IPCC-Bericht: Das Zeitfenster steht auf Kipp
Von Haidy Damm
Der Ende Februar veröffentlichte Bericht des Weltklimarates macht klar: Das Zeitfenster wird enger. Die Jahre bis 2030 werden entscheidend sein. Das sind noch gut acht Jahre. Dabei treten die Auswirkungen »viel schneller auf und sind zerstörerischer und weitreichender als vor 20 Jahren erwartet«, heißt es im IPCC-Bericht »Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability«, übersetzt Auswirkungen, Anpassungsstrategien und Gefährdung.
Einige Schäden seien bereits unumkehrbar, wie das erste durch den Klimawandel verursachte Artensterben. Das Auftauen des Permafrostbodens oder schmelzende Gletscher schreiten Richtung Kipppunkt. Auch der Amazonas, der eine Schlüsselrolle für das Weltklima und die Artenvielfalt einnimmt, nähert sich laut einer neuen Studie, die im »Nature Climate Change« veröffentlicht wurde, einem solchen Kipppunkt: Bei mehr als drei Vierteln des Waldes habe die Fähigkeit nachgelassen, sich von Störungen wie Dürren oder Bränden zu erholen.
Bereits jetzt sind laut IPCC-Bericht bis zu 3,6 Milliarden Menschen durch die Klimakrise »hochgradig gefährdet«. Konkret heißt das: Ernährungsunsicherheit, mangelnder Zugang zu Wasser, mehr Krankheiten, höhere Sterberaten. Hinzu kommen Traumata durch den Verlust von Lebensgrundlagen etwa nach Hochwasserkatastrophen oder Stürmen. In den Mega-Städten leiden etwa bei Hitzewellen vor allem die armen Bewohner*innen. Auf dem Land werden Menschen durch Überflutungen, Stürme oder Dürre vertrieben, besonders die indigenen Bevölkerungen sind betroffen. In der Klimakrise spiegeln sich die aktuellen Herrschaftsverhältnisse.
Doch nicht nur vor den Folgen für die Menschen wird eindringlich gewarnt. Neu ist, dass in dem Bericht anerkannt wird, wie sehr Klima, Ökosysteme, biologische Vielfalt und menschliche Gesellschaften voneinander abhängig sind: »Gesunde Ökosysteme und eine reiche Artenvielfalt sind die Grundlage für das Überleben der Menschheit.« Die weitere Ausbeutung der Natur ist also der falsche Weg, das gilt für die industrialisierte Landwirtschaft ebenso wie für weitere Kohlekraftwerke oder Betonwüsten.
Bereits jetzt sind bis zu 3,6 Milliarden Menschen durch die Klimakrise »hochgradig gefährdet«.
Teilweise setzen die Wissenschaftler*innen auf Anpassungsstrategien, einige seien jedoch nur begrenzt wirksam und mit hohen Risiken verbunden, etwa Eingriffe in die Sonneneinstrahlung oder der Umschwung auf Biokraftstoffe, die auf Monokulturen angebaut würden. So werde die notwendige »transformative Anpassung« verhindert. Damit ist beispielsweise gemeint, dass Küstenregionen davon abkommen sollten, sich gegen den steigenden Meeresspiegel mit immer höheren Dämmen zu wehren (was sowieso nur den reichen Ländern möglich ist) und stattdessen mehr zum Leben mit und auf dem Wasser übergehen.
Die Haltung der beteiligten Wissenschaftler*innen ist einvernehmlich: »Der Klimawandel ist eine Bedrohung für das menschliche Wohlergehen und die Gesundheit des Planeten. Jede weitere Verzögerung bei konzertierten, vorausschauenden globalen Maßnahmen zur Anpassung und Abschwächung des Klimawandels wird ein kurzes und sich schnell schließendes Zeitfenster verpassen, um eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern.« Dazu müsse die Energie sauber, die Wegwerfmentalität beseitigt werden. Städte und Landwirtschaft müssten nachhaltig und die Mobilität verändert werden. Wichtig sei, die Bevölkerung mitzunehmen, mahnte die Klimaforscherin und Mitautorin Daniela Schmidt: »Wenn wir wunderbare grüne Städte haben, können sich Leute, die da jetzt leben, das vielleicht dann nicht mehr leisten.«
Im dritten Teil des Berichtes, der für Ende März erwartet wird, sind laut einem Leak der »Scientists for Future« die Verantwortlichen klar benannt. Demnach verursachten die zehn reichsten Prozent der Menschheit 36 bis 45 Prozent der weltweiten Emissionen. Das sei zehnmal so viel wie der Beitrag der ärmsten zehn Prozent. Dazu fand UN-Generalsekretär António Guterres bei der Vorstellung des IPCC-Berichtes ebenfalls deutliche Worte: »Die weltgrößten Emittenten von Treibhausgasen machen sich der Brandstiftung an unserem einzigen Zuhause schuldig.«