Kulturkampf ganz oben
Die Regierungskrise in Sachsen-Anhalt verweist auf den Resonanzraum rechter Politik im Osten
Von Marcel Hartwig
Ein halbes Jahr nach der Landtagswahl 2016, bei der die AfD 24,3 Prozent einfuhr, hatte man am Theater Magdeburg die Idee, den neurechten Verleger Götz Kubitschek mit dem CDU-Landesinnenminister Holger Stahlknecht auf ein öffentliches Podium zu setzen. Stahlknecht sagte zu. Für Kubitschek, der sich gern mit der Aura des elitären Rechtsintellektuellen umgibt, hätte dies eine enorme Aufwertung bedeutet. Geht es in rechten Männerbünden doch auch immer um Satisfaktionsfähigkeit. Allein, Ministerpräsident Haseloff (CDU) verbot seinem Innenminister den gemeinsamen Auftritt mit dem Faschisten aus Schnellroda.
Die Episode steht exemplarisch für die Öffnung der Landes-CDU nach rechts in der zu Ende gehenden Legislaturperiode. Der nun entlassene Innenminister und zwischenzeitige CDU-Landeschef Stahlknecht gab in der Auseinandersetzung mit der AfD im Landtag den staatstragenden liberal-konservativen Politiker, als CDU-Chef den nationalkonservativen harten Hund. Dieses Rollenspiel sollte die durch die AfD von rechts unter Druck stehende CDU-Basis befrieden und die an die AfD verlorenen Wähler*innen zurückholen. Teile der CDU-Landtagsfraktion ließen immer wieder erkennen, dass sie einer Öffnung der Partei zur AfD wohlwollend gegenüberstehen. So stimmte die CDU im Landtag gemeinsam mit der AfD für die Einsetzung einer »Linksextremismus« Enquete Kommission, aus der heraus die AfD ihr missliebige politische und kulturelle Projekte im Land massiv unter Druck setzte.
Reaktionäre Ostalgie
An Belegen dafür, dass die CDU in Sachsen-Anhalt auf der Rechtsabbiegerspur fährt, mangelt es nicht. Die gescheiterte Berufung des Chefs der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, zum Innenstaatssekretär durch Stahlknecht zählt ebenso dazu, wie das von einigen CDU-Abgeordneten im Februar 2020 lancierte Papier, in dem eine Kooperation mit der AfD in Betracht gezogen und eine Verbindung des »Nationalen mit dem Sozialen in der Politik« gefordert wurde. In Erinnerung ist auch, dass CDU-Landtagsabgeordnete in ähnlicher Tonlage wie die AfD die Absage eines Konzerts der Band Feine Sahne Fischfilet im Dessauer Bauhaus verteidigten.
Grund für den Rechtskurs der CDU Sachsen-Anhalt ist nicht nur, dass ihre Abgeordneten im Landtag denen der AfD habituell und politisch näher stehen, als jenen ihrer Koalitionspartner aus SPD und Grünen. Das Wählermilieu von CDU und AfD weist große Schnittmengen auf. Bei der Landtagswahl 2016 nahm die AfD der CDU im Süden des Landes die sicher geglaubten Direktmandate ab. Eine bis heute anhaltende schmerzliche Erfahrung für die erfolgverwöhnte CDU. In den ländlich und kleinstädtisch geprägten Regionen dominieren Wähler*innen, die in Reaktion auf die rasanten Veränderungen ihrer Lebens- und Arbeitswelt in den vergangenen 30 Jahren und den Wegfall sozialdemokratischer Krisenlösungsmuster auf regressive Krisenbewältigungsstrategien zurückgriffen.
Zuletzt war viel von der Schwäche der AfD in der Pandemie zu lesen. In Sachsen-Anhalt aber ist sie mit 23 bis 25 Prozent in den Umfragen stabil.
Dass es in Sachsen-Anhalt nicht um die 86 Cent höhere Rundfunkgebühr ging, ist indes ein Gemeinplatz der bundesweiten Debatte. Die CDU Sachsen-Anhalt baute mit ihrer rigorosen Ablehnung der Erhöhung der Rundfunkgebühr auf eine identitätspolitische Argumentation: Der Osten sei thematisch, personell und strukturell in den öffentlich-rechtlichen Medien unterrepräsentiert. Dies müsse sich ändern. Wahr ist, dass die ÖRR-Medien von westdeutschen Normalitätsnarrativen dominiert werden, in denen die kulturelle Erinnerung der Menschen in den Ost-Ländern exotisiert wird. Wahr ist aber auch, dass die CDU-Medienpolitik über zwei Jahrzehnte die reaktionäre Ostalgie namentlich des MDR stützte, die kontroversen Debatten etwa über den Rechtsextremismus im Osten lange vermied. Ein Blick auf die medienpolitischen Machtkonstellationen in Ostdeutschland zeigt: In den Ländern Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen hatte die CDU über Jahre Mehrheiten, um in den Aufsichtsgremien ihre Vorstellungen vom Umbau der Sender umzusetzen. Wer etwa die medienpolitischen Positionen des zuständigen Kulturstaatsministers Sachsen-Anhalts, Rainer Robra, liest, ahnt dass der CDU Sendeformate à la »So schön ist unsere Heimat« mehr am Herzen liegen, als investigative Recherchen über Leipziger Polizeiskandale oder darüber, wie prekär die Situation unabhängiger Jugend- und Kulturinitiativen in der Provinz ist. Entpolitisierte, regionale Berichterstattung und seichte Unterhaltung – das ist diese Mischung, die den CDU-Medienpolitiker*innen in Magdeburg vorschwebt.
