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Macron sagt au revoir

Ende 2024 haben sich auch traditionelle Verbündete Frankreichs gegen die ehemalige Kolonialmacht gewandt

Von Paul Dziedzic

Bild einer Flaggenzeremonie. Soldaten stehen um ein Mast und salutieren. Zwei Soldaten hissen die Flaggen von Tschad und Frankreich.
Zeit zu gehen. Immer mehr westafrikanische Staaten schicken das französische Militär weg. U.S. Army Southern European Task Force, Africa / Flickr, CC BY 2.0

Das Massaker von Thiaroye war ein Tiefpunkt in der langen französischen Kolonialgeschichte. 1944 lehnten sich im Camp von Thiaroye bei Dakar senegalesische Schützen auf, die in Westafrika rekrutiert worden waren, in Europa gekämpft und die deutsche Kriegsgefangenschaft überlebt hatten. Die Schützen forderten nicht nur ihren ausstehenden Lohn, sondern auch eine Gleichbehandlung – immerhin hatten auch sie im Kampf gegen den Faschismus ihr Leben eingesetzt. Ihre französischen Kameraden eröffneten das Feuer auf sie – bis zu 400 senegalesische Soldaten sollen ermordet worden sein. Bei der Gedenkveranstaltung am 1. Dezember nutzte der senegalesische Präsident Bassirou Diomaye Faye die Gelegenheit, den Abzug französischer Truppen für 2025 anzukündigen. Denn die Militärpräsenz – das wohl sichtbarste Überbleibsel von Imperialismus und Kolonialismus – wird zunehmend in öffentlichen Diskursen infrage gestellt, so sehr, dass auch Verbündete Frankreichs einen Kurswechsel vornehmen.

»China ist jetzt unser wichtigster Handelspartner. Haben die hier Militär stationiert?«, fragte Faye bei den Gedenkveranstaltungen. Das hieße jedoch nicht, dass keine Beziehungen bestehen bleiben sollten. Gleichzeitig möchte seine panafrikanische Partei ihrer souveränistischen Agenda treu bleiben. Die Schließungen französischer Kasernen sind dementsprechend einfach umzusetzen.

Doch auch traditionelle Verbündete der ehemaligen Kolonialmacht haben einen Richtungswechsel eingeschlagen. So zum Beispiel Côte d’Ivoire, das französische Basen schließen ließ. Präsident Alassane Ouattara, der die Verfassung änderte, um länger an der Macht bleiben, galt bisher als pro-französisch, manche spekulieren aber, dass er 2025 erneut antreten möchte. Ebenfalls überraschend ist die Entscheidung Tschads, die französische Stationierung zu beenden. Denn die Franzosen pflegten gute Beziehungen zur Militärdynastie der Débys und unterstützte sie bei der Bekämpfung der bewaffneten Opposition. Doch im November 2024 kündigte die tschadische Regierung überraschend die Räumung der zwei französischen Basen und den Abzug der rund Tausend stationierten Soldat*innen zum Ende des Jahres an.

Den Anfang dieser Ausweisungswelle machten Mali (2021), Burkina Faso (2023) und Niger (2023), die gemeinsam die Allianz der Sahel Staaten (AES) gegründet haben. In allen drei Ländern hatte das Militär in einer Reihe von Staatsstreichen die Macht übernommen. Europäische Beobachter*innen und Politiker*innen verklärten den Rausschmiss Frankreichs damals noch als Akt undemokratischer Staaten. Doch die Militärregierungen folgten einer gesellschaftlichen Stimmung, die Frankreich für die Verschlechterung der Sicherheitslage im Sahel verantwortlich machte. Ab 2025 dulden nur noch zwei afrikanische Länder auf ihrem Staatsgebiet das französisches Militär: Dschibuti und Gabun.

Diskurse um »Souveränität« sind in Westafrika prominenter geworden.

Der Abzug französischer Truppen vom Kontinent markiert einen Paradigmenwechsel. Denn ihre Mission, islamistische Gruppen im Sahel zurück zu drängen, haben sie nicht erfüllt. Gleichzeitig sind Diskurse um »Souveränität« in vielen westafrikanischen Ländern prominenter geworden, vorangetrieben von zivilgesellschaftlichen Gruppen und sozialen Bewegungen.

Doch das Thema geht über das Militärische hinaus: Die westafrikanischen Staaten müssen sich zunehmend auch mit ihrer Währungsunion, die Frankreich ihnen nach der Unabhängigkeit aufdrängte beschäftigen. Denn die Länder der CFA-Franc sind an den Euro gekoppelt, große Teile der Reserven lagern in Frankreich, auch bei Währungsentscheidungen hat die ehemalige Kolonie ein Wörtchen mitzureden. Daran sind auch die Exporte gebunden, die zu einem großen Teil aus unverarbeiteten Rohstoffen bestehen.

Irgendwann wird auch die Frage nach der afrikanischen Integration fällig, nicht nur auf dem Gebiet der Währungs- und Handelspolitik, sondern auch bei Fragen der freien Bewegung von Bürger*innen. Denn Frankreich ist – zusammen mit anderen EU-Ländern, im Bereich der Migrationskontrolle, etwa durch die Ausbildung von Polizist*innen oder die Finanzierung von Spezialeinheiten, auf dem Kontinent vertreten. Das EU-Grenzregime erzwingt eine Abschottung, die sich ausschließlich an europäischen Interessen orientiert.

Die französische Politik, zumindest in Person des Präsidenten, hat diese Entwicklung kolonialer Manier kommentiert. Emmanuel Macron beklagte, die westafrikanischen Staaten hätten vergessen, »sich zu bedanken«. Der zunächst symbolische Bedeutungsverlust und das Unverständnis für die afrikanisch-französischen Beziehungen labelt die französische Regierung kurzum als »anti-französische Stimmung«. Auch den anderen europäischen Staaten fällt es schwer, sich vom Erbe des Kolonialismus zu lösen. Letztlich wird ihnen diese Entscheidung früher oder später abgenommen.

Die abfälligen Reaktionen aus der alten Metropole zeigen, dass sich die Welt seit dem Massaker von Thiaroye längst verändert hat. Gleichzeitig halten sich Relikte des Kolonialismus wie der CFA-Franc hartnäckig. Neue internationale Partnerschaften und ein stärkerer regionaler Austausch – nicht auf der Ebene der Staatspolitik, sondern auch auf der Ebene von Bewegungen und politischen Ideen – haben das Potenzial, diese Überbleibsel zu verdrängen.