Machtfaktor Pandemie
Im Windschatten der Covid-19-Krise stabilisiert die Regierung in Fidschi ihren autoritären Kurs
Von Volker Böge
Weitestgehend unbeachtet von der internationalen Öffentlichkeit macht der pazifische Inselstaat Fidschi zur Zeit eine schwere Covid-19-Krise durch. Das Gesundheitssystem ist hoffnungslos überfordert, die Wirtschaft in der Krise, die Armut wächst und die politische Opposition ist zunehmendem Verfolgungsdruck durch die Regierung ausgesetzt.
Bis zum April 2021 gab es nur recht wenige Corona-Fälle in Fidschi. Dann stiegen die Zahlen aufgrund der Ausbreitung der Delta-Variante allerdings rasch. Seit Juni hatte Fidschi die gemessen an der Einwohner*innenzahl (rund 900.000) höchste Rate an Erkrankungen weltweit – im Verhältnis höher als die Rate der USA oder Indiens in deren schlimmsten Zeiten. Die Fälle konzentrierten sich in der Hauptstadt Suva auf der größten der Fisdschi-Inseln, Viti Levu. Über Wochen wurden täglich neue Höchstwerte für Neuerkrankungen und Tote verkündet. Bis Ende August verzeichnete Fidschi rund 47.000 Fälle. Das einzige größere Krankenhaus war bald überlastet, die Menschen mussten in Zelten notdürftig versorgt werden, bald war kein Platz mehr in den Leichenhallen.
Die Regierung hechelte der Entwicklung hinterher, konnte sich trotz dringlicher Empfehlungen von Gesundheitsexpert*innen zu keinen strikten Lockdown-Maßnahmen entschließen (man wolle »der Wirtschaft« nicht schaden). Es wurde versucht, den Verkehr zwischen der Hauptstadt und dem Umland einzuschränken und zu kontrollieren, und die Armenviertel am Rande der Stadt – die sogenannten Squatter Settlements (informelle Siedlungen) – wurden von Polizei und Militär abgeriegelt. Die Squatter Settlements sind Zentren der Pandemie. Die Menschen leben hier dicht gedrängt zusammen, physische Distanzierung (geschweige denn Isolierung Infizierter) ist nicht möglich, es gibt keine zentrale Wasser- und Abwasserversorgung, keine Elektrizität oder Müllabfuhr. Wegen der rigorosen Abriegelung kam es zu Versorgungsengpässen. Die Menschen kamen nicht an Lebensmittel oder Trinkwasser. Für zivilgesellschaftliche Organisationen war es extrem schwierig, angesichts der totalen Blockade Hilfsgüter von außen in die Settlements zu bringen. Die Regierung, die solchen Organisationen ohnehin skeptisch gegenübersteht, weil sie als tendenziell regierungskritisch oder oppositionell angesehen werden, wollte ihnen das Feld nicht überlassen, war aber selbst nicht in der Lage, ausreichende Versorgung zu gewährleisten.
Soziale Folgen: Arbeitslosigkeit und Hunger
Die Menschen hungerten, die Lage spitzte sich zu. Alsbald kam es zu teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen aus den Settlements und Militär und Polizei an den Kontrollposten. Frauen organisierten Mahnwachen und Hungerdemonstrationen an den Posten, forderten Lebensmittel und die Aufhebung der Blockaden. Es kam auch zu Gewaltkonflikten in den Settlements selbst. Familien und Straßenzüge prügelten sich um die knappen Lebensmittel. Das Problem in den Settlements ist, dass es zu wenig Land gibt, um Gärten zur Selbstversorgung zu unterhalten. Subsistenzwirtschaft ist ansonsten in Fidschi weit verbreitet; in den Dörfern muss in der Regel niemand hungern. Die Stadtbewohner*innen aber sind auf den Zugang zu Märkten und Läden – und auf Geldeinkommen – angewiesen. Dies wurde ihnen genommen. Die Zahl der Arbeitslosen war im Zuge der Pandemie ohnehin rapide gestiegen. Und jene, die noch bezahlte Arbeit hatten, konnten nun aufgrund der Blockade nicht an ihre Arbeitsplätze kommen und deshalb nichts verdienen. Die Tourismus-Branche, größter Wirtschaftszweig des Landes, war aufgrund der Unterbindung des internationalen Reiseverkehrs bereits im Vorjahr weitgehend zusammengebrochen.
Die Regierung setzte auf Repression – und auf ein umfassendes Impfprogramm. Beunruhigt durch die krisenhafte Zuspitzung der Lage in Fidschi, hatten die Nachbarn Australien und Neuseeland Impfstoff ins Land gebracht, und seit Juli wurde umfassend geimpft. Die Regierung verkündete eine »No jabs – no jobs«-Politik: Wer sich nicht impfen lässt, verliert seinen Job. Bis Ende August konnte die Zahl der zweimal Geimpften auf 47% der Bevölkerung gebracht werden. Parallel dazu wurde das Testen heruntergefahren. Dass mittlerweile niedrigere Zahlen von Corona-Fällen gemeldet werden, lässt mithin nicht unbedingt auf einen Rückgang der Infektionen schließen. Von jenen, die getestet werden, sind weiterhin mehr als die Hälfte positiv. Zusehends fallen Kinder dem Virus zum Opfer. Am letzten August-Wochenende zum Beispiel starben ein 11-jähriges Mädchen und ein sechs Monate alter Junge.
