Kämpfen und siegen
Mit Tempo in den Neuen Kalten Krieg: das Manöver Defender 2020
Von Jürgen Wagner
Im Januar 2020 begann Defender 2020, das größte US-Manöver seit etwa einem Vierteljahrhundert. Bis in den Mai hinein wird es durch diverse NATO-Manöver ergänzt. Deutschland wird dabei vor allem in den Monaten März bis Mai bei der logistischen Unterstützung der US-Truppen eine zentrale Rolle spielen.
Auf der Website der Bundewehr heißt es dazu: »Transportkolonnen in der Nacht auf deutschen Autobahnen, lange Güterzüge, die durch deutsche Bahnhöfe gen Osten rollen, Panzer auf Binnenschiffen im Ruhrgebiet: Wenn die Amerikaner … mit Defender Europe 20 die Verfahren zur Verlegung von umfangreichen Kräften aus den USA nach Osteuropa üben, wird Deutschland aufgrund seiner geo-strategischen Lage im Herzen Europas zur logistischen Drehscheibe.«
Weil die NATO-Kriegsplanungen mit Blick auf Russland auf der Fähigkeit zur schnellen Verlegung großer Truppenkontingente Richtung Osteuropa basieren, soll Defender 2020 vor allem in diesem Bereich substantielle »Fortschritte« bringen.
Russland im Fokus
Mit beängstigender Zielstrebigkeit bereiten sich die NATO, die USA und auch Deutschland auf die »Wiederkehr der Konkurrenz großer Mächte« (Ursula von der Leyen) vor, indem sie Strategie und Struktur ihrer Truppen auf einen Sieg über Russland (und China) ausrichten. Das trifft für Deutschland etwa mit Konzeption und Fähigkeitsprofil der Bundeswehr zu, die beide die Aufstellung von Großverbänden gegen Russland als Ziel ausgeben.
Aber auch die USA haben spätestens mit ihrer Ende 2017 veröffentlichten Nationalen Sicherheitsstrategie den Weg Richtung Großmachtkonkurrenz eingeschlagen: »China und Russland fordern die amerikanische Macht, ihren Einfluss und ihre Interessen heraus und versuchen Amerikas Sicherheit und Wohlstand zu untergraben. (…) Unsere Aufgabe ist es sicherzustellen, dass die militärische Überlegenheit der USA weiterbesteht.« Erreicht werden solle, dass »unser Militär … vorherrschend bleibt, unsere Feinde abschreckt und, sofern erforderlich, in der Lage ist, zu kämpfen und zu siegen.« In der Nationalen Verteidigungsstrategie der USA heißt es weiter: »Die langfristige Auseinandersetzung mit China und Russland ist die wichtigste Priorität für das Verteidigungsministerium, was sowohl höhere als auch nachhaltigere Investitionen erfordert.«
Es ist dieser Kontext, in dem das Manöver zu sehen ist, wenn es im zugehörigen Factsheet der US-Armee heißt: »Defender Europe 2020 baut auf strategischer Schnelligkeit auf und operationalisiert die Ziele der Nationalen Verteidigungsstrategie wie auch die der NATO-Abschreckung, indem die Fähigkeit des US-Militärs demonstriert wird, schnell eine große kampffähige Truppe zusammen mit Verbündeten und Partnern zu verlegen, um rasch auf eine Krise zu reagieren.«
Noch ein gutes Stück konkreter wird US-Brigadegeneral Sean Bernabe, der zum Szenario von Defender 2020 mit den Worten zitiert wird: »Es beinhaltet einen fiktiven nahezu gleichstarken Konkurrenten und verortet diesen Konkurrenten auf europäischem Boden. (…) Das Szenario wird … auf das Jahr 2028 gelegt.«
Offiziell wird zwar betont, das Manöver habe keinen speziellen Feind im Fokus. Dass dies nicht der Fall ist, machte am 14. Januar 2020 auch ein Tagesschau-Kommentar deutlich: »Das großangelegte Manöver Defender 2020 ist richtig und notwendig. Auch, weil es das klare Signal an Russland sendet: Im Fall der Fälle wäre die NATO bereit. (…) Dem westlichen Militärbündnis NATO ist klar: Appeasement, also Beschwichtigungspolitik, bringt nichts. Sie gilt im Kreml als Zeichen der Schwäche.«
Es geht um Tempo, Tempo, Tempo
Im Jahr 2016 kam ein Planspiel des US-Thinktanks RAND Corporation zu dem Ergebnis, Russland sei in der Lage, die baltischen Staaten innerhalb kurzer Zeit zu erobern. Tunlichst vermieden wurde dabei die Frage, weshalb Moskau sich hierzu hinreißen lassen sollte; dennoch dienten die RAND-Ergebnisse als Rechtfertigung für die im selben Jahr beschlossene Stationierung der Enhanced Forward Presence – also von vier NATO-Bataillonen à 1.000 Soldat*innen in den baltischen Staaten und Polen.
