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Durchgewurschtelt

Joe Biden gewinnt die US-Wahlen deutlich knapper als prognostiziert: Was ist von seiner Regierung zu erwarten?

Von Tom Barnard

Zu sehen ist Joe Biden, er spricht in ein Mikrofon und ballt dabei die Faust.
Der schon wieder. Foto: Gage Skidmore/ Flickr, CC BY-SA 2.0

Joe Biden hat die US-Präsidentschaftswahlen gewonnen – zahlreicher noch laufender Klagen von Trump und seinem Team zum Trotz. Der Wahlsieg fiel allerdings knapp aus, die meisten Umfragen hatten einen deutlicheren Vorsprung für Biden prognostiziert. Doch wie schon 2016 lagen sie am Ende daneben.

Die Unterstützung von Frauen, älteren Wähler*innen und weißen Männern ohne College-Abschluss für Trump ging gegenüber 2016 zurück. Schwarze Wähler*innen, vor allem Frauen und Jugendliche, stimmten mit überwältigender Mehrheit gegen ihn. In mehreren Bundesstaaten blieb Bidens Erfolg jedoch hinter den Erwartungen zurück. Die Republikaner werden wahrscheinlich den Senat behalten und Sitze im Repräsentantenhaus hinzu gewinnen. Angesichts der anhaltenden Pandemie und der damit einhergehenden Rezession ist es unwahrscheinlich, dass Biden in den Genuss jener Schonzeit kommt, die neuen Präsidenten üblicherweise zugestanden wird. Die Wut, die enttäuschte Trump-Wähler*innen nach dem Wahltag zum Ausdruck brachten, zeigt zudem, dass Trump zwar weg ist, die politischen Strömungen aber, die seine Basis bilden, sind es nicht.

Ein Faktor für Trumps Niederlage war sein Umgang mit der Covid-19-Pandemie: seine Verachtung für elementare Sicherheitsmaßnahmen wie das Tragen von Masken, auch das Fehlen einer Anti-Corona-Strategie. Doch viele Umfragen zeigen auch, dass die Lage der Wirtschaft aus Sicht vieler Menschen ein noch wichtigeres Thema ist als die Pandemiebewältigung, weshalb Trumps Drängen, die Wirtschaft zu öffnen, bei einer Covid-müden Wählerschaft, die unter Arbeitslosigkeit und zunehmender Armut leidet, durchaus Anklang fand.

Auch Trumps Wahlkampftaktik dürfte Anteil an seiner Niederlage gehabt haben. Er porträtierte Biden als senil, als einen radikalen Sozialisten und mit Verweis auf Geschäfte von dessen Sohn Hunter als korrupt. Dies konnte außerhalb der Gruppe von Trump-Anhänger*innen kaum fruchten. Er ermutigte öffentlich zu Gewalt und Einschüchterung durch rechtsextreme Milizen. Schließlich versuchte Trump, die Wahlen an sich zu delegitimieren, indem er behauptete, die Demokraten würden durch Briefwahlstimmen Betrug begehen und »die Wahl stehlen«.

So sehr viele Wähler*innen Trump verabscheuen – viele stimmten dennoch nur deshalb für Biden, um Trump loszuwerden.

Bidens Pläne

Die Frage ist nun, was wir von einer Biden-Regierung erwarten können. Vor welchen Herausforderungen steht Biden, und wie könnte er auf sie reagieren?

Die Pandemie: Die Covid-19-Fälle in den USA sind auf einem neuen Rekordhoch, Anfang November erreichten sie 130.000 Neuinfektionen pro Tag. Im Kampf gegen das Virus auf sich allein gestellt, sehen sich einige Bundesstaaten und Kommunen mit einem drohenden Mangel an Beatmungsgeräten, Schutzausrüstung und Krankenhausbetten konfrontiert. Zumindest kurzfristig wird ein Impfstoff nicht zur Verfügung stehen. Und aufgrund von Trumps Politisierung des Maske-Tragens und des social distancing treffen Teile des Landes noch immer keine grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsvorkehrungen.

Biden wird sich sicher darauf konzentrieren, Dr. Anthony Fauci – leitender und von Trump viel gescholtener Immunologe der Corona Task Force – und das Center for Disease Control (CDC) zu unterstützen, eine Institution, die unter Trump sowohl politisiert als auch behindert worden ist. Möglicherweise wird er sogar eine nationale Maskenpflicht vorschlagen und auf Bundesebene Corona-Einschränkungen beschließen. Sicherlich wird er die Produktion von medizinischen Geräten, die Mangelware sind, auf Hochtouren bringen. Gewissermaßen schließt er damit jedoch das Scheunentor, nachdem das Pferd bereits entkommen ist. Alle Maßnahmen, die Biden in Sachen Corona ergreifen wird, werden wohl zum Guten sein, doch aufgrund der neoliberalen Struktur des US-Wirtschafts- und Gesundheitssystems wird es weiterhin verheerende Folgen geben, insbesondere bei den Minderheiten.

