Gesinnungspolitik gegen linke Studierende
Ein neues Gesetz droht, Protest an Berlins Hochschulen unmöglich zu machen
Von Simin Jawabreh
Wir wollen, dass die Hochschulen sichere und diskriminierungsfreie Orte sind«, kündigte Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) Ende März an. Dafür werde nun ein neues Ordnungsrecht an den Berliner Hochschulen und Universitäten eingeführt. Zukünftig sollen Zwangsexmatrikulationen in der Hauptstadt wieder möglich sein. Was sich als Opferschutz tarnt, entlarvt sich vor allem als Gesinnungspolitik gegen linke Studierende. Diese sollen für ihre Politik diszipliniert, der strafende Staat soll ausgebaut, Protest verunmöglicht werden.
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Der Vorschlag zur Wiedereinführung des Ordnungsrechts geht auf einen Antrag zur Gesetzesänderung der AfD vom 13.2.2024 zurück. Anlass ist laut AfD, dass sich das Klima an den Universitäten zunehmend gegen Juden und Jüdinnen richten würde. Dahinter sollen Gruppen wie Students for Palestine oder Klasse gegen Klasse stehen. Beide sollen, weil sie »linksextremistisch« agieren, zu »Gewalt aufrufen«. Infolge dieser Politik, so die AfD-Kausalkette, sei im Februar ein jüdischer Studierender der Freien Universität Berlin angegriffen worden. Die Schlussfolgerung: Protest muss unterbunden werden. Die Gegenüberstellung von jüdischen Studierenden und den Protestierenden gegen das Morden in Gaza deckt sich mit der Doktrin der rechtsradikalen israelischen Regierung. Bei den Protesten an den Universitäten gegen den Krieg beteiligten sich genauso lautstark Juden und Jüdinnen. Es war also keine Frage von Identität, wer am Protest teilnahm, sondern eine der politischen Haltung. Die AfD instrumentalisiert den Schutz von Jüdinnen und Juden für eine Politik gegen linke Studierende.
Trotz der ständigen, moralistischen Brandmauer-Rhetorik übernahmen die in Berlin regierenden Parteien CDU und SPD in dem neuen Gesetzesentwurf den Vorschlag der AfD.
Das neue Ordnungsrecht hat es in sich. Sollte es Mitte April durchkommen, würde Berlin für Studierende über Nacht vom progressivsten zum repressivsten Bundesland werden. Denn nicht nur, wer Gewalt ausübt, soll künftig zwangsexmatrikuliert werden können. Auch bei jenen, von denen Gewalt ausgehen könnte oder die zu jener »aufrufen«, soll dies möglich sein (§ 16.1). Eine derart breite Grundlage für Repression lässt zu, dass allein der Aufruf zu Protest oder gar zu revolutionärem Protest (im Sprachgebrauch an Berliner Universitäten nicht unüblich) eben auch darunter fallen könnte – ganz im Sinne des AfD-Vorschlags.
Weiter sollen auch jene exmatrikuliert werden können, die die Universität für potenziell »strafbare Handlungen nutzen oder zu nutzen versuchen« (§ 16.3). Allein das Plakatieren von Vorlesungssälen oder der Versuch eines Bannerdrops – er muss nicht einmal ausgeführt werden – fallen unter dieses Ordnungsrecht. Im Begründungstext steht, dass »Protestaktionen« gezeigt hätten, dass es »erweiterte Handlungsoptionen« brauche. Dass sich das Hochschulgesetz damit gegen Protest richtet, ist keine abstrakte, polemisierte Angst von uns Studierenden, sondern konkret beabsichtigt.
Der Gesetzestext wäre eher dazu geeignet, Protest gegen Diskriminierung zu unterbinden, als Diskriminierte zu unterstützen.
