Auflösen, das ist ein Befehl!
Über die »Munitionsamnestie« bei der Bundeswehr und eine Verteidigungsministerin, die von nichts gewusst haben will
Schon immer war man beim Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr stolz darauf, etwas Besonderes zu sein. Der Verband mit Sitz in der baden-württembergischen Kleinstadt Calw am Nordrand des Schwarzwalds ist tatsächlich etwas sehr Besonderes – allerdings weniger wegen der ihm zugewiesenen speziellen Aufgaben wie der Evakuierung deutscher Staatsbürger*innen aus dem Ausland oder wegen der Eliteausbildung, die seine Soldat*innen erhalten. Besonders ist die Truppe vor allem in negativer Hinsicht: In den knapp 25 Jahren seines Bestehens hat das KSK mehr Affären und Skandale angehäuft als jeder andere Truppenteil der Bundeswehr. In den vergangenen Monaten ploppten fast im Wochentakt neue Enthüllungen über Missstände beim Kommando auf. Selbst Kenner*innen der Szene verlieren langsam den Überblick.
Nach zahlreichen Skandalen wegen der Verstrickung von KSK-Soldat*innen in rechte Umtriebe, die seit Jahren die Öffentlichkeit beschäftigen, sorgte in diesem Frühjahr der laxe Umgang mit Waffen und Munition in Calw für Schlagzeilen. Und dann, als wäre das alles nicht schon schlimm genug, wurde schließlich noch bekannt, dass der Verband jahrelang Aufträge ohne Ausschreibung vergeben hat, und das teilweise an frühere »Kameraden«, und dass viele KSK-Soldaten lukrativen Nebentätigkeiten nachgehen. Für die Kritiker*innen der Elitetruppe in der Friedensbewegung und der Linkspartei war all das nur die Bestätigung ihrer schon seit Jahren feststehenden Einschätzung, dass das KSK nicht zu reformieren ist und aufgelöst werden muss.
Für die bürgerlichen Leitmedien waren zuletzt vor allem die Vorgänge von Interesse, die unter den Schlagworten »Munitionsaffäre« oder »Munitionsamnestie« subsummiert werden. Im Frühjahr 2020 waren erhebliche Fehlbestände in der Munition festgestellt worden. Daraufhin wurde den Soldaten des Eliteverbandes Straffreiheit zugesichert, wenn sie abgezweigte Munition zurückgaben. Bei der anonymen Sammelaktion kamen zehntausende Schuss Munition zusammen, mehr als überhaupt vermisst worden war. Die Staatsanwaltschaft Tübingen ermittelt gegen den KSK-Kommandeur wegen eines Verstoßes gegen Paragraf 40 des Wehrstrafgesetzes, wie der Spiegel berichtete. Diese Vorschrift stellt es unter Strafe, wenn vorgesetzte Soldaten Verfehlungen Untergebener weder untersuchen noch melden, und entspricht in etwa der »Strafvereitelung im Amt« im Strafgesetzbuch.
Bei der anonymen Sammelaktion kamen zehntausende Schuss Munition zusammen, mehr als überhaupt vermisst worden waren.
Im April zog die Affäre zunehmend Kreise, obwohl Bundeswehr und Verteidigungsministerium einiges dafür taten, die Angelegenheit herunterzuspielen. Für den Kommandeur des Verbandes, Brigadegeneral Markus Kreitmayr, über dessen Ablösung zeitweise spekuliert worden war, an dem Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) aber unbeirrt festhält, wurde die Luft zuletzt dünner.
»Oder sie hat gelogen«
In einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestags am 3. Mai erklärte der parteilose Staatssekretär des Ministeriums, Gerd Hoofe, den Abgeordneten überraschend, einige Tage zuvor hätten Feldjäger den General aufgesucht. Sie hätten im Auftrag der Staatsanwaltschaft Tübingen sein dienstliches Smartphone und sein Tablet beschlagnahmt. Die Geräte würden nun von Bundeswehr-Expert*innen und dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg ausgewertet. Kreitmayr trägt unbestritten die Verantwortung für die »Munitionsamnestie«, hat das auch bereits eingeräumt. Zuletzt konzentrierten sich die bürgerlichen Medien auf die Rolle von Kramp-Karrenbauer. Die hatte sich durch die Aussage, sie habe erst im Februar 2021, als die »Munitionsaffäre« hochkochte, von den Vorgängen erfahren, selbst in Bedrängnis gebracht.