In den Vorstellungen der westlichen Militärs sind diese Truppen nicht dazu gedacht, eine ernsthaft angreifende russische Armee zu besiegen. Sie sollen sie aber im Ernstfall so lange aufhalten können, bis Verstärkung vor Ort ist – aus diesem Grund wird dem Verlegetempo entscheidende Bedeutung beigemessen. Als erste Verstärkungswelle ist die bereits 2014 beschlossene, eine 5.000 Soldat*innen Landkomponente umfassende Ultraschnelle NATO-Eingreiftruppe (VJTF) vorgesehen.
Künftig sollen jährlich im Wechsel schwere und leichte Manöver stattfinden.
Als Zeithorizont für eine VJTF-Verlegung gibt die Bundeswehr an: »Die als NATO-Speerspitze bekannte Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) ist Teil der NATO Response Force. (…) Die Anforderung: innerhalb von 48 bis 72 Stunden einsatzbereit an jedem Ort zu sein, wo die Truppe jeweils benötigt wird.« Ab Tag fünf soll dann mit der Verlegung der restlichen, insgesamt 40.000 Soldat*innen umfassenden NATO Response Force begonnen werden. Und ab Tag 30 nach Beschluss sollen dann auch die zusätzlichen Truppen der im Juli 2018 beschlossenen und seit 1. Januar 2020 aktivierten NATO-Bereitschaftsinitiative mit 30.000 weiteren Soldat*innen im Krisengebiet präsent sein können. Summa summarum basieren also die NATO-Planungen darauf, innerhalb von 30 Tagen ein Streitkräftedispositiv von etwa 70.000 Soldat*innen an die Ostgrenze verlegen zu können.
Einige Details über Defender 2020 sind bereits länger bekannt: So etwa, dass im Rahmen der Übung eine US-Division (20.000 Soldat*innen) von den USA bis an die Grenze Russlands verlegt werden soll. Bereits Ende Januar 2020 landeten die ersten US-Schiffe in belgischen, niederländischen, französischen und auch deutschen Häfen an.
Bei Defender 2020 handelt es sich zunächst einmal um ein reines US-Manöver. Was den deutschen Anteil anbelangt, berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland Mitte Februar 2020 über die Antwort auf eine Linken-Anfrage zu den Kosten für die Beteiligung an den angegliederten NATO-Manövern: »Für die europäische Nato-Großübung Defender 2020 sind 2.440 deutsche Soldaten eingeplant. Die Kosten des größten Manövers auf deutschem Boden seit 25 Jahren werden auf 2,3 Millionen Euro taxiert.« Zu den Häfen, an denen Gerät und/oder Soldat*innen anlanden, zählen Bremerhaven, Bremen, Duisburg, Krefeld und Mannheim. Als Flughäfen werden sich Berlin, Bremen, Hamburg, Frankfurt, München, Nürnberg, Ramstein und Bremen verdingen.
Deutschland: Transitland, Truppensteller, Logistiker
Von besonderem Interesse sind die geplanten »Hauptstrecken«. Sie führen, so das Bundesverteidigungsministerium, »von Venlo und Aachen über Dortmund – Hannover – Berlin – Frankfurt/O« sowie »Bremerhaven – Hamburg – Berlin – Stettin«. Außerdem dabei sind die Strecken »Mannheim – Hannover« und »Mannheim – Nürnberg – Dresden – Görlitz«. Gefahren werden soll vor allem nachts, wobei – mutmaßlich auch, weil die Bundeswehr Proteste erwartet – die Planungen unter Änderungsvorbehalt stehen. Dabei könne, so der Chef der Hessischen Staatskanzlei, »eine Beeinträchtigung des zivilen Personen- und Güterverkehrs nicht ausgeschlossen werden.«
Im Zusammenhang mit Defender 2020 wurde mehrfach darauf verwiesen, dass schon in der Konzeption der Bundeswehr vom Juli 2018 versucht wurde, sich als »mögliche Basis für Operationen, rückwärtiges Einsatzgebiet und Drehscheibe der Unterstützung« anzudienen. Eine wichtige Funktion soll dabei – auch insgesamt in allen NATO-Planungen zur schnellen Verlegung von Material und Truppen gen Russland – das 2018 beschlossene und in Ulm beheimatete »Gemeinsame Unterstützungs- und Befähigungskommando« (Joint Support and Enabling Command, JSEC) einnehmen. Deshalb soll das noch im Rohstadium befindliche JSEC bei Defender 2020 nach Auskunft der Bundesregierung eine Rolle als eine Art Generallogistiker spielen. Dazu die Januar-Ausgabe der Europäischen Sicherheit und Technik: »Das JSEC ist eine Art NATO-Streitkräftebasis. Es legt die genauen Märsche durch die Nationen fest, regelt die Grenzübertritte und sorgt für eine realistische Planung. (…) Es bestimmt aufgrund der Angaben der US-Streitkräfte, wann diese wo welche Grenze überschreiten. Die nationalen Kräfte, in Deutschland die Streitkräftebasis, organisieren dann die Unterstützung im jeweiligen Land.«
Was die Gesamtzahl involvierter deutscher Soldat*innen anbelangt, wird in einem von der Bundeswehr geschnürten »Informationspaket« angegeben, an den NATO-Manövern seien »bis zu 4.000 Soldaten der Bundeswehr« beteiligt. Hinzu kämen allerdings noch die Soldat*innen der Streitkräftebasis: In »Spitzenzeiten« seien »bis zu 1.500 Soldatinnen und Soldaten … in Form von Unterstützungsleistungen« eingebunden.