Biden hat sich gegen die Definanzierung von Polizeidienststellen in den Großstädten ausgesprochen. Stattdessen will er, dass ihre Etats aufgestockt werden.

Die US-Wirtschaft hat den schlimmsten Konjunktureinbruch seit den 1930er Jahren erlebt. Die kürzlich veröffentlichten Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) für das dritte Quartal zeigen, dass die US-Wirtschaft immer noch weit unter dem Niveau vor der Pandemie liegt, wobei das reale BiP sich auf einem Niveau nahe dem Tiefpunkt der großen Rezession von 2008/2009 bewegt. Von den mehr als 22 Millionen Arbeitsplätzen, die im März und April verloren gingen, konnten bisher kaum 11,3 Millionen wiederhergestellt werden. Ein Konjunkturprogramm zur Unterstützung von Arbeitslosen und Kleinunternehmer*innen wurde im Kongress nie verabschiedet. Tausende Unternehmen gehen pleite oder sind bereits pleite gegangen. Bundesstaaten und Kommunalverwaltungen haben begonnen, ihre Angestellten zu entlassen.

Die Wirtschaft: Bidens Wirtschaftsplan sieht eine erhebliche Erhöhung der Ausgaben des öffentlichen Sektors vor. Er beinhaltet rund zwei Billionen US-Dollar für Infrastrukturausgaben, darunter Projekte für »saubere Energie«; zwei Billionen US-Dollar für Bildung und Kinderbetreuung; 1,6 für die Gesundheitsversorgung; 700 Milliarden für Forschung und Entwicklung; und 500 Milliarden für soziale Sicherheit und Wohnen. Das sind insgesamt 6,8 Billionen US-Dollar – etwas mehr als 30 Prozent des aktuellen BIP. Das klingt zunächst beeindruckend, allerdings sollen die Investionen über zehn Jahre verteilt werden. Biden will sie durch eine Erhöhung der Steuern um 2,4 Billionen US-Dollar über zehn Jahre finanzieren, wovon der Großteil auf Einkommen entfallen soll, die eine Million Dollar oder höher sind. Die Unternehmenssteuern sollen von 21 Prozent, auf die Trump sie gesenkt hatte, auf 24 Prozent steigen – immer noch deutlich unter den 28 Prozent der Obama-Zeit. Neue Vermögenssteuern für die Reichen sind nicht geplant.

Biden wird auch einige der Zölle auf chinesische Importe zurückziehen und gleichzeitig Trumps Rhetorik des Wirtschaftsnationalismus beibehalten. Das Unternehmen Oxford Economics geht davon aus, dass Bidens Pläne 2021 zusammengenommen zu einem Wachstum des realen BIP von 4,9 bis 5,7 Prozent führen könnten. Diese Prognose geht allerdings davon aus, dass Bidens Plan einen republikanischen Senat passiert – hier gibt es ein sehr großes Fragezeichen. Langfristigere Prognosen deuten bestenfalls auf eine Stagnation hin. Außerhalb des illustren Kreises der internetbasierten Technologiefirmen wie Apple, Microsoft, Facebook, Google und Netflix haben US-Firmen trotz historisch niedriger Zinssätze Mühe, ausreichenden Gewinn zu erzielen. Wenn diese Zinssätze bei einer Erholung wieder steigen, könnten kleine und mittlere Unternehmen, die ihre Schulden momentan nur knapp bedienen können, sehr schnell untergehen.

Wenn die laufenden Kredite und neue staatliche Maßnahmen auf die Profite drücken, wird Wall Street Steuersenkungen und die Kürzung der staatlichen Ausgaben fordern. Biden wird dann höchstwahrscheinlich klein beigeben und behaupten, er habe keine Wahl, als sich den Forderungen der Republikaner zu beugen. Angesichts seiner früheren Äußerungen ist es sogar möglich, dass er an Social Security, das staatliche Rentensystem, Hand anlegt. Zum Beispiel, indem er die Bezuschussung reduziert oder die Soialversicherungsbeiträge absenkt.

Black Lives Matter und Klima

Als Reaktion auf die Black-Lives-Matter-Bewegung hat Biden die Einsetzung einer Kommission gefordert, die Rassismus und das Verhalten der Polizei untersuchen soll. Solche Kommissionen gab es seit den 1960ern schon häufig. Sie kommen stets zu dem Schluss, dass es systemischen Rassismus in den USA und einen Mangel an »wirtschaftlichen Chancen« gibt. Verschiedene Reformmaßnahmen wurden empfohlen, Politiker*innen und opportunistische Anführer*innen in der Schwarzen Commuty machten reihenweise Versprechungen. Indes: Nichts hat sich grundlegend geändert. Was die Polizeigewalt anbelangt, so hat sich Biden gegen die Definanzierung von Polizeidienststellen in den Großstädten ausgesprochen. Stattdessen will er, dass ihre Etats aufgestockt werden, und behauptet, die Polizei brauche einfach mehr »Ausbildung«. Aber keine Ausbildung der Welt wird die rassistische Kultur der Polizei abbauen, noch wird sie den Eifer bremsen, mit dem die Polizei Privateigentum verteidigt. Die Unterstützung »friedlicher Proteste« bei gleichzeitiger Verurteilung und Denunzierung militanter Aktivist*innen als »Plünderer und Schläger« war ein zentrales Thema der Biden-Kampagne.

