« nach, gezeigt wurde ein dicker, runder Trump. Selbst bei Fox News, dem langjährigem Propagandasender des Ex-Präsidenten, und in der rechten Zeitschrift National Review konnte man entsprechende Stimmen zugunsten DeSantis’ wahrnehmen. Während die Entscheidung, wer im Kongress ab Januar die Mehrheiten hat, zwei Tage nach den Wahlen noch ausstand, deutete sich im Kosmos der Republikanischen Partei also bereits eine Machtverschiebung an.
Dass DeSantis von immer mehr Seiten als »Zukunft der Partei« bezeichnet wird, hat nicht nur mit ihm selbst zu tun. Es liegt mindestens ebenso sehr daran, dass Trump in seiner Rolle als Erfolgsgarant eingebüßt hat. Bei den Midterms unterlagen eine Reihe der von ihm unterstützten Kandidat*innen trotz aufwendiger Wahlkämpfe. Besonders die Niederlagen von Mehmet Oz in Pennsylvania und Blake Masters in Arizona wiegen schwer, mit beiden war Trump mehrfach zusammen aufgetreten.
Auch die Wahl im Schlüsselstaat Georgia war ein Rückschlag für Trump. Während sein Verbündeter Herschel Walker im dortigen Senatsrennen weniger Stimmen als sein demokratischer Konkurrent Raphael Warnock erhielt (die beiden müssen nun in eine Stichwahl im Dezember), setzte sich der Republikaner Brian Kemp, der von Trump immer wieder attackiert worden war, in der Gouverneurswahl gegen Stacey Abrams durch.
Trump spielt in der Republikanischen Partei allerdings weiterhin eine signifikante Rolle. Das zeigt sich schon darin, dass nicht nur im Kongress, sondern nahezu überall im Land Leute in politischen und juristischen Ämtern installiert sind, die seine Lüge von der gestohlenen Wahl 2020 verbreiten. Ob Trump für die Partei selbst der aussichtsreichste Kandidat ist, wird allerdings von mehr und mehr Funktionär*innen, Beobachter*innen und Berater*innen bezweifelt. Hinzu kommt, dass auch in der Bevölkerung die Unterstützung sinkt. Laut CNN-Umfrage vom Wahltag liegt Trumps Zustimmung aktuell bei 37 Prozent, deutlich weniger als noch vor zwei Jahren.
Was nun würde es bedeuten, wenn Trump weiter an Popularität verliert und DeSantis, der mal als »Trump mit Hirn« bezeichnet wurde, dafür an Einfluss gewinnt? Das faschistoide Programm der Republikaner bliebe wohl unverändert.
Ron DeSantis steht für eine Kombination, die historisch alles andere als neu ist: in der Gestalt etwas altmodisch, in den Inhalten extrem.
DeSantis mag zwar gebildeter und rhetorisch gewandter sein als Trump, er mag fleißiger, ernster und seriöser wirken, wie viele Medien festgestellt haben. Dass sich seine Politik kaum von der Trumps unterscheidet, sollte aber ebenso bekannt sein. DeSantis hat alleine in diesem Jahr Gesetze verabschiedet, die die Rechte queerer Menschen beschneiden und die schulische Auseinandersetzung mit Rassismus beschränken. Im September schickte er Flugzeuge voller Immigrant*innen von Florida auf die Insel Martha’s Vineyard in Massachusetts, um von den Demokraten eine restriktivere Grenzpolitik zu erpressen. DeSantis hat Abtreibungsrechte in seinem Staat nahezu vollständig abgeschafft, die Steuern für Unternehmen gesenkt und das Tragen von Schutzmasken ins Lächerliche gezogen.
Gerade der von ihm postulierte Ruf nach Freiheit von Covid-Restriktionen kam bei vielen Menschen in Florida gut an. In einem kurz vor der Wahl veröffentlichten Kampagnenvideo wurde DeSantis als eine Art Messias inszeniert.
