Repression auf ganzer Linie
Melonis Italien – eine Zwischenbilanz der Staatsfaschisierung
Von Jens Renner

Der Personenkult funktioniert auch in Abwesenheit der umschwärmten Regierungschefin. Dafür sorgt schon Giorgia Melonis Schwester Arianna, in der neofaschistischen Partei der Brüder Italiens (Fratelli d’Italia/FdI) verantwortlich für das politische Sekretariat und die Werbung neuer Mitglieder. Sie sei stolz, Giorgias Schwester zu sein, »einer großen Frau«, die sich »in extrem harten Jahren« gegen alle Widerstände durchgesetzt habe, jubelte sie Anfang Februar vor der Nationalen Leitung der Partei, einer Versammlung der FdI-Minister*innen und -Parlamentarier*innen. Nicht fehlen durfte ein Verweis auf das Lieblingsbuch der beiden Schwestern, Tolkiens »Der Herr der Ringe«. Giorgia sei »unser Frodo« – der heldenhafte Hobbit, dem nun »jeder« in der Partei größtmögliche Unterstützung leisten müsse, mahnte Arianna.
Auch wenn solche Hymnen nicht unbedingt nach dem Geschmack der immer noch einflussreichen alten Kämpfer*innen des Neofaschismus sein dürften – Giorgia Meloni ist mehr als zwei Jahre nach dem Antritt ihrer Regierung die unangefochtene Führungsfigur nicht nur der Partei, sondern der gesamten rechten Koalition mit Matteo Salvinis Lega und der auch nach Silvio Berlusconis Ableben immer noch stabilen Forza Italia. Hoffnungen auf interne Zerwürfnisse, die zum Bruch des Rechtsblocks führen könnten, sind jedenfalls bis auf Weiteres gegenstandslos.
Das liegt auch an Melonis international gewachsener Reputation und ihren mächtigen Verbündeten. Mit Elon Musk ist sie persönlich befreundet, ihren Antrittsbesuch bei Donald Trump absolvierte sie noch vor dessen Amtseinführung. Auf EU-Ebene ist Ursula von der Leyen (CDU) ihre wichtigste Partnerin bei der Perfektionierung der europäischen Migrationsabwehr, vorangetrieben auch durch gemeinsame Besuche bei den Machthabern in Tunesien und Libyen.
Bislang nur betont wohlwollende Zuschauerin ist von der Leyen bei Melonis Albanien-Projekt: dem von Italien gebauten, finanzierten und von italienischen Beamt*innen betriebenen Abschiebelager im albanischen Gjader, ausgelegt für jährlich bis zu 36.000 bei der Flucht über das Mittelmeer aufgegriffene Männer. Nach Ablehnung ihres Asylantrags sollen diese von dort aus unverzüglich in ihre Herkunftsländer geschafft werden – sofern es sich dabei um »sichere« Länder handelt.
Dass italienische Gerichte mehrfach einschritten und die betroffenen Geflüchteten umgehend von Albanien nach Italien bringen ließen, hält Meloni nicht auf: Sie will ihr Projekt mit allen Mitteln durchsetzen, auch gegen den Widerstand angeblich linker Richter*innen. Diese würden allein aus politischen Gründen ihr segensreiches Werk zugunsten der »Nation« behindern, tobte sie, unterstützt von Elon Musk, der die Entlassung der beteiligten Richter*innen forderte.
»Opfer einer linken Verschwörung«
Jüngst ging Melonis Kampf gegen die Justiz in die nächste Runde. Auf Betreiben ihrer Regierung wurde der libysche Brigadegeneral Osama Elmasry Njeem aus der Haft in Turin entlassen und im italienischen Staatsflieger nach Tripolis gebracht, wo er begeistert gefeiert wurde. Elmasry Njeem war aufgrund eines Haftbefehls des Internationalen Strafgerichtshofs verhaftet worden; die Anklage lautet auf Folter und Vergewaltigung von Fluchtwilligen in libyschen Gefängnissen.
Nach seiner Freilassung ermittelt die Staatsanwaltschaft in Rom nun gegen Meloni und mehrere Regierungsmitglieder wegen Beihilfe zu einem Verbrechen. Meloni antwortete mit einer zweieinhalb Minuten langen Videobotschaft, in der sie sich einmal mehr als unschuldiges Opfer einer linken Verschwörung inszenierte. Ihr Appell an »das Volk« gipfelte in dem Versprechen, sie werde sich nicht erpressen oder einschüchtern lassen. So verschafft ihr jeder politische Konflikt eine Win-win-Situation: Setzt sie sich durch, beweist das ihre Stärke; wenn nicht, sind die heimtückischen Machenschaften der Linken schuld.
