Tödlicher Nebenwiderspruch
In den letzten Wochen wurde vermehrt über Angriffe auf transgeschlechtliche Personen berichtet
Von Bilke Schnibbe
Wenn Malte nicht gestorben wäre, hätten wir dann eine Debatte über »stark ansteigende Queerfeindlichkeit«? Vermutlich nicht. Malte C. war Ende August auf dem CSD in Münster transfeindlich beleidigt und niedergeschlagen worden. Wenige Tage später starb er im Krankenhaus. Kurz darauf wurde eine 57-jährige transgeschlechtliche Frau in einer Bremer Straßenbahn unter anderem ins Gesicht geschlagen. 15 Kinder und Jugendliche feuerten den jugendlichen Täter lautstark an. Die Betroffene kam ins Krankenhaus. Wenig später griff ein 16-Jähriger in Berlin eine transgeschlechtliche Frau unter anderem mit einem Backstein an. Das ist schrecklich, und es ist Alltag.
Auch die großen deutschen Medien berichteten über Maltes Tod und wunderten sich: Wird das mehr mit den Angriffen? Das lässt sich schwer sagen, weil es keine wirklichen Statistiken gibt.
Ich kenne viele Personen, mich selbst inbegriffen, die homo- und transfeindliche Gewalt erlebt haben, das aber nicht für Geld bei der Polizei anzeigen würden. Wir wissen alle warum.
Wird es mehr mit der Gewalt? Es ist mal wieder jemand medienwirksamer gestorben als sonst. Die, die wegen mangelnder gesundheitlicher Versorgung, wegen Polizeigewalt und Abschiebung sterben oder die, die sich das Leben nehmen, weil sie keine Chance auf ein lebenswertes Leben sehen, tauchen selten in den Medien auf. Als Letzte war es Ella, die sich im September 2021 auf dem Alexanderplatz in Berlin aus Protest gegen rassistische und transfeindliche Behörden selbst verbrannte.
Nimmt die Gewalt zu? Eigentlich ist die Antwort egal. Wer Maltes Tod für einen Weckruf hält, hört schon eine ganze Weile nicht hin. Das, was der Gewalt zugrunde liegt, ist die Frage, ob queere Menschen ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben haben. Die »Fortschrittskoalition« hält das Selbstbestimmungsgesetz zurück, das die momentan gültige menschenfeindliche Gesetzgebung für Personen, die ihren Namen und Geschlechtseintrag ändern wollen, abschaffen würde. Beratungs- und gesundheitliche Angebote für Queers sind immer noch weit davon entfernt, ausreichend zu sein. Zeitgleich stimmen einige Linke in den inszenierten Kulturkampf gegen »die Abschaffung der Frau« durch die Ausweitung der Rechte transgeschlechtlicher Personen ein.
Nimmt die Gewalt gerade zu? Vermutlich schon. Rechte Politiker*innen und Medienvertreter*innen verbreiten queerfeindliche Erzählungen, weil ihnen das Zuspruch verschafft. Egal, ob Lesben, Schwule, trans- oder cisgeschlechtliche Queers, wir sind Teil des Märchens von den dekadenten, verantwortungslosen Kindergefährder*innen, die es letztlich auszumerzen gilt, um den »Volkstod« zu verhindern. Antifaschismus heißt Solidarität mit transgeschlechtlichen Personen, insbesondere mit rassifizierten Queers. Und wer denkt, dass ich damit fordere, antikapitalistischen Aktivismus sein zu lassen, ist wahrscheinlich Teil des in diesem Artikel geschilderten Problems.