Kontrolle ist gut, Abschaffung ist besser
Das bayerische Verfassungsschutzgesetz wurde für teilweise verfassungswidrig erklärt.
Von Hannes Kerger
Das Bayerische Verfassungsschutzgesetz (BayVSG) ist über weite Strecken nicht mit dem Grundgesetz kompatibel. So entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 26. April. Geklagt hatten drei Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Die VVN-BdA wurde bis zum Jahr 2021 im bayerischen Verfassungsschutzbericht als »linksextremistische« Vereinigung geführt. Die Beschwerde der Klagenden richtete sich gegen weite und wesentliche Tätigkeitsbereiche des Inlandsgeheimdienstes.
Im Jahr 2016 waren das BayVSG novelliert und dem bayerischen Verfassungsschutz weitreichende Befugnisse eingeräumt worden. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hatte damals erklärt, ein verbesserter Austausch von Daten zwischen den Sicherheitsbehörden sei notwendig, um Anschläge wie auf dem Berliner Breitscheidplatz 2016 künftig zu verhindern. Während der Verhandlung vor dem BVerfG wiederholte Herrmann dieses Argument, auch unter Verweis auf die Mordserie des NSU. Wie die Weitergabe von Informationen, die der Verfassungsschutz (VS) in Windeseile nach dem Auffliegen des NSU vernichtete, bei dessen Aufdeckung helfen hätte können, wird wohl ein Geheimnis des Ministers bleiben. Doch seit Jahren bereits hört man das Lamento aus den Sicherheitsbehörden – bisweilen im Wortlaut und ohne einen Hauch der Ironie: »Die Kriminellen dürfen alles, und wir dürfen nichts.«
Nicht nur das bayerische, sondern alle Landesämter für Verfassungsschutz werden künftig etwas weniger dürfen, wenn die Landesregierungen der Entscheidung des BVerfG genügen wollen. Hinreichende Eingriffsvoraussetzungen fehlen laut BVerfG etwa bei der Ortung von Mobilfunkgeräten (insbesondere dann, wenn damit die Erstellung eines Bewegungsprofils möglich wäre), bei der Onlinedurchsuchung oder dem Einsatz von V-Leuten. Bei der Wohnraumüberwachung und der Auswertung von Daten aus Onlinedurchsuchungen sind keine ausreichenden Voraussetzungen für den Schutz der Kernbereiche der privaten Lebensgestaltung gegeben. Beim Einsatz von V-Leuten wird durch das Gesetz die Zahl der zu überwachenden Personen zudem nicht begrenzt, sodass auch Unbeteiligte zum Ziel werden könnten.
Das BVerfG monierte außerdem eine fehlende Vorabkontrolle der Handyortung, längerer Observationen sowie des Einsatzes von V-Leuten durch eine unabhängige Kontrollinstanz. Die Ausgestaltung einer solchen Institution ließ das Gericht jedoch offen. Wenn solche Gremien mit entsprechenden Expert*innen besetzt wären, könnten sie eine wichtige Kontrollfunktion erfüllen und beispielsweise verhindern, dass über V-Leute Gelder in die Kassen von Rechtsradikalen fließen. In der Verhandlung wehrte sich Burkhard Körner, Präsident des Bayerischen Verfassungsschutzes, gegen eine solche Kontrolle: »Die nötige Erfahrung für die Platzierung von Quellen an den richtigen Stellen habe eigentlich nur er und sein Führungspersonal«, berichtet Legal Tribune Online aus der Verhandlung.
Die meisten der beanstandeten Normen können noch bis Ende Juli 2023 in Kraft bleiben. Zugriff auf Vorratsdaten von Telekommunikationsanbietern hat der VS aber schon ab jetzt nicht mehr: Diese Befugnis erklärte das BVerfG für nichtig, da der VS keine Gefahrenabwehrbehörde sei und deshalb nicht auf die Daten zugreifen dürfe. Obwohl dem bayerischen VS damit wichtige Schranken gesetzt wurden, sehen sich beide Seiten, nicht ganz zu Unrecht, als Gewinner: Grundsätzlich bekräftigte das BVerfG, dass der VS diese Befugnisse einsetzen dürfe. Die viel geforderte Abschaffung des VS, insbesondere nach dessen Verstrickungen in die Mordserie des NSU, ist damit weiter in die Ferne gerückt. Ob man damit zumindest einer rechtsstaatlichen Einhegung des Geheimdienstes ein Stück weit nähergekommen ist, wird sich, wie so oft, weniger aus den Buchstaben des Gesetzes, sondern an den Rechtstatsachen und der Praxis zeigen. Die Abschaffungsforderung ist damit jedenfalls noch nicht aus der Welt.