In den letzten Wochen hat sich die Pandemie über Suva hinaus in ländliche Gebiete der Hauptinsel und auch auf andere Inseln ausgebreitet. Hier ist das Gesundheitssystem noch fragiler, und es ist schwer, an verlässliche Informationen zu bekommen. Daten gibt es nur aus (ehemaligen) Tourismuszentren; wie es in abgelegenen Dörfern aussieht, bleibt unbekannt. Es ist anzunehmen, dass die offiziellen Todeszahlen, die ohnehin von der Regierung kleingerechnet werden, deutlich untertrieben sind. Dies ist ein generelles Problem in einer Reihe pazifischer Inselstaaten über Fidschi hinaus: Da auf dem Lande nicht getestet wird, gibt es keine verlässlichen Daten, lediglich vereinzelte Berichte, die auf ungewöhnlich hohe Zahlen von krankheitsbedingten Todesfällen schließen lassen.
Verfolgung der Opposition
Das ohnehin geringe Vertrauen der Bevölkerung in die eigene Regierung wurde aufgrund der Art, wie diese mit der Corona-Krise umging, weiter erschüttert. Das hat auch zur Folge, dass Verschwörungstheorien und Anti-Impfungs-Propaganda fruchtbaren Nährboden finden. Viele Leute wollen sich dem Zwang zur Impfung nicht unterwerfen. Wenig hilfreich ist in diesem Zusammenhang, dass prominente Kirchenvertreter *innen ebenfalls zum Lager der Corona-Leugner*innen und Impf-Verweigerer*innen gehören; die Kirchen sind in Fidschi, wie in den anderen pazifischen Inselstaaten auch, die mit Abstand einflussreichste zivilgesellschaftliche Akteurin. Jene Kirchen, die die Pandemie ernst nehmen und zu Vorsicht und zum Impfen raten, haben einen schweren Stand.
Die Opposition, die berechtigte Kritik an der Regierung übt, ist versucht, sich den Corona-Leugner*innen zu öffnen.
Kompliziert wird die Situation zusätzlich dadurch, dass die politische Opposition, die berechtigte Kritik an der Regierung übt, versucht ist, sich den Pandemie-Leugner*innen gegenüber zu öffnen und sich als Opfer der Verfolgung durch die Regierung (die in der Tat vorkommt) darzustellen. Das bringt fortschrittliche Kräfte in eine schwierige Lage: Einerseits müssen sie sich vom Lager der Leugner*innen distanzieren und sinnvolle Maßnahmen der Pandemie-Bekämpfung unterstützen, andererseits wollen sie aber auch an der Kritik der repressiven Regierungspolitik festhalten. Letzteres ist nötiger denn je, versucht die Regierung doch, im Windschatten der Pandemie die politische Opposition so weit wie möglich zu zerschlagen.
Die gegenwärtige Regierung ist hervorgegangen aus der Militärdiktatur, die Fidschi von 2006 bis 2014 beherrschte. An deren Spitze steht Frank Voreqe Bainimarama von der Partei Fiji First, seinerzeit Oberbefehlshaber der fidschianischen Streitkräfte. Er ist seit 2014 Chef einer zivilen Regierung, in der das Militär aber nach wie vor großen Einfluss hat. Bainimaras Regierung geht mit der parlamentarischen und außerparlamentarischen Opposition nicht zimperlich um. Seine Regierung findet immer wieder Gelegenheiten, Abgeordnete der Oppositionsparteien gerichtlich zu verfolgen und Kritiker*innen auf Polizeiwachen oder in Kasernen zu malträtieren. Während der Corona-Pandemie wurden mehrfach führende Oppositionspolitiker*innen verhaftet (Begründung: Anstiftung von Unruhen), und die Regierung drückte ein höchst umstrittenes Landgesetz durch, welches die Privatisierung von Land erleichtert. (1) Die Opposition ist zwar schwach und zerstritten, aber im nächsten Jahr stehen Wahlen an, und Bainimarama will auf Nummer sicher gehen. Die Pandemie macht ihm seinen autoritären Kurs leichter.
Schaut mensch sich die Lage der Menschen in Covid-Zeiten in einem Land des Südens wie Fidschi an – sehr, sehr weit weg von Deutschland und von internationaler Aufmerksamkeit –, wird offenbar, auf welch hohem Niveau in den Metropolen des Nordens heutzutage gejammert wird. Und Fidschi ist kein Einzelfall …
Anmerkung:
1) Wie in anderen pazifischen Staaten auch, ist in Fidschi der größte Teil des Landes im kollektiven Besitz von traditionellen Gemeinschaften. Nur ein sehr kleiner Teil ist in Privat- oder Staatsbesitz. Dieser Zustand steht angeblich wirtschaftlicher »Entwicklung« im Wege. Entsprechend drängen die Protagonisten neoliberaler Wirtschaftspolitik auf die Privatisierung von Land.