Fraglich ist, ob diese derzeit bei ihren Anhänger*innen beliebte Inszenierung auf Dauer stabile Popularitätswerte garantiert. Denn die Bilanz ihrer gut zweijährigen Amtszeit ist auch für ärmere Teile ihrer eigenen Klientel enttäuschend, allem Selbstlob der Regierenden zum Trotz. Laut der staatlichen Sozialbehörde INPS gehen 40 Prozent derjenigen leer aus, die bis Anfang 2024 das ohnehin kärgliche Bürgereinkommen (reddito di cittadinanza) erhielten. Zu den besonders von Armut Betroffenen gehören Frauen, Menschen unter 30 und Bewohner*innen der südlichen Regionen. Die an die Stelle des abgeschafften Bürgereinkommens getretenen Leistungen sind an die Bereitschaft gebunden, eine Arbeit aufzunehmen – ein klassischer Fall von Workfare. Neue Jobs entstehen vor allem im Niedriglohnsektor, Teile des in der Corona-Pandemie sichtbar unzulänglichen öffentlichen Gesundheitswesens werden weiter privatisiert, und während mit der Industrieproduktion auch das Steueraufkommen stagniert, verschlingt die Aufrüstung wachsende Teile des angespannten Haushalts.
Systematische Repression – Faschismus 3.0?
Auf absehbar wachsende soziale Spannungen bereitet sich die rechte Koalition mit einem Paket von »Sicherheitsgesetzen« vor. Der heftig umkämpfte Entwurf enthält zum einen die Einführung neuer Straftatbestände. Dazu zählen »Revolten« in Gefängnissen und Sammelunterkünften von Geflüchteten, selbst wenn dabei nur passiver Widerstand geleistet wird. Einige Ordnungswidrigkeiten werden zu Straftaten, etliche Delikte sollen deutlich härter bestraft werden, darunter Bettelei oder Sachbeschädigung während Demonstrationen. Zwischen sechs und 18 Monaten Haft drohen bei »Verunstaltung« öffentlicher Gebäude, begangen mit dem Ziel, deren »Ansehen« zu beschädigen. Für die Beteiligung an Straßenblockaden werden bis zu zwei Jahre Haft fällig. Bestraft werden kann auch die bloße Unterstützung von Hausbesetzungen durch nicht unmittelbar Beteiligte. Aufenthaltsverbote in Bahnhöfen, Flughäfen und öffentlichen Verkehrsmitteln sollen leichter verhängt werden können. Sogar die Überlassung von SIM-Karten an Migrant*innen ohne Aufenthaltsgenehmigung wird zur Straftat; Polizist*innen werden ermächtigt, auch privat eine Schusswaffe zu tragen.
Kritische Jurist*innen bezweifeln, ob die repressiven Innovationen vor Gerichten Bestand haben. Abschreckend wirken dürften sie in jedem Fall, und genau das scheint das wichtigste Ziel ihrer Betreiber*innen zu sein. Zur Einschüchterung dienen auch Gewaltfantasien etwa gegen festgenommene Hausbesetzer*innen – denen werde man »die Luft zum Atmen nehmen«, drohte Melonis Parteifreund Andrea Delmastro Delle Vedove, Staatssekretär im Justizministerium: eine Blankovollmacht für die ohnehin hochgerüstete Polizei. Ziel heftiger Einsätze waren in den vergangenen Monaten häufig Schüler*innen, die mit Schulbesetzungen gegen den Gaza-Krieg demonstrierten.
Mit den Sicherheitsgesetzen würden gängige Formen zivilen Ungehorsams und gewaltfreien Protests wie Sitzstreiks und Straßenblockaden mit hohen Strafen bedroht. Das haben auch Teile der Gewerkschaften erkannt und sich am 14. Dezember in Rom an einer zumindest kurzfristig Mut machenden Demo beteiligt. Annähernd 100.000 Menschen kamen zusammen, mobilisiert vor allem durch ein breites Bündnis von Basisinitiativen. Auch am bevorstehenden 8. März dürften erneut massenhaft Menschen auf die Straße gehen. In ihrem Streikaufruf mobilisiert die transfeministische Bewegung Non una di meno (»Nicht eine weniger«) zum Protest gegen Femizide und patriarchale Gewalt, Aufrüstung und Kriege, aber auch gegen das Sicherheitsgesetz – »den voranschreitenden Faschismus 3.0«.
Etwas zurückhaltender formuliert Valentina Pazé, Professorin für politische Philosophie in Turin. In einem Kommentar für die kommunistische Tageszeitung Il Manifesto analysiert sie die Politik der Meloni-Regierung als Mischung aus »Medienpopulismus und systematischer Unterdrückung von Dissens« – »ein tödlicher Mix, mit dem wir noch lange zu tun haben werden«. Wie viel Prozent Faschismus dieser Mix enthält, ist auch unter linken Aktivist*innen umstritten.