In einer Partei, in der Rechtsradikale längst die Konservativen dominieren, steht DeSantis für eine Kombination, die historisch alles andere als neu ist: in der Gestalt etwas altmodisch, in den Inhalten extrem. Interessant bleibt die Frage, ob dieser Typ nun deshalb bessere Chancen hat als der Typ Trump. Dessen vulgäre Art, das Ungeschliffene und Anti-Intellektuelle, sprach ja gerade viele Menschen an.
Neue ästhetische Präferenzen
»Wir haben mit den Ungebildeten gewonnen. Ich liebe die Ungebildeten«, sagte Trump 2016. Er blieb immer irgendwo der garstige TV-Juror, der er mal war. Mit DeSantis dagegen wird jetzt jemand als Frontrunner der Rechten gehandelt, dessen Reden in Wortwahl und Rhythmus mitunter fast etwas Predigendes haben. Sollten die Republikaner in den kommenden Jahren auf DeSantis setzen, hat es jedenfalls kaum mit programmatischer Abrüstung zu tun. Es wäre eine Entscheidung aus Machtkalkül, in der sich neue ästhetische Präferenzen zeigen.
Und was bedeuten die sich andeutenden Verschiebungen bei den Republikanern für die politische Gegenseite?
Dass die Demokraten bei den Midterms eine herbe Niederlage verhindern konnten, hat verschiedene Gründe: Zunächst aktivierte die Entscheidung des Supreme Courts, das Abtreibunsgsrecht de facto abzuschaffen, viele junge Amerikaner*innen zur Wahl. Dazu hatte die Partei in manchen Rennen starke Kandidat*innen, beispielsweise John Fetterman in Pennsylvania, der mit einem soliden Pro-Worker-Programm die Senatswahl gewann. Zu verdanken ist die ausgebliebene Niederlage auch den vielen progressiven bis linken Organisationen und Gewerkschaften, die über Monate hinweg für die demokratischen Politiker*innen in den Wahlkampf gezogen sind.
Losgelöst von der Wahl haben die Demokraten weiterhin zwei Probleme in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung und Struktur. Einerseits verfügt die Partei kaum über eine aktive Basis, die in den einzelnen Staaten, Wahlbezirken und Städten wirken könnte. Lokale Organisierung und Mobilisierung übernehmen größtenteils außerparlamentarische Gruppen und Gewerkschaften, die wiederum von der Partei gerne beschuldigt werden, sobald es nicht läuft.
Andererseits fehlt es an einer einheitlichen Botschaft oder Vision. Für viel zu viele Leute ist nicht klar, wie sich ihr Leben konkret verändert, wenn die Partei an der Macht ist. Die führenden Politiker*innen unterstützen weder Medicare for All noch eine Jobgarantie oder einen Green New Deal. Bei ökonomischen Themen gibt die Partei der Masse der lohnabhängigen Bevölkerung keine Aussicht auf Umverteilung. In vieler Hinsicht bleiben die Demokraten ein Funktionärs-und-Fundraising-Apparat, dessen sporadische Mobilisierung mal Erfolg hat, und dann wieder nicht.
Hoffnung nach diesen Midterms machen zumindest vereinzelte Wahlsiege. Neben dem schon erwähnten Einzug von John Fetterman in den Senat und vielen lokalen Erfolgen sozialistischer Kandidat*innen wird auch der sogenannte Squad, wie sich die kleine Gruppe linker Abgeordneter im Repräsentantenhaus nennt, wachsen. Mit Greg Casar (Texas), Delia Ramirez (Illinois), Summer Lee (Pennsylvania) und Maxwell Frost (Florida) kommen vier Neue dazu. Insbesondere der 25-jährige Frost fällt auf. Er hat sich nicht nur im DeSantis-Bundesstaat Florida durchgesetzt, sondern wird auch das erste Kongressmitglied sein, das zur Generation Z gehört.