Spannend ist neben dem autoritären Zuschnitt des Gesetzestextes insgesamt der Paragraf 16.1.5, der erklärt, worauf keine Exmatrikulation folgt: Diskriminierung. Damit erweist sich das Postulat Kai Wegners und der Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege, Ina Czyborra (SPD), dass es beim Gesetz um die Bekämpfung von Diskriminierung ginge, als blanke Lüge. Diskriminierung ist der einzige Tatbestand, bei dem laut Gesetzestext eine Zwangsexmatrikulation ausgeschlossen wird. Nicht, dass Bestrafungen in solchen Fällen hilfreich wären – im Gegenteil. Den Gesetzestext aber medial als Maßnahme gegen Diskriminierung zu verkaufen, bedeutet entweder, nicht zu wissen, was im eigenen Gesetzesentwurf steht (unmöglich), oder bewusst zu lügen, um das repressivste Hochschulgesetz in ganz Deutschland gegenüber Studierenden zu legitimieren. Der Gesetzestext stellt sich damit als politisches Gesinnungsrecht heraus – er wäre eher dazu geeignet, Protest gegen Diskriminierung zu unterbinden, als Diskriminierte zu unterstützen.
Studierende, die auf Grund prekärer Situationen in Studierendenheimen leben, verlieren bei Zwangsexmatrikulation ihre Wohnung, studentische Mitarbeitende ihren Arbeitsplatz, BaföG-Bezieher*innen ihren Lebensunterhalt. Ausländischen und internationalen Studierenden kann bei einer Zwangsexmatrikulation auch das Aufenthaltsrecht entfallen (das oftmals an das Studium geknüpft ist), so dass sie ausgewiesen und abgeschoben werden können.
Doppeljustiz und Berufsverbot
Was selbst Liberale erschrecken sollte, ist, dass bei dem neuen Ordnungsrecht eine quasi doppelte Rechtsstaatlichkeit der Universität eingeführt wird – denn Universitäten sind keine rechtsfreien Räume. Wo Studierende heute schon mit Anzeigen für ihren Protest zu kämpfen haben, wäre die politische Zwangsexmatrikulation eine zusätzliche Strafe, die ein undurchsichtiges universitäres Ordnungsgremium intransparent verhängen kann. Zum einen soll eine Zwangsexmatrikulation an eine gerichtliche Verurteilung geknüpft sein, womit sie bereits eine doppelte Bestrafung darstellt. Zusätzlich droht sie aber zum Beispiel schon bei der Nutzung der Hochschule für potenziell strafbare Handlungen oder dem Versuch dessen (§ 16.3). Damit können Universitäten de facto Verbote, die dem Berufsverbot ähneln, durch die Zwangsexmatrikulation aussprechen, da die Studierenden dann nicht mehr den von ihnen angestrebten Abschluss machen können. Hier wird sich einer perfiden Angst bedient: Um zu disziplinieren, wird einem Ordnungsgremium die Macht zugeschrieben, einen geplanten beruflichen Lebensweg zu beschneiden.
Historisch galt das Ordnungsrecht als Gesetz zur Unterbindung der Politisierung und des Protestes im Kontext der studentischen 1968er-Bewegung. Wo die repressiven Maßnahmen damals die Proteste gegen den Vietnamkrieg zum Ziel hatten, sind es heute die Proteste gegen den Krieg in Gaza. Das Mittel eines »Hochschulfriedens« war nichts weiter als ein Versuch, die Position von Studierenden zu schwächen und ihre demokratische Teilhabe zu untergraben.
Wo politischer Ausdruck und Meinungsäußerung zu Repression führen, die studentische Lebenswege beschneidet, entlarven sich die Maßnahmen unter dem Deckmantel der bürgerlichen Demokratie vor allem als Instrument zum Schutz staatlicher Interessen. Deutlich wird das an der Tatsache, dass im gleichen Atemzug die Abschaffung der Zivilklausel diskutiert wird, die es unterbinden soll, universitäre Forschung für militärische Zwecke zu nutzen oder mit solchen zu verknüpfen. Passend fasst der Philosoph Daniel Loick den deutschen Kontext zusammen, wenn er schreibt, dass die neu militarisierte Demokratie nicht das Gegenteil einer Autokratie ist, sondern ihr Nährboden.