Impfpatente: Gewinn statt Gemeinwohl
BioNTech startet mobile Produktionsstätten und Moderna verzichtet in 92 Ländern auf Impfpatente – zu Wohltätern macht das die Pharmakonzerne nicht
Von L. P.
Es scheint, als würde die globale Impfstoffverteilung nun endlich ins Gleichgewicht gebracht werden: BioNTech präsentierte im Februar seine mobilen Produktionsstätten, Mitte des Jahres sollen die ersten ihrer Art in Rwanda und im Senegal in Betrieb genommen werden und jährlich rund 50 Millionen mRNA-Impfstoffe gegen das Coronavirus produzieren. Moderna kündigte zudem Anfang März an, in 92 Ländern mit niedrigen und mittleren Bevölkerungseinkommen dauerhaft auf den Patentschutz seines Impfstoffes gegen COVID-19 zu verzichten. Der globale Süden erhält endlich besseren Zugang zu Impfstoffen.
Die Maßnahmen der beiden Pharmakonzerne sollen nicht nur für mehr globale Gerechtigkeit sorgen, sondern ein baldiges Ende der Pandemie einleiten. Sie offenbaren aber auch die Vormachtstellung westlicher Pharmakonzerne, die strukturelle Benachteiligung des globalen Südens und die Taten- und Machtlosigkeit der internationalen Staatengemeinschaft. Auch nach zwei Jahren der Pandemie sind Gewinne wichtiger als Gemeinwohl. Auch während einer Pandemie gelten die Regeln des Marktes, die Weltgemeinschaft ist den Profitinteressen der Pharmaindustrie unterlegen.
Obwohl sowohl BioNTech als auch Moderna betonen, durch die kürzlich angekündigten Maßnahmen im globalen Süden keine Profite zu generieren, macht sie das nicht zu Wohltätern. Die mobilen Produktionsstätten von BioNTech sollen langfristig Impfstoffe gegen Tuberkulose und Malaria produzieren. Dass diese ebenfalls ohne Profitinteresse produziert und verkauft werden, ist nicht zu erwarten. BioNTech erweitert also seinen Markt – und das unter Beifall und mit Unterstützung einiger afrikanischer Regierungen.
Dass erst so spät Impfstoffe im globalen Süden produziert werden, kommt nicht von ungefähr. Nicht nur Pharmakonzerne wie BioNTech positionierten sich gegen die Aussetzung des Patentschutzes, auch die deutsche Bundesregierung tat dies. Laut BioNTech würde ein solches Vorgehen lediglich für Chaos sorgen: Der Technologietransfer sei zu aufwändig, selbst Expert*innen würden Monate brauchen, um die Impfstoffe produzieren zu können. Das sagen zumindest der Vorstandsvorsitzende von BioNTech, Uğur Şahin, und sein Kollege Sierk Poetting. Viel sinnvoller sei es deshalb, die Impfstoffproduktion vor Ort selbst zu koordinieren.
Das Narrativ, im globalen Süden wäre man nicht in der Lage, Impfstoffe nach westlichen Standards zu produzieren, entbehrt jeder Faktengrundlage.
Das Narrativ, im globalen Süden wäre man nicht in der Lage, Impfstoffe nach westlichen Standards zu produzieren, entbehrt jedoch jeder Faktengrundlage. Laut Ärzte ohne Grenzen gebe es in Afrika 120 Pharmakonzerne, die in der Lage wären, mRNA-Impfstoffe zu produzieren – gäbe es einen Technologietransfer.
Zudem eröffnete die WHO bereits im Juni 2021 ein Hub für Technologietransfer in Südafrika. Ziel des Hubs ist es, in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen Kapazitäten für die Produktion von mRNA-Impfstoffen aufzubauen. Obwohl sowohl Moderna als auch BioNTech eine Zusammenarbeit ablehnten, gelang es dadurch dem südafrikanischen Konzern Afrigen, den mRNA-Impfstoff von Moderna zu kopieren. »Wir hatten keine Hilfe von den großen COVID-Impfstoffherstellern, also haben wir es selbst gemacht, um der Welt zu zeigen, dass es möglich ist, und zwar hier, auf dem afrikanischen Kontinent«, sagt Gerhardt Boukes, einer der beteiligten Forscher.
Dass sich Konzerne wie BioNTech im Zweifel für Gewinne statt für das Gemeinwohl entscheiden, ist wenig überraschend. Eine Enttäuschung ist die Tatenlosigkeit der deutschen Bundesregierung. BioNTech profitierte jahrelang von staatlicher Förderung – jetzt, wo hohe Profite gemacht werden, möchten weder das Unternehmen noch die Regierung etwas davon wissen.
Auch, wenn nun ein Bemühen deutlich wird, im globalen Süden Impfstoffe verfügbar zu machen, kommt dieses Bemühen reichlich spät und aus den falschen Beweggründen. Dafür sollte man jedoch nicht nur Unternehmen verantwortlich machen, sondern die Regierungen, die den Unternehmen den nötigen Handlungsspielraum gegeben haben. Hätte man gewollt, wäre der Patentschutz aufgehoben. Man hätte viel früher begonnen, Impfstoffe im globalen Süden zu produzieren, hätte viel höhere Impfquoten erreicht – und vielleicht wäre die Pandemie bereits beendet. Die neuesten Entwicklungen sind kein Grund, dankbar zu sein. Sie sind ein Grund, das System in Frage zu stellen.