Das nimmt ihr kaum noch jemand ab. Er habe »diverse Hintergrundgespräche« zu dem Thema geführt, berichtet etwa Tobias Pflüger, verteidigungspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag gegenüber ak. »Da hört man sinngemäß zu den Beteuerungen von AKK: Verarschen können wir uns selbst.« Es sei völlig unglaubwürdig, dass bereits Ende 2020 »das gesamte Ministerium bis rauf zum Staatssekretär von der Sache wusste, nur die Ministerin und ihr Adjutant nicht«, so Pflüger. Angesichts der Aussagen der Ministerin blieben nur zwei Optionen: »Entweder sie hat ihren Laden nicht im Griff – oder sie hat gelogen.«
Dass es medial vor allem darum geht, wann Kramp-Karrenbauer was gewusst hat, komme vielen in Bundeswehr und Ministerium gelegen, vermutet der Linke-Politiker. »Mein Eindruck ist, dass hier, nicht ohne Zutun des Ministeriums, der Fokus in Sachen KSK etwas vom Bereich Rechtsextremismus weggenommen wird«, sagte er. Die »Munitionsaffäre« sei ohne Frage eine »große Sache«, aber die rechten Akteure in der Spezialeinheit seien »der viel gravierendere Skandal«.
Pflüger erinnert daran, dass der laxe Umgang mit der Munition beim KSK überhaupt erst durch den Prozess gegen den Neonazi und KSK-Soldat Philipp Sch. vor dem Landgericht Leipzig, das diesen im Februar zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilte, öffentlich wurde. Im Garten des Mannes war ein Waffenlager entdeckt worden.
Philipp Sch. gehörte zu den Teilnehmern der in der Berichterstattung oft erwähnten Abschiedsparty für einen Kompaniechef im April 2017, bei dem Soldaten den Hitlergruß zeigten, Rechtsrock gespielt und ein »Schweinekopfwerfen« veranstaltet wurde. »Man muss sich schon fragen, warum der Mann beim KSK so hoch angesehen war«, betonte Pflüger. Natürlich seien nicht alle Soldaten des Verbandes Nazis, »aber das KSK ist durchzogen von rechten Akteuren«. Das betreffe vor allem die Kampfeinheiten. »Wenn mir dann gesagt wird, mit der Auflösung der Zweiten Kompanie im Zuge des »Reformprozesses« seien diese Probleme so gut wie gelöst, sage ich: Pustekuchen! Die Meisten sind nur innerhalb des KSK versetzt worden«, kritisierte der Wehrexperte.
Auch Luca Heyer von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen glaubt, dass die Sache mit der Munition die größeren Skandale beim KSK verdeckt. Es werde zu wenig darauf hingewiesen, dass es einen »engen Zusammenhang« der aktuellen Affäre mit dem Thema der rechten Netzwerke in der Bundeswehr gibt, erklärte er gegenüber ak. »Das Grundproblem ist ja nicht, dass hier schlampig mit Munition umgegangen wurde, sondern dass in mehreren Fällen abgezweigte Munition in Depots von Neonazis gelandet ist«, sagte er. Teilweise hätten diese Neonazis selbst eine Eliteausbildung beim KSK oder bei SEKs der Polizei erhalten. »Das macht die Sache doch erst so gefährlich, dass die rechten Netzwerke in und um das KSK Zugang zu Munition und Waffen haben«, so Heyer.
Nicht reformierbar
Aus der Sicht des Experten ist das KSK »nicht reformierbar«. Dagegen sprächen zu viele strukturelle Gründe. »Die Kampforientierung und der Elitegedanken haben sich beim KSK in einer Weise verselbstständigt, das ist mit ein paar Reförmchen nicht in den Griff zu bekommen«, sagte Heyer. Dass die Truppe Rechte anziehen würde, habe das IMI frühzeitig vorhergesagt, »vor allem auch seit der Ausrichtung auf Auslandseinsätze Mitte der 1990er«. Heyer meint: »Natürlich würden wir am liebsten die Bundeswehr ganz abschaffen, aber die Auflösung des KSK wäre ja schon mal ein Anfang.«
Auch Tobias Pflüger ist »grundsätzlich gegen eine solche Elitetruppe«. Er lese gelegentlich in Foren von aktiven Soldat*innen. »Dort wird durchaus mittlerweile die Position vertreten: Das ist alles so toxisch geworden beim KSK, durch eine Umstrukturierung ist da nichts mehr zu retten.« Noch ist das KSK aber aktiv und wird wohl nach langer Zeit wieder einmal im Ausland eingesetzt: um den Truppenabzug aus Afghanistan abzudecken. Dass dieser Einsatz die negativen Schlagzeilen über die Elitesoldaten verdrängen kann, ist zu bezweifeln.