Einer mit Gottkomplex
In Österreich droht Ende September ein Sieg der FPÖ, ihr Spitzenmann Herbert Kickl sieht sich schon als Kanzler im Wartestand
Von Anselm Schindler
Herbert Kickl will am 29. September zum »Volkskanzler« gewählt werden. Der Spitzenmann der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) präsentiert sich auf Tausenden Wahlplakaten für die Nationalratswahl mit sicherem Blick, leicht lächelnd, bürgernah. Das Bild der Volksnähe steht freilich in scharfem Kontrast zu Kickls Lebensrealität, etwa zu seinen Einkünften. Was kreative Künstler*innen dazu veranlasste, Plakate von Kickl in Wien mit den Worten »20.000 Euro /Monat. Bonze« zu verschönern. Wobei das mit den 20.000 Euro eine Schätzung ist. Die Nebeneinkünfte von Kickl waren schon Anlass für einen Skandal, der Volkskanzler-Anwärter hatte »vergessen«, sie anzugeben, wie es für Nationalratsabgeordnete gesetzlich vorgeschrieben ist.
Aber Schwamm drüber. Korruption? Egal. Die öffentliche Empfehlung von Pferdeentwurmungsmitteln gegen Corona? Was war das gleich noch? Es ist wie bei Donald Trump: Die Skandale sind bereits eingepreist und dienen im besten Fall sogar noch als Beweis dafür, dass es sich bei Kickl um einen wahren Rebellen handelt.
Pseudorebell und Staatsmann
Kickl will aber nicht nur Aufrührer, sondern auch Staatsmann sein. Das ist auch eine der zentralen Botschaften der FPÖ-Wahlplakate. Dort ist vor allem er zu sehen, kombiniert mit Sprüchen wie »der einzige auf eurer Seite« oder »euer Wille geschehe« – angelehnt an das katholische Gebet »Vater unser« wo es heißt: »Dein Wille geschehe.« Wobei unklar ist, ob Kickl dabei der Bevölkerung oder sich selbst einen gottgleichen Status zuschreibt. Er ist der, der Österreich »wieder auf den richtigen Weg« bringen will. Auf diesem »richtigen Weg« wird fleißig getreten, nach unten versteht sich. Vor allem gegen Migrant*innen und »Kulturfremde«.
Die Angst vor dem Fremden, vor dem Anderen bleibt die Kernbotschaft der FPÖ. Ein Markenzeichen, das die gemeinsam mit den Grünen regierende konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) den Freiheitlichen gern streitig machen würde. Auch Bundeskanzler Karl Nehammer von der ÖVP blinkt gern sehr weit rechts. Aber das Übernehmen rechter Talking Points und rassistischer Narrative stärkt auch in Österreich nur weiter die, die damit am meisten identifiziert werden. Eine Dynamik, die man aus Deutschland kennt.
Die sozialdemokratische SPÖ, einst Massenorganisation der Arbeiter*innen, heute technokratischer Politapparat, versucht derweil, mit ihrem neuen Shooting Star, dem Parteilinken Andi Babler, dagegen zu halten. Sie setzt stellenweise ebenfalls auf eine nationale Rhetorik, aber malt das Bild eines sozial gerechteren Österreichs. Eines Österreichs, in dem auch Flüchtlinge einen Platz haben – wenn sie bereit sind, zum als Kollektivinteresse verkauften Erfolg der österreichischen Wirtschaft etwas beizutragen. Während Babler, der sich als Bürgermeister von Traiskirchen für die Aufnahme von Geflüchteten stark gemacht hatte, in migrationspolitischen Debatten bislang relativ standhaft bleibt, hat er marxistische Ansätze (bis vor kurzem nannte sich Babler noch einen Marxisten) bereits auf dem Altar des nationalen Kapitals geopfert.
Sozialdemokratische Opfer
Wie viele andere sozialdemokratische Politiker*innen in Österreich war Babler vor vielen Jahren in der Sozialistischen Jugend. Einer Jugendorganisation, die sehr weit links von ihrer Mutterpartei SPÖ steht, aus der die meisten SPÖler*innen später dann die Seilschaften mitnehmen, die Standpunkte aber ablegen, sobald es um die Karriere geht. Der Austro-Marxismus, eine besonders sozialdemokratisierte Schule ursprünglich revolutionärer Ideen, wurde Babler von bürgerlichen Medien so lange vorgeworfen, bis er sein Wording änderte.
Schwer hat es Babler aber nicht nur mit den Medien, sondern auch mit der eigenen Partei. Als einziger Linker in der Parteiführung wird er auch intern immer wieder angefeindet. Viel deutet darauf hin, dass sich Babler in die lange Reihe von Parteilinken in der europäischen Sozialdemokratie einreihen wird, die zu etwas zurück wollten, was längst tot ist.
