Abschiebehaft für Berichterstattung
Warum der britische Journalist Matt Broomfield bei der Einreise in den Schengen-Raum festgenommen wurde
Interview: Tim Krüger
Matt Broomfield, 27 Jahre alt, ist britischer Schriftsteller, freiberuflicher Journalist und Medienaktivist. Er verbrachte drei Jahre in den selbstverwalteten Gebieten Nord- und Ostsyriens und berichtete über die Geschehnisse vor Ort. Gemeinsam mit weiteren freiwilligen Aktivist*innen gründete Broomfield 2019 das Rojava Information Center. Zurück in Europa wurde er im April 2021 an der italienischen Grenze verhaftet, nach Griechenland »zurückgeschoben« und blieb neun Wochen Gefangener des europäischen Abschiebesystems.
Im Frühjahr dieses Jahres wurdest du von der italienischen Grenzpolizei angehalten, an der Weiterreise gehindert und zwei Monate lang in einem griechischen Abschiebelager interniert. Was genau ist passiert?
Matt Broomfield: Ich wurde an der Grenze zu Italien, beim Versuch die Fähre von Griechenland nach Italien in der Hafenstadt Ancona zu verlassen, von bewaffneten Polizisten mit Sturmhauben und einem italienischen Kriminalbeamten empfangen, der mir mitteilte, dass ich auf Geheiß Deutschlands zehn Jahre lang nicht in den Schengen-Raum einreisen oder dort bleiben dürfe, da ich eine »unerwünschte Person« sei. Ich wurde dann über Nacht auf der Fähre festgehalten und nach Griechenland »zurückgeschoben«, wo ich von den griechischen Behörden wegen »illegaler Einreise« erneut festgenommen wurde. Obwohl ich meine Abschiebung innerhalb von 24 Stunden formell akzeptierte, dauerte es zwei Monate, bis Griechenland mich in das Vereinigte Königreich zurückschickte, dessen Staatsbürgerschaft ich besitze. Ich wurde eine Woche lang auf dem Polizeirevier von Patras festgehalten, sechs Wochen lang in dem berüchtigten Abschiebehaftzentrum in Korinthos und zwei weitere Wochen in einem Hochsicherheitsabschiebezentrum in Petrorali, Athen. In Patras und Petrorali wurde ich 22 bis 24 Stunden pro Tag in Einzelhaft gehalten.
Es scheint, als ob der Grund für das Vorgehen der Behörden ihr Engagement in Nord- und Ostsyrien war. Kannst du uns mehr darüber sagen, an was du während deiner Zeit in Nord- und Ostsyrien gearbeitet hast?
Um genau zu sein, haben die Behörden keinen ausdrücklichen Grund für meine Inhaftierung genannt. Aber die Tatsache, dass gegen einen weiteren britischen Staatsangehörigen, der als Freiwilliger in Rojava tätig war, das gleiche Verbot verhängt wurde, bestätigt für mich, dass ich wegen meiner Arbeit in Nordostsyrien ins Visier genommen wurde. Meine Arbeit dort betraf den Medienbereich. Als freiberuflicher Journalist habe ich für internationale Medien wie Vice, den Independent und den New Statesman berichtet und eine Dokumentarserie für einen kurdischen Fernsehsender moderiert. Meine Hauptaufgabe war jedoch die Mitgründung der wichtigsten unabhängigen Nachrichtenquelle der Region, des Rojava Information Center (RIC). Als RIC arbeiteten wir mit allen führenden Medienunternehmen und Menschenrechtsorganisationen der Welt zusammen, darunter BBC, ITV, Sky, CNN, Fox, Amnesty, Human Rights Watch, aber auch die Vereinten Nationen, die US-Regierung und viele andere, um sie bei der Berichterstattung zu unterstützen.
Welche Behörde ermittelt gegen dich, und was ist der Anfangsverdacht, der solche Maßnahmen rechtfertigen würde?
Das Einreiseverbot ist ein Vermerk im Schengener Informationssystem, SIS. Jeder Schengen-Mitgliedsstaat kann jeden Ausländer als »unerwünschte Person« auflisten und ihm die Einreise in die Zone verbieten lassen. Theoretisch sollte dies nur für Personen gelten, die eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit der Mitgliedstaaten darstellen: In der Praxis wird das SIS von den Mitgliedstaaten missbraucht, um Flüchtlinge auszuweisen, sowie in anderen Fällen, um NGO-Mitarbeiter*innen und Journalist*innen ins Visier zu nehmen. Wir, meine Verteidiger und ich, haben eine Anfrage an das Bundeskriminalamt gestellt, um die Grundlage für das gegen mich verhängte Verbot zu verstehen, aber wir haben noch keine Antwort erhalten.
Ein italienischer Kriminalbeamter teilte mir mit, dass ich eine »unerwünschte Person« sei.