Der Konflikt in der Demokratischen Partei

Der »gemäßigte« Flügel der Demokraten vergeudete nach den Wahlen keine Zeit, die Linke in der Partei für das Ausbleiben der vorhergesagten »blauen Welle« verantwortlich zu machen. Das ist ein recht beeindruckender Vorwurf: Joe Biden, der Kandidat des rechten Flügels, gab Republikanern auf dem Nominierungskongress seiner Partei Redezeit und grenzte die Linke aus. In den letzten Wochen des Wahlkampfes begann Biden, Republikaner für künftige Positionen in seinem Kabinett zu prüfen, und schwor im Fernsehen, Medicare for All, das zentrale Projekt der Linken, nicht umzusetzen. Die Linke in der Demokratischen Partei reagierte bislang eher defensiv auf die Anschuldigungen. Die Angriffe der Zentristen deuten jedoch darauf hin, dass sie sich darauf vorbereiten, gegen die Linke zu kämpfen, um die Biden-Präsidentschaft im Modus »business as usual« gestalten zu können. Die Linke wird dem nur begegnen können, wenn sie nicht mehr versucht, die Parteirechte zu beschwichtigen, sondern zurückschlägt. Unter dem Druck der Black-Lives-Matter-Bewegung, der Democratic Socialists of America, DSA, die auf 70.000 Mitglieder angewachsen sind, und der Proteste auf der Straße, die zu erwarten sind, wenn etwa der Oberste Gerichtshof die Abtreibungsrechte angreift, werden sich Zusammenstöße auch bei den Demokraten verstärken. Innerhalb der DSA wird es darum gehen, ob sie ihr Gewicht in diese bevorstehenden Kämpfe einbringt, um Millionen von Menschen zu helfen, mit der Demokratischen Partei zu brechen.

Der Klimawandel: Dies ist einer der wenigen Bereiche, in denen Biden trotz seiner Weigerung, sich auf einen Green New Deal einzulassen, ein relativ umfangreiches Programm vorgelegt hat. Er verspricht, dass die USA eine hundertprozentig »saubere« Energiewirtschaft und bis spätestens 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen werden. Seine Wahlversprechen umfassen den unmittelbaren Wiedereintritt in das Pariser Klima-Abkommen; die Rücknahme der Trump-Steueranreize für Unternehmen, die fossile Brennstoffe fördern; strikte Grenzwerte für die Methanverschmutzung bei neuen und bestehenden Öl- und Gasbetrieben sowie den Erhalt beziehungsweise die Wiederherstellung von Obamas Clean Air Act. Desweiteren beinhaltet sein Programm die Wiedererlangung des Schutzstatus für das Arctic National Wildlife Refuge und andere Nationalparks und Schutzgebiete durch das Verbot neuer Öl- und Gasfördergenehmigungen; die Beschleunigung des Einsatzes von Elektrofahrzeugen durch die Aufstockung neuer Ladestationen; das Verbot jeglicher Finanzierung von Kohlekraftwerken durch die internationalen Kreditinstitutionen der USA; Verbesserungen der nationalen Eisenbahninfrastruktur sowie die Umsetzung einer nationalen Strategie zur Entwicklung des kohlenstoffarmen Fertigungssektors auf bundesstaatlicher und regionaler Ebene unter Beteiligung von Forschungsuniversitäten, Volkshochschulen, Unternehmen, Gewerkschaften sowie bundesstaatlichen und lokalen Regierungen.

Sowohl der republikanische Senat wie auch einige führende Demokraten, die mit der fossilen Energieindustrie verbunden sind, werden mit Händen und Füßen dagegen kämpfen, dass entsprechende Gesetze erlassen werden. Biden kann sicherlich einige Fortschritte durch Dekrete (executive orders) erzielen, die nicht der Zustimmung des Kongresses bedürfen. Bedeutende Fortschritte für langfristige Veränderungen sind aber keineswegs sicher.

Insgesamt wird es für eine spürbare Rücknahme der reaktionären Trump-Offensive mehr erfordern, als die Demokraten zur Unterstützung legislativer Maßnahmen zu ermahnen. Es wird dafür nicht weniger als eine Reihe lang anhaltender Massenbewegungen brauchen.

Tom Barnard

Tom Barnard lebt in Seattle, ist Autor und Aktivist der Democratic Socialists of America.