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Das Gegenteil von Revolution

Im Ausland werden Konservative derzeit als die einzige Alternative in Iran verhandelt – eine Gefahr für die Bewegung

Von Sanaz Azimipour, Hasti Heidari und Elaheh Taher Kouhestani

Nahaufnahme von Reza Pahlavi, der vor einer kleinen Gruppe spricht. Er trägt einen Anzug mit einem Pinn in den Farben Irans
Würde gerne die Monarchie wieder einführen: Reza Pahlavi, ältester Sohn des letzten iranischen Schahs. Foto: Gage Skidmore / Wikimedia , CC BY-SA 2.0

Zur Münchner Sicherheitskonferenz wurden dieses Jahr erstmals keine offiziellen Delegierten der Islamischen Republik eingeladen. Stattdessen waren Vertreter*innen der Opposition dabei, darunter die Schauspielerin Nazanin Boniadi, die Journalistin und Frauenrechtlerin Masih Alinejad, sowie Reza Pahlavi, Autor und Sohn des letzten iranischen Schahs. Dass Vertreter*innen der Auslandsopposition anwesend waren, mag auf den ersten Blick wie ein Erfolg aussehen. Doch für viele Menschen, die seit mehr als fünf Monaten in Iran und in der Diaspora auf die Straßen gehen, ist es das nicht. Die Angst, dass ihre Revolution gekapert wird, ist für viele größer als die Freude darüber, dass das mörderische Regime von einer Konferenz ausgeladen wurde.

Ausgewählt wurden die Eingeladenen aufgrund ihrer Reichweite und Prominenz, nicht aufgrund ihrer politischen Positionierung. Sie stehen in keinster Weise repräsentativ für die diversen Strömungen der revolutionären Bewegung in Iran und spielen in der Praxis der Revolution keine Rolle. Das Schicksal der Menschen bestimmen nicht sie selbst durch einen demokratischen Prozess von unten, sondern – erneut – wenige politische Akteur*innen von oben.

»Einheit« als Buzzword

Der Kampf für Selbstbestimmung und Autonomie – das ist der Kern der Jina-Revolution. Darüber hinaus sind die Forderungen der iranischen Protestierenden sehr heterogen, genauso heterogen wie die Bevölkerung im Iran selbst: multinational, klassen- und altersübergreifend von rechts bis links. Derzeit beobachten wir jedoch, dass gerade im Ausland die konservativen Vertreter*innen der iranischen Opposition eine größere mediale Aufmerksamkeit genießen.

Gerade über den Sohn des letzten Schahs, Reza Pahlavi, heißt es oft, er sei die beste Option. Doch in seiner bisher einzigen konkreten Stellungnahme bezieht er sich lediglich auf das Territorium. In einem Interview mit dem Fernsehsender Manoto sagte er: »Unsere rote Linie ist die Wahrung der territorialen Integrität des Iran.« Mit dieser Überbetonung der territorialen Integrität, sagt er, dass er das Selbstbestimmungsrecht der marginalisierten Bevölkerungsgruppen wie etwa der Kurd*innen oder Belutsch*innen nicht anerkennt. Die Aberkennung ihres Rechts auf Selbstbestimmung wäre eine Fortsetzung der bisherigen zentralistischen Regierungspraxis der islamischen Republik, die Befreiungsbewegungen der unterdrückten Völker in Iran kriminalisiert.

Mostafa Hejri, Vorsitzender der Demokratischen Partei des iranischen Kurdistans, erklärte in einem Interview mit BBC Farsi, dass seine Partei nicht mit Reza Pahlavi zusammenarbeiten werde. Als Grund nannte er dessen Vorstöße, Kurd*innen durch Separatismusvorwürfe zu kriminalisieren. Hejri betonte die Ähnlichkeiten der derzeitigen Situation mit der nach den Wahlen, die der Revolution 1979 folgten. Damals wurde die Bevölkerung auch nur mit zwei Optionen konfrontiert: der Monarchie oder der islamischen Regierung. Hejri forderte, dass selbst wenn Reza Pahlavi oder andere konservative Stimmen als »die einzige Alternative« dargestellt werden, die Menschen in Iran nicht vergessen dürften, dass dies nicht die einzigen Regierungsalternativen sind. Seine Vision: ein demokratischer, säkularer Staat ohne Zentralregierung.

Dass ausgerechnet Menschen wie Pahlavi als Sprecher*innen der Revolution im Ausland inszeniert werden, ist kein Zufall. Es liegt im Interesse des globalen Nordens und des damit einhergehenden kapitalistischen Systems, die Stimmen der revolutionären Bewegung in eine Stimme für nationale und kapitalistische Interessen umzudeuten. Das heutige Konstrukt des Nationalstaates basiert auf rassistischen, sprachlichen und religiösen Homogenisierungs- und Assimilierungsprozessen. Diese Perspektive führt dazu, dass rechte Vorstellungen als die einzigen Lösungen für einen erfolgreichen Ausgang der Jina-Revolution erscheinen.

Dass eine Verschiebung nach rechts stattfindet, zeigte sich zuletzt, als Parviz Sabeti an einer Solidaritätskundgebung in den USA teilnahm. Sabeti ist der ehemalige stellvertretende Leiter des gefürchteten Sicherheits- und Geheimdienstes SAVAK, einer der brutalsten Institutionen des Landes und verantwortlich für den Tod vieler politischer Gefangener in der Schah-Zeit. Er lief bei einer Demonstration für »Frau*, Leben, Freiheit« mit. In Brüssel sprachen bei einer Großdemonstration unter anderem der ehemalige US-Präsident und Kriegsverbrecher George W. Busch und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Derweil lief Masih Alinejad mit Darya Safai, Mitglied der rechtsextremen belgischen Partei N-VA, Hand in Hand in der ersten Reihe.