Auch in der Bundesrepublik sind politische Aktivist*innen, die der kurdischen Befreiungsbewegung nahestehen, immer wieder Ziel politischer Verfolgung. Welches Interesse hat Deutschland im Kampf gegen die fortschrittliche Bewegung in Kurdistan?
In der Tat. Wie die jüngste Ausweisung einer spanischen Staatsbürgerin gezeigt hat, die sich für die kurdische Sache eingesetzt hat, verfolgt Deutschland seit langem eine harte und aggressive Linie gegen die kurdische Freiheitsbewegung und alle, die sich in irgendeiner Weise für diese Sache einsetzen. Das liegt zum Teil daran, dass die EU in der Flüchtlingsfrage auf die Türkei angewiesen ist, zum Teil an den engen Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und der Türkei. Auch handelt es sich um NATO-Staaten, die eine gemeinsame, von den USA geführte, geostrategische Ausrichtung haben.
Abgesehen von diesen tiefen Verbindungen zwischen der Türkei und Deutschland sollte betont werden, dass es sich bei beiden um kapitalistische Staaten handelt, die ein Interesse daran haben, den Status quo in der Türkei und anderswo im besetzten Kurdistan aufrechtzuerhalten. Dieser bedeutet nämlich neben der gewaltsamen Unterdrückung von Bürgerrechten auch einen freien Markt für westliche Investoren. Die Ideen der kurdischen Bewegung sind, ebenso wie in der Türkei auch, eine Herausforderung für Deutschland oder das Vereinigten Königreich.
Deine Festnahme ist – wie gesagt – kein Einzelfall. Liegt gegen dich ein gültiges Gerichtsurteil vor?
Ja, richtig, mein Fall steht nicht isoliert da, und das Problem ist nicht nur die Türkei. Die Regierungen der EU-Staaten nehmen regelmäßig ihre eigenen Staatsangehörigen ins Visier, schikanieren sie und nehmen sie in Haft, weil sie das demokratische Projekt in Nordostsyrien oder die kurdische Freiheitsbewegung unterstützt haben. Ich selbst hatte keinen Prozess und keine Gelegenheit, mich gegen diese Verletzung meiner Grundrechte als Journalist zu verteidigen. Die westlichen Regierungen suchen weiter nach immer neuen Wegen, um die kurdische Bewegung zu kriminalisieren, anstatt sich mit ihr auseinanderzusetzen.
Glaubst du, dass der türkische Staat in deinen Fall direkt involviert ist?
Es war Deutschland, das die Verbotsbescheide gegen mich und mindestens einen anderen Genossen erlassen hat, der in Rojava gearbeitet hat. Bei meiner Festnahme wurde kein weiterer Grund genannt, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass die Türkei in gewissem Maße an der Erteilung des Verbots durch Deutschland beteiligt war. Ob es sich dabei um ein konkretes Ersuchen des türkischen Geheimdienstes handelte oder um gemeinsames Einvernehmen über die Kriminalisierung der kurdischen Freiheitsbewegung wird vielleicht nie ganz geklärt werden.
Was kannst du über die Bedingungen in den Lagern erzählen, in denen ihr gefangen gehalten wurdet?
Die Bedingungen in den Hafteinrichtungen waren erbärmlich, beengt, kafkaesk. In Patras und Petrorali wurden wir tagelang in unseren Zellen eingeschlossen und durften nicht zu den anderen Häftlingen. Die meisten meiner Mitgefangenen hatten Schnittwunden und Blutergüsse von den Schlägen, die sie bei der Verhaftung erhalten hatten. Korinthos ist ein riesiges, von der Polizei geführtes Gefängnis. Das System ist völlig undurchsichtig. Allen NGOs ist der Zutritt untersagt, und es gibt häufig keine Wasserversorgung, während sich bis zu 40 Männer eine Zelle teilen. Das Ergebnis ist Verzweiflung. In der Zelle, in der ich untergebracht war, hatte sich kürzlich ein kurdischer Flüchtling umgebracht. Das Licht brennt 24 Stunden am Tag, wenn die Bewohner einen Arzt brauchen oder das Wasser versiegt, kommt niemand. Es gab ständige Hungerstreiks, Selbstverletzungen, Schlägereien und Zusammenstöße mit den Wärtern. Diese Zentren sind Gefängnisse, die darauf abzielen, den Geist der Menschen zu brechen und sie zu zwingen, sich für eine »freiwillige« Abschiebung zu melden.
Planst du, öffentlich gegen die verhängten Maßnahmen vorzugehen?
Ich stimme mich mit anderen Personen ab, die von europäischen Regierungen ins Visier genommen werden, weil sie Rojava besuchen oder mit der kurdischen Bewegung zusammenarbeiten – und ich vermute, dass wir noch mehr Fälle von Verboten aufdecken werden wie das, das ich gerade anfechte. Wir werden alle rechtlichen und medialen Kanäle nutzen, um die Aufmerksamkeit auf die Zusammenarbeit westlicher Regierungen mit dem brutalen Erdoğan-Regime zu lenken.