Diese Kräfte sind vor allem für den sogenannten Host Nation Support (HNS) und damit für die Unterstützung der US-Truppen innerhalb Deutschlands, also auch bei Defender 2020 zuständig. Zu ihren Dienstleistungen für die US-Truppen im Rahmen des Manövers zählen »Absicherung und Begleitung«, »Routenplanung«, »Betankung«, »Unterkünfte«, »Verpflegung« und »IT-Anbindung«.
Ein wichtiger »Fortschritt«, der mit Defender 2020 erzielt werden soll, besteht in einer Art Generalzertifizierung militärischer Schwertransporte, die über das Manöver selbst hinausgehen soll. Denn jeder Panzertransport ist auf deutschen Straßen ein Schwerlasttransport, der jeweils ein Begleitkommando und einen Marschkredit – sozusagen die offizielle Genehmigung – erfordern. Die für Defender 2020 »erstellten Zertifikate behalten über die Übung hinaus ihre Gültigkeit. Das erleichtert künftige Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Logistik erheblich.«
Gefährliches Säbelrasseln
Für 2020 wird allein Deutschland erstmals Militärausgaben von rund 55 Milliarden US-Dollar bei der NATO melden – schon das ist annähernd so viel, wie die etwa 60 Milliarden US-Dollar, auf die das schwedische Friedensforschungsinstitut Sipri das russische Militärbudget beziffert. Allein schon aufgrund dieser Diskrepanz ist die all diesem Säbelrasseln zugrundeliegende Grundannahme gelinde gesagt fragwürdig, dass nämlich Russland nicht nur fähig, sondern auch willens wäre, in ein NATO-Land einzumarschieren. Selbst der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, kritisierte derlei Annahmen als »völlig absurd«.
Abgesehen von dem ökonomischen und noch mehr ökologischen Irrsinn solcher Großmanöver – was USA und NATO hier abziehen, ist es auch schlichtweg gefährlich. Der ehemalige US-Marineinfanterist Scott Ritter, der sich schon als UN-Waffeninspekteur im Vorfeld des US-Angriffs auf den Irak kritisch äußerte, sieht in der Militärübung »den Höhepunkt der mehr als sechsjährigen Arbeit des US-Militärs zum Wiederaufbau seiner Fähigkeit zu Bodenoffensiven in Europa, die mit dem Abzug der letzten schweren Waffen der US-Streitkräfte im Jahr 2013 verloren ging. (…) Ein großer Bodenkrieg in Europa wurde im russischen Militärdenken nicht mehr berücksichtigt. Dies änderte sich jedoch, als die NATO mit dem Ausbau ihrer Streitkräfte in Polen und im Baltikum begann. Russland reaktivierte die 1. Gardepanzerarmee und die 20. Gardearmee und schuf damit einen mächtigen Offensivmechanismus, der darauf ausgerichtet war, alle möglichen aggressiven Vorstöße der NATO in den Westen Russlands zu vereiteln. Die russischen Streitkräfte in der Exklave Kaliningrad wurden ebenfalls verstärkt.«
Dennoch soll das Manöverspektakel künftig jedes Jahr wiederholt werden – nicht nur als transatlantisches Manöver, sondern auch jeweils parallel im Pazifikraum. Die Manöver sollen im jährlichen Wechsel als schwere und leichte Manöver stattfinden. Während 2020 das Manöver im Pazifik nur als sogenanntes leichtes Manöver durchgeführt wird, während das transatlantische Manöver einen großen Umfang hat, wird das Pazifikmanöver 2021 das Schwergewicht bilden.
Schon allein deshalb ist es wichtig, dass es der Friedens- und Antikriegsbewegung gelingt, ein Zeichen gegen diesen martialischen Aufmarsch zu setzen!
www.imi-online.de
Homepage der Kampagne: www.antidef20.de