Kein Anzeichen von Schwäche
Zuletzt war in Bezug auf die bundesweiten Umfragen von einer Schwäche der AfD in der Pandemie zu lesen. Dies mag für den Bundestrend zutreffen. In Sachsen-Anhalt aber ist die AfD mit 23 bis 25 Prozent in den Umfragen nahezu stabil.
Dass diese Umfragewerte auf die konkrete Arbeit im Parlament zurück zu führen sind, ist unwahrscheinlich. Parlamentsberichterstattung ist in den Medien des Bundeslandes die anlassbezogene Ausnahme. Die Bilanz der parlamentarischen Arbeit der AfD zeigt, dass die Fraktion auf rechte Leib- und Magenthemen setzt und sich verlässlich zu Wort meldet, wo Vorurteile gegen Minderheiten oder populistisch die »Wut des Volkes« gegen die »da oben« geschürt werden kann.
Weder die Pandemie noch der scharfe Rechtskurs, für den die Partei in Sachsen-Anhalt seit Jahren steht, schaden der AfD in der Gunst der Wähler*innen. Dass die Abstimmung über die Gebührenerhöhung nun abgesetzt wurde, ist ein indirekter Erfolg für sie. Er zeigt, dass die Partei aus der Opposition zu einem Machtfaktor geworden ist. In den Kommunen und Kreisen gibt es längst informelle Kooperationen und taktische Allianzen zwischen der örtlichen AfD und den anderen Parteien, wenn es um kommunale Detailfragen geht. Davon ist auch die Linkspartei nicht ausgenommen.
Im Osten zwingt die AfD die CDU mittelfristig in den Schraubstock zwischen einem vermeintlich weltoffenen Neoliberalismus und einem Nationalkonservatismus mit offener Flanke nach rechts, mit dem Ziel, dies zur Bruchlinie zu vertiefen. In der Klemme ist auch die Linkspartei, wo die AfD sich ihres Framings, ihrer Themen und selbst ihrer Anträge bedient, um als Akteur sozialer Gerechtigkeit zu erscheinen. Die parteiinterne Anhängerschaft Björn Höckes will die AfD im Osten als rechte Volkspartei etablieren, die divergierende Milieus integrieren soll. Im neurechten Vorfeld der Partei ist dafür der Begriff »Solidarischer Patriotismus« erdacht worden, der inhaltlich ausbuchstabiert nichts anderes sein kann, als die Volksgemeinschaft der Leistungs- und Solidargemeinschaft im neuen Gewand.
Im Falle weiter sinkender westdeutscher bzw. bundesweiter Umfragewerte kann die AfD in den Kernländern des Höcke-Lagers – Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen – problemlos ganz rechts außen als das weitermachen, was der rechte Publizist Karlheinz Weißmann unter Bezug auf die rechtsextreme italienische Partei Lega Nord treffend »Lega Ost« nannte: als rechte Regionalpartei. Dass die AfD das Ziel verfolgt, mit Hilfe der politisch erpressbaren CDU die ostdeutschen Bundesländer hegemoniepolitisch zum Orban-Ungarn Deutschlands zu machen, kann sehen, wer die Entwicklung der politischen Kultur zwischen Erfurt, Magdeburg und Dresden in den vergangen Jahren verfolgt hat. Die Debatte um den Rundfunkbeitrag ist ein Hinweis auf die Durchsetzungsmacht rechter Kulturkämpfe im Osten, die nicht mehr nur jugendkulturell und sozialräumlich ausgetragen werden, sondern auf höchster politischer Ebene. Der rechte gesellschaftliche Block aus nationalkonservativer CDU und völkischer AfD im Osten kann die weithin fragmentierten Milieus, die dem entgegenstehen, dominieren und ihnen unter Umständen ihren Willen aufzwingen. Das ist die Lehre aus der politischen Farce von Magdeburg.