Im österreichischen Wahlkampf gibt es nicht nur Kulturkampf und Migration, sondern auch Themen, die sich für einen selbstbewussten linken Wahlkampf eignen. Beispiel Teuerungen: Die schlugen in Österreich sowohl 2023, als auch in diesem Jahr härter durch als in den meisten anderen europäischen Ländern. Was freilich keine schicksalhafte Entwicklung ist, sondern eine bewusste politische Entscheidung gegen eine aktivere, staatliche Preispolitik und nicht zuletzt zugunsten einer Umverteilung von Unten nach Oben. Gestaltet von der ÖVP, mitgetragen von ihrem willfährigen, grünen Koalitionspartner.
Trotz überdurchschnittlich hoher Teuerung ist es der FPÖ gelungen, mit Kulturkampfthemen die soziale Frage zu übertönen.
Unter der FPÖ, die von allen größeren Umfrageinstituten derzeit – und damit zum ersten Mal in der Geschichte – als stärkste Kraft gesehen wird, wird sich das nicht ändern. Im Gegenteil: Die FPÖ will die durchschnittliche Arbeitszeit erhöhen und Sozialleistungen kürzen. In dieser Sache steht sie rechts ihrer durchschnittlichen Wählerschaft: Eine bereits vor einigen Jahren durchgeführte Studie des Forschungsverbunds Austrian National Election Study belegt: Viele österreichische Wähler*innen positionieren sich ökonomisch links, sind für staatliche Eingriffe in den Kapitalismus und dagegen, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden.
Was sich aber trotz der sozialen Krise nicht geändert hat, ist, dass die FPÖ es schafft, mit Kulturkampfthemen die soziale Frage zu übertönen. Und sie dort, wo sie nicht mehr ignoriert werden kann, zu einer identitätspolitischen zu machen. Längst geht es nicht mehr darum, dass es der gesamten Bevölkerung besser gehen soll. Wichtiger ist, dass es denen, die man nicht als Teil des österreichischen Volkes sieht, schlechter geht. Und so könnte die FPÖ trotz ihres neoliberalen Kurses die Nationalratswahl gewinnen und die ÖVP zu ihrem Juniorpartner machen – vorausgesetzt natürlich, die Rechtskonservativen spielen mit.
Haustürgespräche gegen rechts
Koalitionsmöglichkeiten gibt es nach aktuellen Umfragen einige. Denkbar wäre eine große Koalition zwischen SPÖ und ÖVP, vielleicht auch kombiniert mit den marktradikalen Neos oder alternativ mit den Grünen. Möglich wäre aber auch das genannte Blau-Schwarz-Szenario aus FPÖ und ÖVP und damit eine Regierung, die sehr weit rechts steht. Die Gefahr von Blau-Schwarz und eines »Volkskanzlers« Kickl hat auch die außerparlamentarische Linke aufgerüttelt. Zunehmend versuchen Bewegungslinke und Leute aus diversen progressiven Organisationen, in den Wahlkampf zu intervenieren. Mit der Kampagne »Wir gegen Rechts« wollen Linke aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Ecken dem wachsenden Einfluss der FPÖ etwas entgegensetzen. Die Kampagne setzt auf Haustürgespräche und will Leute dazu bringen, ihr Kreuz nicht bei der FPÖ oder ÖVP zu setzen.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Stärkung der Rechten im Parlament auch in der Linken für Bewegung sorgt: Die Donnerstagsdemos Anfang der 2000er Jahre brachten zehntausende Menschen auf die Straße. Damals kam zum ersten Mal in Österreich eine Regierung mit FPÖ-Beteiligung zustande. 2017 und in den beiden Folgejahren gab es eine Neuauflage der Proteste, die sich gegen die von Sebastian Kurz geführte zweite schwarz-blaue Koalition richteten. Wir gegen Rechts will an die Breite der damaligen Mobilisierung anknüpfen.
Und dann ist da freilich noch die Kommunistische Partei, die KPÖ, die bei vielen Linken Hoffnung weckt. Sie hat bei Wahlen in Graz, Salzburg und Innsbruck bereits bewiesen, dass sie Nichtwähler*innen ansprechen und der FPÖ Stimmen wegnehmen kann. Unklar ist noch, ob die KPÖ es schafft, ihren Erfolgskurs auch auf Nationalratsebene fortzusetzen. Derzeit steht sie österreichweit bei rund vier Prozent. Vier Prozent bräuchte die KPÖ auch für den Einzug ins österreichische Parlament.