Auf dieser Demonstration sagte Masih Alinejad in ihrer Rede: »Das Geheimnis unseres Sieges ist unsere Einheit. Wir sind seit Jahren unter demselben Regime. Wir werden nicht gewinnen, wenn wir uns nicht an den Händen halten.« »Einheit«, das scheint in den letzten Monaten das Buzzword der Opposition im Ausland zu sein. Doch was wäre das für ein »Sieg«, der mithilfe von Kriegsverbrechern und Rechtsextremen errungen worden wäre?

Selbstbestimmung zentrieren

Eine Revolution, die nicht gleichzeitig den Kampf gegen jede Form der Unterdrückung bedeutet, ist zum Scheitern verurteilt. Eine Revolution bedeutet nicht, die Herrscher auszutauschen, sondern das Herrschaftssystem abzuschaffen. Um einen wirklichen Wandel herbeizuführen, muss man sich für eine radikale Demokratie einsetzen. Diese Lehre mussten wir spätestens 1979 ziehen, nachdem die Revolution gegen die Diktatur des Schahs mit der Katastrophe der Islamischen Republik endete. Die Folgen der Revolution von 1979 sollten uns die Notwendigkeit vor Augen führen, jene geschichtsoptimistische Mentalität aufzugeben, nach der eine »gute Diktatur« der Demokratie vorausgehen kann. An ihre Stelle muss eine Mentalität treten, die Unterdrückung in keiner Form toleriert und sie als unverzeihliche Katastrophe betrachtet.

Wir brauchen eine Demokratie, die über die uneingeschränkte Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung funktioniert. Dieses soll allen Menschen und sozialen Gruppen, zum Beispiel Nicht-Staatsbürger*innen, Migrant*innen, Menschen mit Behinderungen, das Recht geben, frei über ihr eigenes Leben, ihre Repräsentant*innen und ihr Schicksal zu entscheiden.

Wir brauchen eine Demokratie, die über die uneingeschränkte Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung funktioniert.

Das wäre das radikalere und inklusivere Modell, im Kontrast zu einer bloß formalen Demokratie, die allein dem Schutz des Staates, des Kapitals und einer privilegierten Gruppe an Staatsbürger*innen dient. Eine Demokratie, die ihren Namen verdient, bedarf hingegen der Anerkennung aller Personen und Gemeinschaften, die sich im Staatsgebiet aufhalten. Das Prinzip der Selbstbestimmung ist ein unveräußerliches demokratisches Recht. Im aktuellen, kritischen Moment der Jina-Revolution beansprucht es einen gewissen Vorrang vor den formalen Prinzipien und Verfahren der Demokratie als politisches System. Im revolutionären Moment wird das Selbstbestimmungsrecht zum Prinzip, das den Übergang zur Demokratie in Iran überhaupt erst ermöglicht und die Bedingungen dafür festlegt.

Personen wie Reza Pahlavi, der selbst nicht auf dem Boden der Demokratie und Menschenrechte steht, erhalten durch Entscheidungen wie die Einlandung nach München die Gelegenheit, sich vor der internationalen Gemeinschaft als »Führer der Bewegung« zu präsentieren. Sie erhalten eine Scheinlegitimität, ohne dass sie in irgendeinem demokratischen Prozess von der Bevölkerung gewählt worden wären. Solche Benennungen berauben Betroffenen nicht nur eine Mitentscheidung, sie stellen auch das Recht auf Selbstbestimmung in Frage.

Das Besondere an der Jina-Revolution ist ihr dezentraler und vielstimmiger Charakter. Sie hat keine Führungsperson an der Spitze, die den Weg vorgibt, keine Einheitspartei, hinter der sich die Menschen einreihen können. Sie lebt von der Vielfältigkeit der Stimmen, der Pluralität der Lebensrealitäten, dem Zulassen von Widerspruch und Widersprüchen. Klar, das kann unbequem sein. Wie viel einfacher erscheint es, sich auf eine, zwei, drei Führungspersonen zu konzentrieren, auf einen einheitlichen nationalstaatlichen Entwurf, eine Stimme. Doch es sind genau jene zunächst »unbequemen« Attribute, die die Stärke der Jina-Revolution sind und die Grundsätze einer echten Demokratie von unten bilden, die weder dem Staat noch einer Religion dient, sondern den Menschen. Der Charakter der Jina-Revolution, wie sie im September begann und wie wir sie in den letzten Monaten erleben durften, ist ein visionärer Gegenentwurf zu allen autoritären Systemen weltweit. Diesen visionären Entwurf lebendig zu halten, muss die Aufgabe diasporischer Oppositionen sein.

Sanaz Azimipour

ist Aktivist*in, Autor*in und Referent*in. Sie ist in verschiedenen Bewegungen organisiert und arbeitet sowohl akademisch als auch aktivistisch zu sozialen Bewegungen, Transnationalismus und feministischer Philosophie.

Elaheh Taher Kouhestani

ist eine in Berlin lebende Rechtswissenschaftlerin und Aktivistin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind internationales Recht, Menschenrechte und Migrationsrecht. Sie ist Mitglied des Woman* Life Freedom Kollektivs Berlin.