Dem Investor zum Fraß vorgeworfen
Das Berliner Hausprojekt Liebig 34 wurde geräumt – allerdings nicht widerstandslos
Von Claudia Krieg
Siebzig Prozent der Checkpoint-Leser halten Liebig34-Räumung für falsch.« So stand es in der Woche nach der Räumung des besetzten Hauses Liebig 34 auf der Webseite der auflagenstärksten Tageszeitung Berlins, dem Tagesspiegel. Demnach hatten sich 11.000 Menschen an einer Online-Umfrage des Blattes beteiligt und kundgetan: »Die letzten Freiräume müssen verteidigt werden.« Das ist ein ganz anderer Tenor als der, um den sich die aufgeregte Hauptstadtpresse bemühte, in deren reißerischer und voyeuristischer Berichterstattung über »Links-Chaoten« es kaum um das ging, was die Liebig 34 war: ein Wohnort von 40 Menschen, die ein widerlicher Immobilieninvestor, der allein in Friedrichshain 200 Häuser besitzen soll, jetzt kurz vor dem Winter, mitten in der Corona-Pandemie hat aus dem Haus werfen lassen.
Am 9. Oktober hatte ein Großaufgebot an Polizeibeamt*innen den Räumungstitel gegen das international bekannte queerfeministische Hausprojekt in Friedrichshain-Kreuzberg durchgesetzt. 57 Menschen waren bis zum späten Freitagvormittag aus dem Gebäude in der Liebigstraße im symbolträchtigen Nordkiez herausgeführt worden, sie hatten es der Polizei, die mit 1.500 Einsatzkräften, mit Wasserwerfern, Flutlicht, Absperrungen, »Roter Zone«, Räumfahrzeugen, Helikopter, Motorsägen und sonstigem schwerem Gerät schon Tage vorher vor Ort für einen martialischen Eindruck gesorgt hatte, denkbar schwer gemacht. Drumherum hatten Unterstützer*innen und Anwohner*innen in schwerem Regen die Nacht über dem Polizeieinsatz getrotzt und gegen die Räumung protestiert. Am Abend danach zogen mehr als 2.000 Menschen vier Stunden durch Berlin-Mitte und trieben den Preis für die Räumung ganz praktisch in die Höhe.
Zuvor hatte bereits ein als Solidaritätsakt inszenierter S-Bahn-Kabelbrand knapp eine Woche den Berliner Ring lahmgelegt – aber auch dafür gesorgt, dass viele Arbeiter*innen über Tage nur unter großen Schwierigkeiten an ihre Arbeitsplätze gelangen konnten. Aus Sicht von Pflege- und Reinigungskräften gerade in der Corona-Krise sicherlich keine Aktion, die die Sympathie für Linksradikale steigert. Aber viel bleibt im Kampf gegen den massiven Verdrängungsdruck, die der Berliner Mitte-Links-Senat mit zu verantworten hat, auch nicht mehr übrig. Wer die Liste von Kein Haus weniger, einem Zusammenschluss von über 150 Projekten, kennt, die sich dem fortgesetzten Ausverkauf der Stadt entgegenstemmen, weiß auch, was derzeit alles auf dem Spiel steht.
An manchen dieser Orte hat man vielleicht erst in den vergangenen Jahren verstanden, dass eine größere Vernetzung zum Beispiel mit mietenpolitischen Initiativen aus dem linksradikalen Subraum heraus dringend nötig ist. Für die Liebigstraße 34 kam all das zu spät. Gijora Padovicz, der das Haus für 600.000 Euro bei einer Zwangsräumung 2008 ersteigert hatte, hat sich allen Versuchen einer Lösung, wie Kauf des Gebäudes durch den Bezirk, verweigert. Der darüber hinaus noch längst nicht zu Ende geführte Rechtsstreit, ob in einem bewohnten Gebäude Gewerbemietrecht zur Anwendung kommen darf, schreckt den Immobilienmäzen nicht.
Deshalb kann man am Beispiel Liebig 34 sehen, dass der Einsatz für den konkreten Ort auch immer ein symbolischer ist. Bewohner*innen und zahlreiche Unterstützer*innen kämpften fast zwei Jahre nicht nur dafür, dass ein Freiraum für FLINT-Menschen (Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre & trans Personen) erhalten bleibt, sondern auch darum, dass der Preis, wo es nur geht, hochgetrieben wird, immer wenn skrupellose Investoren anrücken und ihre Eigentumsinteressen vor dem Recht auf Wohnraum geltend machen. Dass sie das nach wie vor dürfen und die rot-rot-grüne Koalition je nach Bedarf Amtshilfe leistet, bleibt der wesentlichste Teil des Skandals rund um diese größte Zwangsräumung seit Langem.