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Leerlauf der Export­dampfwalze

Das Wirtschaftsmodell der Bundesrepublik stößt in der neuen, durch Protektionismus und Deglobalisierung geprägten Krisenphase an seine Grenzen

Von Tomasz Konicz

Autos fahren eine Straße entlang und werden durch eine Baustelle gebremst
Autos und anderes bauen und exportieren, dank Niedriglöhnen war das lange das Erfolgsrezept der deutschen Wirtschaft. Aber jetzt stockt es – und das bleibt auch erstmal so. Foto: Usien / Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.0 DEED

Deutschland, dein Name ist Stagnation. Die Konjunkturaussichten für den mehrmaligen Exportweltmeister bleiben auch 2024 düster. Nach der EU-Kommission, die der Bundesrepublik heuer nur ein Wachstum von 0,8 Prozent zutraute, musste Mitte Dezember auch die Bundesbank ihre Konjunkturprognose für das neue Jahr nach unten korrigieren: von 1,2 auf nur noch 0,4 Prozent. Im vergangenen Jahr befand sich die Bundesrepublik demzufolge sogar in einer leichten Rezession.

Die Bundesbank machte die global zunehmenden Krisenerschütterungen für die Stagnation der deutschen Wirtschaft verantwortlich, die sich in »Kaufkraftverlusten im Zuge der Energiekrise«, den dämpfenden Effekten der »geopolitischen Spannungen und Krisen«, sowie der geringeren »Wachstumsdynamik der Weltwirtschaft« manifestierten. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht Deutschland gar als weltweit »einzige große Volkswirtschaft« in diesem Jahr in Rezession verharren, berichtete Spiegel-Online. Die das deutsche »Geschäftsmodell« charakterisierende Exportausrichtung der Industrie, die bislang Grundlage der überdurchschnittlich guten Wirtschaftsentwicklung war, lässt nun die Bundesrepublik in Stagnation und Rezession verharren.

Die konkreten Exportzahlen, mit denen sich die erfolgsverwöhnte Industrie konfrontiert sieht, sind tatsächlich ernüchternd. Im September 2023 verzeichnete Deutschland einen überraschend starken Rückgang der Exporte gegenüber dem Vormonat: um 2,4 Prozent auf 126,5 Milliarden Euro. Die Krise der Exportindustrie wird im Jahresvergleich noch deutlicher, da die deutschen Ausfuhren in Relation zum September 2022 sogar um 7,5 Prozent einbrachen. Der Trend scheint sich festzusetzen: Im Oktober 2023 gingen die Exporte nochmals etwas nach unten. Der Warenabsatz in den wichtigsten Zielländern der deutschen Industrie, den USA und China, ging merklich zurück. Der deutsche Exportrückgang in die Länder der EU fiel hingegen relativ mild aus.

Deutschlands Exportsackgasse

Die Bundesbank sieht in den kommenden Monaten keine Anzeichen für eine »Belebung des Außenhandels«, der weiterhin in seiner »Schwächephase« verharre. Mit diesem langanhaltenden Abschwung gelangt somit das exportfixierte Wirtschaftsmodell an seine Grenzen, das zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Reaktion auf zunehmende ökonomische Krisentendenzen in der Bundesrepublik durchgesetzt wurde. Die Schrödersche Agenda 2010 mit den Hartz-IV-Arbeitsgesetzen führte zur Ausbildung eines großen Niedriglohnsektors und zu einer besonders günstigen Entwicklung der Lohnstückkosten (Anteil der Löhne an den Kosten einer Ware) der hochproduktiven deutschen Industrie, die in der Folge immer größere Exporterfolge erzielen konnte. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Der Wert deutscher Exporte stieg von 510 Milliarden Euro 1999 auf 1.593 Milliarden 2022.

Es war nicht zuletzt der Erfolg der deutschen Exportstrategie, der ihr derzeitiges Scheitern besiegelte.

Die Ära der finanzmarktgetriebenen, neoliberalen Globalisierung, in der die meisten Industriestaaten Spekulationsblasen ausbildeten und immer größere Schuldenberge anhäuften, ermöglichte somit eine Verdreifachung deutscher Exporte. Entscheidend waren hierbei aber die in den 1990ern nicht gegebenen Handelsüberschüsse der Bundesrepublik, die von 59 Milliarden bei der Euroeinführung 2000 auf bis zu 247 Milliarden 2017 anstiegen (2021 waren es noch 175 Milliarden Euro). Mit dieser auf Maximierung der eigenen Handelsbilanzüberschüsse zielenden sogenannten Beggar-thy-Neighbour-Politik (»Ruiniere deinen Nachbaren«) betrieb Deutschland faktisch Schuldenexport und Deindustrialisierung in den Zielländern der Exportoffensiven.

Das versetzte die Bundesrepublik in die Lage, in einer systemischen Überproduktionskrise, in der globale Verschuldung schneller als die Weltwirtschaftsleistung ansteigt, einen ausgeglichenen Haushalt und eine niedrige Verschuldung vorzuweisen. Bis zum Krisenschub von 2008 und der folgenden Eurokrise ruinierte der Exportüberschussweltmeister vor allem die Eurozone, die hiernach vom damaligen deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble einem drakonischen Spardiktat unterzogen wurde. Anschließend fand eine Neuausrichtung der deutschen Exportdampfwalze auf die USA und Südostasien samt China statt.

Es war nicht zuletzt der Erfolg der deutschen Exportstrategie, der ihr derzeitiges Scheitern besiegelte. Konfrontiert mit den Folgen großflächiger Deindustrialisierung, geplatzter Spekulationsblasen und einer erodierenden Mittelschicht, gewinnen in vielen Staaten zunehmend protektionistische Bestrebungen an Einfluss – gerade in den USA, wo die Biden-Administration den Protektionismus Trumps faktisch fortführt. Die daraus resultierenden handelspolitischen Spannungen zwischen Washington und Brüssel konnten bis heute nicht ausgeräumt werden. Zugleich setzen Tendenzen zur Deglobalisierung ein, bei denen vor allem die USA bemüht sind, regionale Produktionsketten – mit Schwerpunkt auf Mexiko – aufzubauen. Es sind somit nicht nur die von der Bundesbank beklagten Krisenerschütterungen, die aktuell problematisch für die Exportindustrie sind. Auch perspektivisch befindet sich die »Exportnation« BRD in einer Sackgasse, weil die Deglobalisierung krisenbedingt zunehmen wird. Das Weltsystem tritt nun in einer Phase ähnlich den 1930er Jahren ein, als die Industriestaaten mit Protektionismus auf die Folgen der Weltwirtschaftskrise 1929 reagierten.

Im allgemeinen Abschwung erholen sich ironischerweise die deutschen Exportüberschüsse (von 15,4 Milliarden Euro im September auf 17,3 Milliarden im Oktober 2023), die 2022 fast verschwunden waren, da die Inlandsnachfrage in der Bundesrepublik noch stärker einbricht als die Exporte. Der zweite große Krisenfaktor ist nämlich buchstäblich hausgemacht: Es ist der »zinsempfindliche« (IWF) deutsche Immobiliensektor, der sich in einer schweren Krise befindet, nachdem die Notenbanken zwecks Inflationsbekämpfung die Zinsen anheben mussten.

Zwischen 2015 und Anfang 2022 sind die Wohnimmobilienpreise in der Bundesrepublik um 66 Prozent gestiegen, während die Bautätigkeit um 16 Prozent zulegte. Doch nun geht der durch Nullzinsen befeuerten Immobilienhausse die Luft aus. Faktisch platzt derzeit die große deutsche Immobilienblase, die in der Ära neoliberalen Exportbooms entstanden ist, was aufgrund des damit einhergehenden Einbruchs der Bautätigkeit weitreichende Folgen für die Konjunktur hat. Die Hauspreise sind laut der Financial Times (FT) deutschlandweit um zehn Prozent binnen eines Jahres eingebrochen.

»Perfekter Sturm«

Die Banken in Deutschland pflegten auf dem Höhepunkt des Baubooms eine »laxe Kreditvergabepraxis« (FT), bei der Kredite in Höhe von mehr als 80 Prozent des – damals steigenden – Gebäudewerts vergeben wurden, was aber nun, da die Preise fallen, zu einer Schwemme von faulen Krediten führen kann. Die Zinserhöhungen der europäischen Zentralbank, mit denen die Inflation von nahezu neun auf inzwischen 3,2 Prozent gedrückt werden konnte, haben zur Verteuerung von Immobilienkrediten und massenhaften Stornierungen von Bauaufträgen geführt. Rund 22 Prozent aller deutschen Baufirmen meldeten im Oktober Stornierungen, was den höchsten Prozentsatz seit dem Beginn der Erhebung der Daten 1991 darstelle. Eine Pleitewelle rollt durch die taumelnde deutsche Immobilienbranche, in deren Folge in diesem Jahr (Januar bis Oktober) die Insolvenzen um 42 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zugenommen haben. Zugleich bleiben die Mieten wegen des fehlenden Wohnraums, der nachlassenden Bautätigkeit und der höheren Kreditkosten hoch.

Der »perfekte Sturm« im Immobiliensektor, der 2021 fünf Prozent des deutschen BIP umfasste, trage zu den schlechten Konjunkturaussichten bei, die »Deutschland ans Ende der Rankings des IWF fallen« ließen, warnte die FT. Dabei sind es nicht nur Bauunternehmen, die aufgrund der Inflationsbekämpfung zusammenbrechen. Die Wechselwirkung von hohen Zinsen und dem Auslaufen der Konjunkturprogramme und Pandemiehilfen habe viele Branchen in den USA und der EU hart getroffen, berichtete die FT Mitte Dezember, wobei die Pleitewelle in der Bundesrepublik mit einem Plus von 25 Prozent (Januar bis September 2023) weitaus höher ausfiel als im EU-Vergleich, wo die Unternehmensinsolvenzen im selben Zeitraum um 13 Prozent zulegten.

Erfolgreiche Inflationsbekämpfung, wie sie derzeit die EZB implementiert, kann somit nur um den Preis konjunktureller Einbrüche und/oder Stagnation erfolgen, was auf die Festsetzung einer dauerhaften Tendenz zur Stagflation verweist – bei der die Ökonomie zwischen Inflations- und Stagnationsphasen pendelt. Die bürgerliche Wirtschaftspolitik befindet sich in einer regelrechten Krisenfalle, in der sich die Wirtschaft nur um den Preis zunehmender Inflation mittels Niedrigzinsen und Konjunkturspritzen beleben kann – oder sie geht mittels restriktiver Geldpolitik zur Inflationsbekämpfung über, was die Finanzsphäre destabilisiert und die Wirtschaft in Stagnation oder Rezession treibt.

Deutschlands exportfixiertes »Geschäftsmodell« formte sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts als Krisenreaktion der hiesigen Funktionseliten aus. Es ist ein Produkt der Ära der neoliberalen Krisenverwaltung mitsamt der Globalisierung, den wuchernden Finanzmärkten und der korrespondierenden, auf Pump laufenden Blasenökonomie. Der »Exportweltmeister« war daran hochgradig angepasst, indem dessen Exportindustrie mittels ihrer Handelsüberschüsse die aus dem Krisenprozess resultierende Verschuldung, Arbeitslosigkeit und Deindustrialisierung exportierte. Nun scheinen die äußere und die innere Schranke des Kapitals, die Klimakrise und die Wirtschaftskrise in immer stärkere Wechselwirkung zu treten. Die neue Krisenphase, die nach Pandemie, Ukraine-Krieg und dem jüngsten Inflationsschub immer deutlicher Kontur gewinnt, ist durch Protektionismus, Deglobalisierung, Ressourcenknappheit, disruptive externe Schocks (Kriege, Extremwetterereignisse) und die säkulare Tendenz zur Stagflation gekennzeichnet, in der sich die Entwertung des Werts vollziehen wird.

Der große Konkurrenzvorteil, den Deutschland im Neoliberalismus ausbildete, die starke Exportfixierung der Wirtschaft, wandelt sich somit zu einem Nachteil. Die große protektionistische Kehrtwende, die Washington inmitten zunehmender Krisenschübe vollführt, befeuert einen labilen Aufschwung in den USA, der mit einem rasanten Anstieg der Investitionstätigkeit einhergeht, während Volkswirtschaften mit bisheriger Exportfixierung und Handelsüberschüssen tendenziell stärker unter Handelshürden und hohen Rohstoff- und Energieprisen leiden werden.

Tomasz Konicz

ist Autor und Journalist. Von ihm erschien zuletzt das Buch »Klimakiller Kapital. Wie ein Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlagen zerstört«. Mehr Texte und Spendenmöglichkeiten (Patreon) auf konicz.info.